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Villa vor Schönholz gerettet

Was 1999 zur sambischen Botschaft werden sollte entwickelte sich mit der Demontage der Vandalismusschutzplatten zu einem der bekanntesten und traurigsten Lost Places Deutschlands. Das in dem 1880er Jahren als „Villa Langheinrich“ erbaute Haus ist nicht nur schön anzusehen.

Die berühmten Festlichkeiten in der Heide, die im Bolle-Lied besungen werden, nahmen ihren Ursprung mit dieser Villa und dem Einzug der Schützengilde auf dem Gebiet der ehemaligen Königinnen-Plantage.

In der Villa waren in mehreren Jahrzehnten Polizeireviere, Altenheim, Mietwohnungen und eine NVA-Musterungstelle untergebracht. Auch den Namen Leichenvilla bekam das Haus von Zeitzeugen. Beim Teilrückbau des Friedhofs am Bürgerpark wurden die Leichen die noch nicht lange genug in der Erde lagen exhumiert, im Keller der Villa gestapelt und des Nächtens heimlich in der Schönholzer Heide verscharrt. So erklärten sich zumindest Anwohmer damals das plötzliche Verschwinden der sterblichen Überreste über Nacht.

Zum Schluss saß hier das Wirtschaftsamt, das auch für den ersten Brand verantwortlich war. Viele der Gewerbeunterlagen enthielten Dossiers der Staatssicherheit und wurden mit dem Fall der Mauer zur Gefahr für Jene, die diese Akten geführt hatten. So brannte die Villa das erste Mal und stand jahrelang ohne historische Bedachung da. Das heutige Dach entspricht nicht mehr dem Original.

Das Land Berlin sanierte die Immobilie komplett und übergab sie der sambischen Republik mit der Absicht, dass diese hier mit ihrer Botschaftsvertretung einziehen sollte. Doch nichts geschah. Über Nacht verschwanden damals die besagten Vandalismusschutzeinrichtungen und die bis dahin intakte Immobilie mit nagelneuer Heizanlage stand schutzlos da. Schnell waren Zaunteile entfernt, Kabel im Haus gezogen und alles was sich zu Geld machen ließ gestohlen und zerstört.

Mir liegt das Gebäude persönlich sehr am Herzen. Ich kenne seine Geschichte wie kein Anderer und es war mit 11 Jahren mein erstes Gebäude in das ich reinkletterte. Heute heißt es überall Lost Place damals war es einfach der historisch interessanteste Ort in der Ecke. Dachte ich jedenfalls als Kind. Es war 2017, als klar wurde, dass das Gebäude wohl nur noch mit intensiven Bemühungen und massivem Druck für die Nachwelt zu retten war. Gemeinsam mit Lars Bocian (CDU), bemühten wir uns zu zweit um die alte Villa vor Schönholz. Jeder mit den Mitteln die ihm zur Verfügung standen.

Her Bocian mit seinem politischem Fachwissen und unter anderem auch Anträgen in der BVV und ich, wie man in den Medien verfolgen konnte, auf meine Art. Ich weiß, ihm war nicht immer ganz wohl dabei, wenn ich auf eigene Faust mit der sambischen Aktivistin Lunia Hara versucht habe, in der Sambischen Republik mit der Regierung zu verhandeln oder auch die darauf folgende Medienkampagne in der Republik selbst zu initiieren. Auch waren die freundlichen Hinweise aus der Politik: „Nur Staaten verhandeln mit Staaten“ für mich kein Grund aufzugeben. Nachdem inzwischen ein Feuer das andere jagte, war klar, es geht um Wochen nicht um Jahre, bis das Gebäude vernichtet war. Kaum einer konnte sich vorstellen, dass hier noch was zu retten sei, aber weit gefehlt. Den Sambischen Botschafter gibt es nicht mehr. Ich sage oft und gern: „Es zählt was unterm Strich stehen bleibt.“ Und das ist die tatsächliche Rettung der Villa. Am Montag, dem 11.03.2024 um 11:30 Uhr hatte ich vor Ort die Gelegenheit, mit der sambischen Projektmanagerin für die Entwicklung des Gebäudes, Frau Müller, und der ausführenden Zaunbaufirma zu sprechen.

Auf Grund meiner Berichterstattung der letzten Jahre und der Kampagne in der Sambischen Republik war Frau Müller nicht allzu gut auf mich zu sprechen. In ihren Augen hatten meine Bemühungen um die Villa und das damit verbundenen Presseecho die Integrität der Angehörigen der Sambischen Botschaft in Frage gestellt.

Dennoch kamen wir ins Gespräch, das Grundstück soll zügig gesichert werden und danach ist die Sanierung geplant. Wenn ich Frau Müller richtig verstanden habe, soll die Villa tatsächlich Sitz der Sambischen Botschafterin in Berlin werden. Sollte die Absichtserklärung diesmal umgesetzt werden, wäre es die Rettung eines historischen Gebäudeschatzes in Schönholz. Am folgenden Tag gab Lars Bocian vorab der Berliner Morgenpost den neuesten Stand seiner Erkundungen bei der Berliner Senatskanzlei um die Villa bekannt. So hat die Sambische Botschaft per Verbalnote dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, dass sie gedenke, das Gebäude zu Botschaftszwecken wieder herzurichten.

Artikel Berliner Morgenpost:

https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article241876524/Pankows-Lost-Place-Villa-gerettet-Das-ist-die-neue-Loesung.html

https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article238184027/lost-place-villa-schoenholz-pankow-botschaft-sambia-ruine-petition-reparation-sanierung.html

Panorama der Villa vor Schönholz (Facebook): https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=1527555050648448&substory_index=0&id=954046311332661

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Guido Kunze, Lars Bocian (CDU), Thomas Schubert (Berliner Morgenpost)

Feuer in der Villa vor Schönholz

Die Villa vor Schönholz, erbaut in den 1880er Jahren, trug im Laufe der Zeit viele Namen. Villa Langheinrich, Schallers Tivoli, das Altenheim, die Leichenvilla und noch so einige andere.

Das altehrwürdige Haus mit umgebenen Borussia Park liegt zwischen Bahnhof Schönholz und dem ehemaligen Berliner Ausflugsort Schönholzer Heide. Das Gebäude war von Anfang an dabei und erlebte, wie sich der Ausflugsort Schönholz entwickelte.

Die Villa selbst war neben Polizeirevier, Mehrfamilienhaus, Altenheim, Musterungsstelle und Wirtschaftsamt auch mehrfach Ausflugslokal in Schönholz. Mit dem Bau der Berliner Mauer lag die Villa im Sperrgebiet und war nur noch nach Aufforderung oder mit Passierschein zu betreten.

In den Wirren der Maueröffnung in Berlin erlebte die Villa vor Schönholz ihren ersten Großbrand. Auch damals wurde das Feuer absichtlich gelegt. Im Wirtschaftsamt lagerten Gewerbeunterlagen mit Personendossiers der Staatssicherheit zu den Gewerbetreibenden. Die Feuerwehr löschte die Aktenberge ab und das Haus wurde bis ins Hochparterre versiegelt.

So gammelte die Villa fast ein Jahrzehnt ohne Dach vor sich hin. Das Haus wurde grundsaniert und mit einer neuen Heizungsanlage versehen. Die Republik Sambia bekam das Gebäude, um seine Botschaft hier einzurichten. Damals ein wahrer Glücksfall für das fast verlorene Gebäude.

Jetzt war die Republik Sambia am Zug. Doch statt die hergerichtete Villa einzurichten und zu nutzen, bezieht die Republik Sambia ihre Botschaft in der Axel-Springer Straße 54A. Seit dem steht die Villa vor Schönholz weiter leer. Sie wurde hergerichtet und nie bezogen.

Nach fast zwei weiteren Jahrzehnten Leerstand ist das Gebäude inzwischen akut durch Brandstiftungen gefährdet. Die Brandstifter haben sich Woche für Woche vom Keller bis ins 1.OG vorgearbeitet. Wie befürchtet, stand dann am Montag, den 19.06.2023 um etwa 1 Uhr nachts das 1.OG im Vollbrand. Inzwischen haben die Rettungsversuche auch in der sambischen Republik Schlagzeilen gemacht. Doch wie begann die Rettungskampagne?

Im Juni 2021 meldete sich Lars Bocian bei mir, wir hatten ein längeres Gespräch über die Villa vor Schönholz, den Zustand und Möglichkeiten, das Gebäude zu retten. So entstand auch das erste Foto von uns vor dem historischen Tor im selben Monat.

Als Erstes galt es eine Fachbedarfsabfrage durchzuführen. Die lief aus verschiedenen Gründen eher schlecht als recht, aber kein Grund aufzugeben. Der Verfall und die Schäden am Grundstück nahmen jetzt zu. Die ersten Zaunfelder vom Borussiapark wurden bei Unfällen beschädigt und lagen jetzt auf dem Grundstück. Der grüne, kleine Borussiapark um die Villa war jetzt für Jedermann zugänglich. Obdachlose zogen ein und die ersten offenen Feuerstellen entstanden in den Fluren.

Das Gebäude nahm zunehmend Schaden, also versuchten Herr Bocian und ich es mit einem Antrag auf Denkmalschutzprüfung in der Bezirksverordnetenversammlung. Es existierte zwar aus den 1990er Jahren ein negativer Denkmalschutzbescheid, aber dieser bezieht sich in seiner Ablehnung auf die nicht vorhandene Einzigartigkeit des Gebäudes.

Eine erneute Prüfung hätte durchaus zu dem Schluss kommen können, dass hier eine Art Ensembleschutz erklärt wird, da das Gebäude mit Park sinngebend für die Geschichte und Entwicklung des Ausflugsortes Schönholz war. Über diesen Denkmalschutz hätte man Ersatzvorleistungen zum Schutz erbringen können und dem Gebäude etwas Zeit verschafft. Grüne und SPD haben den Antrag von Herrn Bocian (CDU) abgelehnt. Ich konnte die entsprechende Bezirksverordnetenversammlung auf YouTube live mitverfolgen.

Es sei noch dazugesagt, dass der Bezirk Pankow seiner Zeit ein Vorkaufsrecht geltend gemacht hat, und dieses auch bekommen hat. Es war die politische Richtung jener Zeit und da die Villa nie zum Verkauf stand, musste Pankow auch kein Geld aufbringen. Vor dem Hintergrund, dass ein Antrag nach dem anderen scheiterte, sollte Herr Bocian (CDU) die rechtliche Lage noch einmal prüfen, welche Anträge noch in Frage kämen, um das Gebäude zu schützen.

Bei mir meldete sich unterdessen Frau Lunia Hara. Die sambische Aktivistin lebt seit 30 Jahren in Deutschland und bot mir Ihre Hilfe an. Unser Plan war, abseits der amtlichen Wege direkt Gespräche in der sambischen Republik zu führen. Auch Pankows Baustadträtin Rona Tietje (SPD) (Historischer Kiezführer) beobachtet die Vorgänge um die Villa und kann hier nur zuschauen. Der Bezirk Pankow ist, wie sie sagt, nicht befugt mit Staaten zu verhandeln, das kann nur die Senatskanzlei.

Auf die Senatskanzlei hatten wir jetzt zwei Jahrzehnte gewartet, kleine Feuer im Haus mehrten sich und das letzte große vernichtende Feuer schien nur eine Frage der Zeit. Also dann auf unsere Art. Lunia Hara flog im März 2023 in die sambische Republik, um für uns Verhandlungen aufzunehmen. Wir hatten uns an den Außenminister und den Finanzminister gewandt, letzterer hatte Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Vor Ort wollte dann niemand mehr mit uns reden. Zumindest konnten wir einiges in Erfahrung bringen. Es gibt wohl – vorsichtig ausgedrückt – unterschiedliche Interessengruppen unter den Botschaftsangehörigen. Da sind jene, die das Gebäude tatsächlich noch einer diplomatischen Nutzung zuführen wollen und eine andere Interessengruppe die versucht, die Immobilie in Ihren Privatbesitz zu bringen. Auch unsere Vermittlungsversuche diesbezüglich waren vergebens.

Stufe zwei war jetzt die Medienkampagne in der sambischen Republik. Wir wollten maximalen Druck auf den Botschafter in Berlin ausüben in der Hoffnung, dass aus der sambischen Republik gehandelt wird. Hierzu mussten die Vorgänge um unser historisches Erbe in Schönholz und der Umgang mit diesem durch Vertreter der Republik Sambia, der inzwischen fast als Schändung zu begreifen ist, medial dargestellt werden.

Montag Nacht war es dann soweit. In der Nacht zum 19.06.2023 wurde ich um 01:30 Uhr von der Feuerwehr informiert, dass die Villa in Schönholz wieder brennt. Diesmal ein Vollbrand im 1.OG. Das die Villa noch steht und das Dach nicht verbrannt ist, haben wir dem schnellen Angriff der Feuerwehr zu verdanken. Ich habe am Montag gleich nach der kriminaltechnischen Brandermittlung das Haus besucht. Es waren nur Zentimeter beziehungsweise Minuten, die zum Totalschaden gefehlt haben.

Bei der Vorortbegehung mit Lars Bocian (CDU) wird noch etwas anderes schnell klar. Die Anwohner der Schönholzer Heide sind nur knapp einer Großschadenslage entgangen. Bei einem Vollbrand des Daches dürfte der Funkenflug wohl in Minuten die 6 Meter Straßendamm überspringen und die ausgetrocknete Heide binnen Stunden niederbrennen. Aktuell setzen wir uns für die Rückabwicklung und Überführung des Grundstücks in Bezirksvermögen ein. Der Bezirk wird das Grundstück weiterhin nicht sichern. Grund hierfür ist, dass die Republik Sambia angeblich selbst sichernd tätig werden will. So berichtete die Berliner Morgenpost am 23.06.2023. Offensichtlich waren unsere Bemühungen in der sambischen Republik nicht vergebens. Weiterhin bleibt die Zukunft ungeklärt und der Wettlauf gegen den Brandstifter geht weiter,

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Weitere Artikel zur Villa vor Schönholz:

Geschichte zur Villa vor Schönholz und dem Borussiapark: https://pankowerchronikdotde.wordpress.com/2017/07/09/die-villa-vor-schoenholz-und-der-borussiapark/

Geschichte zur Villa vor Schönholz: https://pankowerchronikdotde.wordpress.com/2022/11/11/die-villa-vor-schoenholz/

Verlinkte Presseberichte:

16.01.2023

https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article237386575/Sambia-Villa-in-Pankow-Angst-dass-nur-der-Abriss-bleibt.html

02.03.2023

https://www.berliner-woche.de/pankow/c-politik/botschaftsvilla-in-schoenholz-verfaellt-immer-mehr_a371042

03.02.2023

https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article237534479/Sambias-Villa-in-Pankow-Drama-nimmt-hoffnungsvolle-Wendung.html

20.04.2023

https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article238184027/lost-place-villa-schoenholz-pankow-botschaft-sambia-ruine-petition-reparation-sanierung.html

19.06.2023

https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article238728395/lost-place-sambische-villa-durch-brand-fast-vernichtet.html

23.06.2023

https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article238767239/lost-place-sambische-villa-brand-haus-bleibt-schutzlos.html

Lars Bocian (CDU) :

https://www.lars-bocian.de/blog/villa-vor-schonholz

Autor: Christian Bormann

red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Billy Jazosch, Lars Bocian, historische Ansichtskarte, Feuerwehr Berlin

Luftbild : Guido Kunze

Das bulgarische Geisterkonsulat und der Geheimtunnel

In der Beuthstraße 6/7 am Brosepark steht ein Millionengrundstück im Dornröschenschlaf und siecht so langsam vor sich hin. Es ist so gut wie nichts bekannt über das Anwesen. Dass es zu DDR-Zeiten erbaut wurde, sieht man der Architektur an. In einigen Online-Straßenkarten wird das Gebäude fälschlicherweise als Bulgarische Botschaft beschrieben.

ehem. bulgarisches Konsulat am Brosepark, Oktober 2022

Die Bulgarische Botschaft in der DDR hatte ihren Sitz in der Berliner Straße in Pankow, genauer gesagt in der historischen Villa des jüdischen Zigarettenfabrikanten Garbaty. Ihr heutiger Sitz ist in der Mauerstraße 11. Das Anwesen in der Beuthstraße 6/7 war das bulgarische Konsulat.

Luftaufnahme ehem. bulgarisches Konsulat Beuthstraße 6/7, Dezember 2022

Während die Botschaft eines Landes auf Regierungsebene arbeitet, kümmert sich ein Konsulat in der Hauptsache um die Angelegenheiten der eigenen Bürger im Gastland der Vertretung. Dem Konsulat in der Beuthstraße kam bis in die achtziger Jahre besondere Bedeutung zu.

vorgesetzte Anliegerwohnung des Konsulats mit Tiefgarage, Mai 2023

Aus der historischen Aufarbeitung der DDR Stasiunterlagen ist heute einiges über die besonders intensive Zusammenarbeit des MfS (Ministerium für Staatsicherheit) und dem DS der Bulgarischen Staatsicherheit bekannt. Im Kern ging es um die Identifizierung von potentiellen Republikflüchtlingen und die Verhinderung einer Republikflucht zum Nachteil der Deutschen Demokratischen Republik. Als operatives Objekt kommt hier die Beuthstraße als konsularische Vertretung Bulgariens in Ost-Berlin ins Spiel.

Rückseite des Konsulats mit Garten und Terasse, Juni 2023

Mit dem Bundesgesetzblatt Jahrgang 2014 Teil II Nr. 15, ausgegeben zu Bonn am 25. Juni 2014 über die deutsch-bulgarische Vereinbarung über die gegenseitige Übertragung von Eigentum an Grundstücken in Berlin und Sofia vom 10. April 2014 erkennt die Bundesregierung das Eigentum am Grundstück der Republik Bulgarien an.

Die Republik Bulgarien verfügt seit 2014 über mehrere Grundstücke in Berlin als Eigentümerin. Das Grundstück in Berlin-Pankow, Beuthstraße 6/7, eingetragen beim Amtsgericht Lichtenberg im Grundbuch von Pankow, Blatt 2678N unter der laufenden Nummer 1, Gemarkung Pankow, Flur 43119, Flurstück 475 mit einer Größe von 2960 Quadratmetern ist also Bulgarisches Eigentum.

Pankow hat inzwischen so einiges an Erfahrung mit leerstehenden Botschaften und Konsulaten. Die berühmtesten zwei Beispiele sind die Irakische Botschaft in der Tschaikowskistraße und die Villa vor Schönholz. In beiden Fällen muss der Bezirk dem Verfall tatenlos zusehen, wobei der Skandal um die historische Villa vor Schönholz inzwischen internationale Kreise zieht.

Ein gutes Beispiel ist die ehemalige Botschaft Australiens in der Grabbeallee. Nach der Rückübertragung gab es einige Zwischennutzer wie Tape TV, so verfiel das Gebäude nicht und wird jetzt zu einer dringend benötigten Schule umgebaut. Im Fall unseres Geister-Konsulats haben wir zwei eingerichtete und gut versiegelte Gebäude. Der gute Zustand trotz jahrelangem Leerstand lässt sich sicherlich auch durch die Kameraüberwachung erklären.

Beide Gebäude sind weitgehend beräumt und bis auf Möbel und einige technische Hinterlassenschaften fast besenrein. Im Hochparterre befinden sich eine Gemeinschaftsküche, Speise- und Tanzsaal. Hinzu kommen kleinere Aufenthaltsräume mit Umkleide und WC. Diese Etage war für Empfänge und ähnliche Veranstaltungen gedacht. Die Kristallkronleuchter und das Klavier erinnern an Zeiten, in denen das Gebäude noch belebt war.

Eine Etage höher befindet sich das Konsularbüro. Dem schließen sich Küche, Saal, WC mit Badewanne und separaten Gästeräumen an. Als letztes bleibt der noch der Blick in den Keller. Hier möchten ich heute ein gut gehütetes Geheimnis lüften. Der Keller war als Sicherheitsbereich nur über eine Tür mit Klingel zu betreten.

Hinter der Kellertür befindet sich der Flur, Feuchtigkeit lässt die Farbe von der Decke fallen. Hinter den Türen befinden sich zum Teil Technik- und Lageräume. Zwei alte Rheinmetall-Schreibmaschinen, einige Telefone und zahlreiche Leuchtkörper haben sich erhalten. Soweit nicht ungewöhnlich.

Kellergeschoss vor den Schutzräumen, Juni 2023

Ein kleinen Sprung um die Ecke befinden sich dann Luftschutztüren zu einem besonders gesicherten Bereich.

Mit der ersten Luftschutztür steigt die Spannung, die gute Erhaltung der Räumlichkeiten vereinfacht es auch nach so vielen Jahren Leerstand, noch die Nutzung der Zimmer zu erkennen. Als erstes ist ein Mannschaftsumkleideraum zu erkennen.

Mannschafts- oder Gruppenumkleideraum im Keller, Juni 2023

Dem schließt sich ein großer abgestufter Aufenthaltsraum mit Kamin und Deckenkunstwerk aus Holz an. Bei dem Holzkunstwerk dürfte es sich wohl um ein Designobjekt handeln das heute noch wie damals einen erheblichen finanziellen Wert darstellt.

Aufenthaltsraum im Keller mit Kamin und Deckenkunstwerk aus Holz, Juni 2023

Der Mannschaftsumkleideraum war schon etwas auffällig, ansonsten erregte der Aufenthaltsraum bei mir noch kein Verdacht, auch Luftschutztüren wurden zu DDR-Zeiten für alle möglichen Zwecke eingesetzt und waren nicht zwangsläufig ein Hinweis auf Bunker.

Designkunstwerk an der Kellerdecke des Aufenthaltsraums, Juni 2023

Nach zwei Luftschutztüren kommt ein letzter kleiner Kellerraum, etwa 20 Quadratmeter groß, auch hier einige Tische und kleine Möbel. Fast hätte ich sie übersehen. Am Boden der Außenwand befindet sich eine Luftschutzsicherung.

Aufenthaltsraum mit Kamin und Kunstwerk, Juni 2023

Praktisch eine Miniaturtür. Ich öffnete die Tür und konnte kaum glauben was ich sah. Vor mir erstreckte sich eine lange Betonröhre. Ein Kriechtunnel? Langsam dämmerte es mir. Sollte es sich wirklich um einen geheimen Tunnel handeln, durch den das Konsulat unbemerkt betreten und verlassen werden konnte?

Kamin im Aufenthaltszimmer, Juni 2023

Meine Neugier war zu groß. Ein geheimer Kriechtunnel unter dem bulgarischen Konsulat am Brosepark? Das konnte ich einfach nicht glauben. Agententätigkeiten im Gebäude hin oder her, aber das wäre schon eine andere Liga. Nicht einmal die Irakische Botschaft in der Tschaikowskistraße hatte so etwas und dort sollen Agenten des Iraks und Terroristen sich die Klinke in die Hand gegeben haben.

Zugang vom Konsulatskeller in den geheimen Kriechtunnel, Juni 2023

Es half alles nichts, die Neugier war größer als die Platzangst, also ging es jetzt Meter um Meter voran in die Röhre. Kein gutes Gefühl nicht zu wissen, wohin der Tunnel führt. Die Röhre ist gerade groß genug damit Erwachsene auf allen Vieren hindurch kriechen können. Ein Umdrehen war nicht möglich. Zudem ist hier mit Sicherheit seit über 30 Jahren niemand mehr durchgekrochen.

Autor Bormann beim Erkunden des Tunnels unter dem ehem. bulgarischen Konsulat Beuthstraße, Juni 2023

Selbst die wenigen Spinnen, die sich hier nach unten verirrt hatten, sind verhungert. Die Mühe hat sich gelohnt. Nachdem ich die Röhre bis zum Ende gekrochen war, sah ich Leitersprossen. Es war ein kleiner gemauerter Schacht. Ich war froh wieder stehen zu können.

geheimer Kriechtunnel unter dem ehem. bulgarischen Konsulat am Brosepark, Juni 2023

Die Leitersprossen hinauf kam ich an eine Metallklappe. Sie war von innen gesichert. Zu meinem Glück hatte eindringende Feuchtigkeit die letzten 50 Jahre die Sicherung verrosten lassen. Sie war nur noch Makulatur. Vorsichtig öffnete ich die Metallklappe und gelangte wieder ins Freie.

versteckter Tunnelausgang, Juni 2023

Meine Erleichterung war groß, als ich wieder heil in einem ehemaligen Teil des Broseparks stand. Es war also jetzt bewiesenermaßen ein geheimer Kriechtunnel. Wie Tunnel und Mannschaftsräume im Keller zusammen hängen, lässt sich noch nicht sagen. Auf jeden Fall hat das Gebäude nach Jahrzehnten sein Geheimnis preisgegeben.

Luftaufnahme ehem. bulgarisches Konsulat und Brosepark, Blickrichtung Fernsehturm, Januar 2023

Bleibt zu hoffen, dass das Gebäude schnell wieder genutzt wird, bevor die Schäden durch Leerstand diese kleine architektonische Perle am Brosepark zerstören. Das Grundstück darf nicht betreten werden und ist kameraüberwacht.

Audiobeitrag Deutschlandfunk. Irakische Botschaft, Anatomie- und Spreepark Berlin mit Christian Bormann.

https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=pfbid0ZY11qvkHGxPf43hNw2bCPrKmQQ1zm7HbNZQh2zStvJ4GBMQNzFYAUn1t9p28Ujj2l&id=100067457917674

Autor: Christian Bormann

Red.Bearbeitung: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Guido Kunze, Billy Jazosch

Die Waffenkammer und der Munitionsbunker der DDR-Regierungseskorte in Weißensee

Hinter dem roten Backsteinbau Berliner Allee, Ecke Liebermannstraße steht noch ein unscheinbares Verladegebäude der Raspe-Werke, bewacht von einem alten BT-6 Postenturm. Bei dem zweistöckigen Gebäude mit Keller und Gleisanschluss an die Industriebahn handelt es sich um einen Teil des Apparate-Werkes Carl Otto Raspe. Das kleine Fabrikgebäude wurde schon 1939 errichtet, hier begann die Rüstungsproduktion.

Raspe schloss 1941 einen Rüstungsgütervertrag mit dem Deutschen Reich. Im Anschluss bekamen die Brüder Hans und Carl Otto Raspe einen Kredit der Bank der Deutschen Luftfahrt AG. Sie mussten schnell expandieren, der gesamte L-förmige rote Backsteinriegel Berliner Alle Ecke Liebermannstraße wurde 1941 als Erweiterung der Raspe-Werke nach den Plänen von Richard Schubert für die Kriegsgüterrüstung gebaut. Heute ist der Gebäudekomplex unter dem Namen Askania-Werke am geläufigsten.

Denn ab 1943 wurden die ausgebombten Askania-Werke in den Raspewerken untergebracht. Beide Betriebe arbeiteten jetzt fast ausschließlich an der Fluginstrumentenfertigung. Kurz nach Kriegsende, im August 1946 zieht die SAG „Sowjetische Aktiengesellschaft in Deutschland“ in das Werk ein und übergibt es 1953 dem Ministerium für Staatsicherheit.

Während im Hauptgebäude mehrere Polizeidienststellen und das MfS sitzt, kommt dem alten Gebäude an der Industriebahn eine besondere Verwendung zu. Hier hat die Hauptabteilung Personenschutz die Motorradeskorte der DDR-Staatsregierung und das Wachbataillon untergebracht. Im Keller befinden sich die Raumschießanlage, die Waffenkammer und der Munitionsbunker.

Die Aufgaben der Regierungseskorte und des Wachbataillons waren zahlreich. Vom einfachen Objektschutz durch das Wachbataillon über die mobile Sicherung von Regierungsmitgliedern bei Veranstaltungen oder Reisen bis hin zum Schutz der Siedlung Wandlitz fiel vieles darunter. Nicht zufällig lag das Objekt an der Protokollstrecke nach Wandlitz. Während das Hauptgebäude an der Liebermannstraße schon seit Ewigkeiten saniert ist, hat sich auf dem Hof das alte Raspe-Werksgebäude am Gleis der Industriebahn erhalten.

Die Nordseite des Gebäudes ist noch von der Werksmauer umgeben und die Einfahrt heute zugewachsen. Der Gleisanschluss samt Prellbock aus den 1940er Jahren ist ebenso erhalten wie der 1970 vom Ministerium für Staatsicherheit errichtete Postenturm auf der alten Werksmauer. Selbst ein Teil der Signaldrahtanlage aus den 1970ern steht noch komplett erhalten auf ihr.

Eine unscheinbare Stahltür hinter Büschen war der einstige Werkseingang, dahinter befindet sich das Treppenhaus, heute der unscheinbarste Teil des Objekts, aber auch der am besten erhaltene.

Vom Hof der ehemaligen Askania-Werke aus gibt es eine Zufahrt für die Motorradeskorte in die im Keller gelegene Kraftradhalle. Ein paar Meter weiter an der Rückseite befindet sich der gesonderte Personenzugang der Eskorte und dahinter der Durchgang zum Schießstand, genauer gesagt zur Raumschießanlage, dem sogenannten Tunnel.

Ulbricht, Grotewohl und Chruschtschow auf der Protokollstrecke Ossietzkystraße zum Schloss Niederschönhausen, geschützt von vom Ministerium für Staatsicherheit Hauptabteilung Personenschutz, Motorradeskorte, Mai 1960

Von hier aus wollen wir unseren kleinen Rundgang durch die vergessene Waffenkammer und den Munitionsbunker starten. Als erstes geht es etwa zwei Meter die Treppen nach unten zur noch eingerichteten Umkleidekammer. Der Zahn der Zeit und das ständig eindringende Grundwasser haben die Holzeinbauten zusammenfallen lassen.

Umkleideschränke, Zugang zum Tunnel, Mai 2023

Das Tor der Eskorte, von hier aus geht es zum Tunnel der Raumschießanlage. Die meisten Einbauten wurden schon entfernt, der Verwendungszweck als Schießstand ist aber noch gut zu erkennen. Auf dem Boden liegen einige verkohlte Brandreste. Am Ende des Tunnels befindet sich eine Schleusentür zur Waffenkammer.

Im gesamten Keller riecht es modrig, kalt zieht es durch die Schleusentür als ich die Waffenkammer betrete. Unglaublich, die Waffenschränke, Tresore und Regale stehen alle noch an Ort und Stelle. Hier ist die Zeit vor 30 Jahren stehen geblieben, genauer gesagt am 23. Juni 1990. Zwanzig Vertreter des Runden Tisches Weißensee, darunter der Ingenieur Gert Schilling, später Bürgermeister von Weißensee, forderten Einlass in das Objekt des Ministerium für Staatssicherheit.

Der wurde Ihnen auch gewährt, was sie fanden, war unglaublich. Mitten im Wohngebiet stießen sie auf acht Waffenkammern und einen Munitionsbunker. Eine der Waffenkammern sowie der Munitionsbunker sind bis heute hier im alten Teil des Raspe-Werks erhalten geblieben.

Die rauen Mengen an Waffen und Munition waren schier unglaublich.

  • 4000 Handgranaten
  • 145 Panzerfäuste
  • 1089 Gewehre
  • 35 Scharfschützengewehre mit Zielfernrohr
  • 15 Maschinenpistolen
  • 1335 Pistolen

Die Zahl der Mitarbeiter des Wachbataillons Abt. Objektschutz wird auf 300 bis 800 geschätzt, die Eskorte soll bis zu 40 Mitarbeiter gehabt haben. Die Waffenkammern und der Bunker wurden unter Aufsicht eines Bürgerrates 1990 abtransportiert.

In das Hauptgebäude an der Berliner Allee Ecke Liebermannstraße zogen 1990 das Bezirksamt und das Finanzamt ein. Das kleine Werksgebäude Neumagener Straße samt Waffenkammer und Munitionsbunker fiel in den Dornröschenschlaf. Hier stehen sie bis heute und rosten vor sich hin. Schwere Tresore und Waffenschränke. In mehreren Räumen befinden sich Schwerlastregale für Waffen und Zubehör.

Eine schwere Gittertür fällt sofort auf. Dahinter befindet sich ein kleiner Flur mit mehreren Kammern, die mit Schleusentüren versehen sind. Es handelt sich um den Munitionsbunker. Hier lagen zeitweise bis zu 4000 Granaten.

Munitionsbunker, Mai 2023

Der Zugang zum Treppenhaus ist in Sichtweite. Dem Treppenhaus vorgelagert sind Mannschaftshygieneräume mit Toiletten und Waschhalle. Der gute Erhalt erklärt sich wohl aus der schlechten Nutzbarkeit wegen eindringendem Grundwasser und dem Denkmalschutz der Raspe-Werke.

Der Kraftradhalle ist noch ein Raum vorgelagert. Ich traue meinen Augen kaum, als ich über die Steuerunterlagen mehrerer Tausend Berliner stolpere. Ganz unbekannt ist mir der Anblick nicht. Bereits 1998 hatte ich als Jugendlicher Akten aus den verwaisten Werksgebäuden an der Liebermannstraße gesichert. Aber nach über 30 Jahren noch Steuererklärungen vom damals hier ansässigen Finanzamt zu finden, war eine Überraschung.

Es handelt sich um Steuererklärungen aus allen Bereichen aus den Jahren 1980 bis 1989 Berlin-Ost. Wahrscheinlich hat das Finanzamt in der ehemaligen Kraftradhalle der Eskorte Aktenbestände vor Ihrer Vernichtung gelagert. Warum diese hier einen Raum weiter liegen blieben, ist nicht bekannt.

Die Kraftradhalle ist in einem guten Zustand und wird als Hausmeisterwerkstatt für das ehemalige Askania-Werk genutzt. Hier haben heute viele Künstler ihre Räumlichkeiten.

Von den Einbauten der Kraftradhalle ist heute noch die Abgasentrauchungsanlage erhalten geblieben. Ebenerdig sollte sie die Abgase der ein- oder ausfahrenden Motorradeskorte absaugen, um Vergiftungen zu verhindern.

Die Kraftradhalle hat eine eigene Kellereinfahrt für die Motorradeskorte, durch diese verlasse ich das alte Raspe-Werk wieder auf den Hof der ehemaligen Askania-Werke.

Einfahrt in die Kraftradhalle der Eskorte, Zufahrt Hof Askania-Werk, Mai 2023

Das Gebäude ist nicht öffentlich zugänglich und gut gesichert. Bleibt zu hoffen, dass diese gruselige Zeitkapsel noch lange erhalten bleibt.

Informationen zu Hans und Carl Otto Raspe Apperatewek Weißensee Rüstungskredit:

https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/YEIFII3FOM3HEYQI32LGDMGEPN6LRBTK

Informationen zu Objektem, Mitarbeitern und Funktionen des Ministerium für Staatsicherheit:

http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/BStU_MfS_BV-Berlin_AKG-PI-Hhsch/index.htm?kid=f6d9271c-5622-43d6-be4d-3b62d26dd38d

Link: 360° interaktives Panorama:

https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=pfbid0dkBLh4orqm8mTd8UPDcAbCHSBiPoc8magH6FVrHZdu13PyfYGN37x5crKUeHP8WDl&id=100067457917674https://m.facebook.com/story.php?

Autor: Christian Bormann

Redaktionelle Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Guido Kunze, Bundesarchiv

Quellen: Berlin Pankow aus der Orts und Baugeschichte, BstU, Deutsche Digitale Datenbank

Der MfS-Postenturm in Weißensee

Wir befinden uns in der Neumagener Straße 33, zwischen dem alten Askania-Werk und dem Gebäude vom VEB Stern-Radio Berlin. Zwischen den zwei großen, altehrwürdigen und bekannten roten Backstein-Werken befindet sich ein Verladegebäude mit Gleisanschluss zu einer Seite und LKW-Laderampe zur anderen.

Ein unscheinbares altes Wellblechtor, vor dem sich von Moos überwachsene Betonplatten und Gleisreste befinden, ist der Eingang zu einem ganz besonderen Lost Place. Hinter dem Tor befindet sich ein alter MfS-Postenturm.

Im Sommer durch die üppige Vegetation kaum zu sehen, bietet sich dem Betrachter im Winter ein ganz anderer Anblick. Glaubt der Laie doch, hier vor einem Grenzwachturm der DDR zu stehen. In Weißensee?

Weit gefehlt! Der Wachturm vom Typ BT6 wurde nicht nur zur Grenzsicherung eingesetzt. Er war viel mehr der Standardbausatz seiner Zeit und sollte ab 1969 die Holzwachtürme ersetzen. Die Grenzwachtürme sind in Erinnerung geblieben und so werden sie oft sofort mit der innerdeutschen Staatsgrenze in Verbindung gebracht. Beim Typ BT6 handelt es sich noch um eine der ersten Varianten eines Wachturms. Der Turm bestand aus Betonringen und einem Aufsatz, der je nach Größe des Ausgucks um mehrere Betonwaben erweitert werden konnte.

Zum Vergleich, der fast gleiche Typ,  wie er am Stasigefängnis Hohenschönhausen zu finden ist, hat größere Betonringe, davon noch mehr, um Höhe zu gewinnen und auch die Turmkuppel hat mehr Seitenwaben und ist somit um einiges größer. Der Postenturm Neumagener Straße ist denkmalgeschützt und Baujahr 1970. Wie kommt der Turm aufs Werksgelände und was bewachte der Posten?

Der Turm überwacht die alte Güterverladehalle und den Werkshof der ehemaligen Askania-Werke. Das Askaniahaus und die Erweiterung, Berliner Allee, Ecke Liebermannstraße wurden 1939 auf Geheiß der Luftfahrtindustrie gebaut. Mit der Eroberung Berlins durch die Siegermächte wurde das Askania-Werk von den Sowjets beschlagnahmt. Ab 1953 zog das Ministerium für Staatssicherheit mit der Hauptabteilung für Personenschutz in das Objekt ein. Umliegende Gebäude wurden teilweise von der Polizei genutzt.

Die Hauptabteilung Personenschutz hatte bis zu 3800 Mitarbeiter. Ihr Aufgabenbereich lag im Schutz der Staatsführung, ihrer Gäste und der Absicherung von Auslandsaufenthalten der Regierungsangehörigen. Das Gelände im Norden von Weißensee hatte nicht nur die benötigte Größe, es lag auch noch günstig für Einsatzkräfte auf der Protokollstrecke nach Wandlitz.

Protokollstrecke Ossietzkystraße, Ulbricht und Grotewohl mit Staatsgast Chruschtschow, 19. Mai 1960

Im Gebäudekeller befand sich die bis heute erhaltene Waffenkammer und die Eskorte, gleich darüber saß das Wachbataillon. Das Gelände muss in den 1980er Jahren einer Festung geglichen haben. Nicht nur der Postenturm weckt Erinnerungen an die Berliner Mauer.

Beim genauen Hinschauen ist eine einzelne Leitersprosse auf der Mauer zu erkennen. Unglaublich, es ist die baugleiche Signaldraht-Meldeanlage wie auf der innerdeutschen  Staatsgrenze. Die Drähte sind weg aber der komplette technische Aufbau ist original erhalten.

Während der Hof zwischen den ehemaligen Askania-Werken und der Güterhalle jetzt eine Künstlerstadt beherbergt, erinnert außer einer großen DDR-Wagenhalle an der Einfahrt Neumagener Straße nichts mehr an den Hochsicherheitsbereich des MfS. Anders verhält es sich hinter dem Güterschuppen auf der Bahnsteigseite,hier haben viele bauliche Zeitzeugen die Zeit überdauert. Angefangen vom Postenturm, über das Verladegleis bis hin zur Signal-Meldeanlage haben sich hier sicher noch mehr Fundstücke erhalten.  

Das Gelände ist öffentlich nicht zugänglich und wer einen Blick auf den Turm werfen möchte, tut das am besten im Winter, dann ist er von der Neumagener Straße aus zu sehen. In weitaus besseren Zustand sind die Wachtürme am Stasigefängnis Hohenschönhausen. Wer sich für die Thematik interessiert, kann hier eine Führung buchen.

Nächsten Samstag nehmen wir Euch mit in die MfS Waffenkammer Weißensee. Trau Dich. Abonniere uns. Keine Newsletter, kein Spam!

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann

Luftaufnahmen: Guido Kunze, Christian Bormann

Die vergessenen Tresorfächer im alten Güterbahnhof Schönholz.

Heute möchte ich den alten Güterbahnhof Schönholz vorstellen. Das Planungsverfahren für den neuen ICE-Parkplatz soll bis 2025 abgeschlossen sein. Anlass genug, das interessante Waldstück entlang der Straße am Bürgerpark noch einmal zu dokumentieren und der Öffentlichkeit vorzustellen. Das Areal beziehungsweise ein kleines Anschlussgrundstück an der Einfahrt zum Bahnhof machte bereits im Februar 2018 weltweit Schlagzeilen. Hier stehen die Reste der denkmalgeschützten Berliner „Ur-Mauer“.

Nordöstlich vom eigentlichen Bahnhof Schönholz liegt der Güterbahnhof Schönholz. Wir beginnen mit der Eröffnung am 10. Juli 1877 als Bahnhof Reinickendorf. Der Bahnhof liegt noch ebenerdig zum Umland und hat nur einen Außenbahnsteig. 1878 erfolgt die erste Umbenennung in Schönholz (Reinickendorf).

Ab 1. Mai 1911 trägt der Bahnhof den Doppelnamen Schönholz-Reinickendorf. Schon 1893 wird der Außenbahnsteig zum Mittelbahnsteig und die Kremmener Bahn wird angeschlossen. Jetzt ist Schönholz-Reinickendorf ein Umsteigebahnhof und bekommt 1896 ein Empfangsgebäude.

Nur fünf Jahre später wird das Empfangsgebäude schon wieder abgerissen. Die komplette Strecke wird von 1901 bis 1903 auf den heutigen Bahndamm gebaut und der Bahnhof so wie wir Ihn heute kennen errichtet. Zwei Ferngleispaare wurden gelegt, die Gleise der Kremmener Bahn umgesetzt und vom Bahnhof Schönholz-Reinickendorf getrennt. Am 5. Juli 1925 fuhren die ersten elektrischen Bahnen auf der Trasse. Dadurch wurde Schönholz-Reinickendorf zum S-Bahnhof.

Der Mischbetrieb von S-Bahn und Dampflok wird 1927 zugunsten der S-Bahn eingestellt, das Aus für den Dampflokomotivenbetrieb am Personenbahnhof Schönholz. Das endgültige Aus für den Lokomotivbetrieb in Schönholz war aber erst in den 1960er Jahren. Aber selbst hiervon sind für den kundigen Beobachter noch Spuren zu finden. Der separate Versorgungsbahnsteig für die Dampflok nebst Unterstand ist noch erhalten.

Im Jahr 1938 bekommt der Bahnhof seinen heutigen Namen Berlin-Schönholz. In den 1940er Jahren herrscht Hochbetrieb auf dem Güterbahnhof. Kriegsgüter und Zwangsarbeiter beherschen das Geschehen. Das Lunalager im ehemaligen Vergnügungspark Schönholzer Heide, in dem Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa untergebracht waren ist nur wenige hundert Meter enfernt in Sichtweite.

Durch die verherenden Luftangriffe auf Berlin ruht der Bahnverkehr erstmals 1945. Der Bahnhof ging jetzt an die Siegermächte. Und diente vor allem den Sowjets als Verladebahnhof für Materielle Kriegsreparationen. Das hieß, die Sowjets demontierten die Maschinenparks im Norden von Pankow und Reinickendorf, in denen zuvor die Zwangsarbeiterinnen Kriegsgüter fertigten.

Luftaufnahme Güterbahnhof Schönholz 1928

In der Schönholzer Heide wurden die Beschlagnahmungen zwischengelagert und dann über den Güterbahnhof Schönholz in die damalige Sowjetunion verbracht. Als Unterkunft nutzten die Sowjets noch einige Zeit die Reste des Zwangsarbeiterlagers.

In den 1950er Jahren wird es ruhig um den Bahnhof. Seine besten Zeiten waren wohl 1900 bis in die 1930er Jahre, denn es war der Bahnhof über den die Berliner und Ihre Gäste zu den Vergnüglichkeiten in die Schönholzer Heide kamen. In der Villa vor Schönholz aber auch im Schützenhaus , im Schloss Schönholz und später in den 1930er Jahren in Berlins größten Vergnügungspark „Traumland Schönholz“ lies es sich gut feiern. Wer kennt nicht den Gassenhauer „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“.

Am 13. August 1961 war schlagartig Schluss mit der Ruhe. Bewaffnete Organe der Nationalen Volksarme und Unterstützerkräfte errichteten eilig eine Personen- und Fahrzeugsperranlage mit Kontrollpunkten auf der Grenze zwischen Reinickendorf und Pankow. Die Stunde der Berliner Mauer hatte geschlagen. Damals noch eine Behelfsanlage aus allem was da war. Später wurde die ursprüngliche und uneinheitlich gebaute Berliner Mauer durch die heute noch bekannten weißen „L-Teile“ aus Beton ersetzt.

Hierbei gab es an der Einfahrt zum Güterbahnhof eine Besonderheit. Die erste Berliner Mauer wurde noch genau auf der damaligen Bezirksgrenze errichtet. Die DDR-Regierung ersetzte die Behelfsgrenzanlage mit den Weißen „L-Teilen“ aus Beton. Die Mauer sollte nicht nur ihres schäbigen Aussehens wegen ersetzt werden sondern auch, um Republikflüchtlinge vor dem weiß angestrichenen Betonhintergrund besser erkennen zu können.

In der Schützenstraße, an der Einfahrt zum Güterbahnhof, kam es zu einer Abweichung. Die Bezirksgrenze bildete hier eine so spitze Flucht, dass man sich dazu entschied, die weißen „L-Teile“ auf der Einfahrt zum Güterbahnhof vorzuziehen. Das machte den Grenzverlauf sicherer, da der Abschnitt jetzt mit weniger Personal und Technik noch besser überwacht werden konnte.

Während die ursprüngliche erste Berliner Grenzmauer verschwand und ersetzt wurde, blieb sie in Schönholz mitsamt ihrer technischen Erstaufbauten, wie Menschenfang und Meldedraht bis heute stehen. Für den Abriss Ressourcen einzusetzen, die im Aufbau Ost knapp waren, bestand kein Anlass, denn die schäbige „Ur-Mauer“ war ja hinter der neu errichteten Grenzanlage nicht zu sehen.

Luftaufnahme Berliner Mauer, „Ur-Mauer“ Schönholz, Januar 2018

Auch beim Abriss der Berliner Mauer, den ich als direkter Anwohner in meiner Kindheit miterleben durfte, gab es niemanden, der die alte Grenzanlage erkannte. Warum auch? Die DDR hatte das kleine Dreieck Pankow in den 80er Jahren an die BRD verkauft. Es lag eh seit Jahren ungenutzt hinter der Mauer. Die DDR brauchte Devisen und die BRD kaufte aus Prinzip jeden Quadratmeter DDR.

Zum Zeitpunkt des Mauerabrisses gab es also keinen Grund, auf Westberliner Territorium eine zweite Berliner Mauer, also eine „Ur-Mauer“ zu suchen. Um so größer war die weltweite Überraschung und das darauf schnellste Denkmalschutzverfahren, das mir in Deutschland bekannt ist. Heute ist die Berliner „Ur-Mauer“ akut bedroht und wartet darauf, aus Ihrem Dornröschenschlaf geweckt zu werden.

Als Güterbahnhof Schönholz kennen viele heute den Güterschuppen oben auf dem Bahndamm. Tatsächlich ist dieser aber nur ein kleiner Teil der Gesamtanlage. Ebenerdig entlang der Straße am Bürgerpark und der Schützenstraße verläuft ein fast rechteckiges Waldstück. Im Vorbeifahren kann man noch schemenhaft von Bäumen überwachsene Gleise und Prellböcke durch die dichte Vegetation erkennen.

Mit dem Mauerbau blieb auch hier die Zeit stehen. Die Nordgleisanlage verlief in 2 Meter Abstand zur Berliner Mauer. Heute noch gut durch den nachgepflasterten Mauerverlauf zu erkennen. Für den unteren Güterbahnhof war es das Aus, wie die inzwischen gut 50 bis 60 Jahre alten Bäume auf den Gleistrassen zeigen. Es sind gar keine Trassen mehr sichtbar, sondern Waldboden, in dem die Gleisanlage noch erhalten ist.

Zur Gleisanlage gehören heute noch drei Gebäude, wobei vom Hauptbau nur noch ein geklinkerter roter Pfeiler und die Reste der Fundamentstreifen übrig sind, einige Aussenwände und Pfeiler liegen noch so, wie sie vor Jahrzehnten umgefallen sind. Ende der 1990er Jahre war hier noch mehr zu sehen. Der Panzerschrank im kleinen Wiege- und Zahlhaus stand damals noch. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Tür schon fehlte. Er ist von einfacher Bauart und die Wände mit Beton ausgegossen. Wohl auch der Grund, dass er nach Jahrzehnten unter freiem Himmel immer noch liegt, wo er 1877 abgestellt wurde. Neben der Kutschwagenwaage ragte damals ein etwa vier Zentimeter langes Rohrstück aus dem Boden.

Vorsichtig zog ich daran, doch es bewegte sich kein Stück. Ich wollte das Grundstück damals nur in Augenschein nehmen, also hatte ich nicht mehr als meine Hände. Die Neugier war geweckt und so fing ich an, das Rohrstück von Erde freizukratzen. Schnell entpuppte sich das kleine runde Rohrstück als Teil einer Kurbel und es sollte noch mehr dran hängen. Nach einer halben Stunde hatte ich keine Fingernägel mehr, aber einen gut 50 Kilo schweren Wagenheber um 1900 in der Hand. Ein schönes historisches Fundstück. Liegen lassen kam nicht in Frage, also kam der Wagenheber ins Magazin wo er bis heute darauf gewartet hat, dass seine Geschichte erzählt wird.

Einige Meter die Gleise entlang Richtung Kinderbauerhof verbirgt sich noch ein spektakuläres Geheimnis. Hier liegt der Eingang beziehungsweise von Osten kommend der Ausgang des ersten Berliner Fluchtunnels. Eine Liebesgeschichte wie aus dem Buch. Waltraut Niebank und ihr gerade geehlichter Mann werden durch den Mauerbau getrennt. Er gräbt sich vom Güterbahnhof unter der Straße durch und legt einen Fluchtunnel für seine geliebte Frau an. Am 18 Dezember 1961 flüchtet Frau Niebank vom gegenüberliegenden Friedhof am Bürgerpark. Der Tunnel bleibt tagelang unbemerkt. Dutzende, so erzählen es Zeitzeugen, sollen den Tunnel noch Stunden später benutzt haben. Die Grenztruppen bekamen Wind vom Fluchttunnel und stellten den nächsten vermeintlichen Republikflüchtlingen eine Falle die dann auch zuschnappte.

Den Bahndamm hinauf steht noch ein kleines Schmuckhäuschen. Die Unterkunft für Stellwerkschlosser. Da der Damm erst 1901 gebaut wurde, um den neuen Bahnhof darauf zu setzen, müsste auch die Unterkunft für Stellwerkschlosser auf 1901 bis 1903 zurück gehen. Trotz mehrerer Brandstiftungen ist das Haus in einem bemerkenswerten Zustand und schnell wieder herzurichten.

Das edle kleine Häuschen liegt mit dem Rücken zum Hang und der alten Anlage. Die Front hingegen verläuft parallel zum breiten Pflasterweg der von der Einfahrt Schützenstraße lang ansteigend den Damm bis zum Güterlockschuppen hinaufgeht. Die Ruine empfängt heute jeden, der vor dem Lokschuppen den alten Pflasterweg hinauf kommt.

Der altehrwürdige Güterschuppen ist für viele das Einzige was sie als Güterbahnhof Schönholz kennen. Das Gesicht des Güterbahnhofs ist er ohne Frage, aber eben nur ein kleiner Teil der noch erhaltenen Anlage. Die Feuerwehr kann ein Lied davon singen, zahlreiche Kleinfeuer löschten sie die letzten zehn Jahre. Heute ist das Gebäude versiegelt. Fast zu spät, aber auch im Güterschuppen haben sich Originale Ihrer Zeit erhalten und die Wiederherstellung der denkmalgeschützen Halle wäre schnell und günstig zu bewerkstelligen.

Doppelseitige Stahlschiebetüren mit Wellblech abgeblendet sind wohl noch original aus der Zeit. Was die Fenster anbelangt, so gibt es hier nicht eine einzige heile Scheibe. Es gibt gar kein Glas mehr. Auf dem inzwischen fast als historisch zu bezeichnendem Bild von 1998 hingegen sind die Fenstergläser fast alle intakt. Im Inneren haben Obdachlose lange genächtigt, das zeigen die verbliebenen Spuren, aber auch Kabeldiebe konnten hier scheinbar in Ruhe arbeiten.

Abgesehen vom vielen Müll, der in das Gebäude eingetragen wurde ist das Innere immer noch sehenswert. Es ist nahezu im Originalzustand was die Großeinbauten jener Zeit anbelangt. Da wäre zum Ersten der verschließbare Gütergepäckkäfig als Holzaufbau, scheinbar haben einige Halbstarke desöfteren dagegen getreten, um ihn zu Fall zu bringen, so dass er heute etwas schräg da steht. Ihm gegenüber steht der nächste Holzaufbau, hier standen vermutlich Schiebewagen oder Stapelsäcke.

Bei meiner Begehung des Güterschuppens 2014 war ich mit Nadine Kreimeier unterwegs, damals fanden wir einen originalen Umladeschein von 1890 mit der Aufschrift: „Von Schönholz-Reinickendorf nach Rummelsburg. Auch die Begehung im Mai 2023 brachte eine Überraschung zutage. Im Zahlschalterraum stieß ich auf zwei verschlossene Tresortüren. Kaum zu glauben, dass noch niemand sie aufgebrochen hat. ich habe mich auch gefragt, warum ich sie nicht schon viel früher gesehen habe.

Ich wollte es erst nicht richtig glauben und vermutete, dass es sich um Revisionsklappen oder eine ähnliche technische Einrichtung handelt. Aber nein. Es waren Panzertüren mit Tresorschloss. Zu gern wüsste ich, wie es im Inneren aussieht. Ich vermute aber, dass beide Fächer leer sind und die Schlüssel einfach bei der Übergabe des S-Bahnhofs verloren gingen.

Am 9. Januar 1984 übernahm die BVG den Personenverkehr am Bahnhof Schönholz von der Reichsbahn und stellte den Betrieb ein. Wenig später, am 1. Oktober 1984 ging er als S-Bhf Schönholz unter Leitung der BVG wieder ans Netz. Wobei der Güterbahnhof weiterhin der Reichsbahn unterstand. Die Tresorfächer waren spannend, aber aus historischer Sicht zu vernachlässigen. Im Denkmalkontext spannender ist der hintere Teil der Güterhalle.

Hier haben sich bis heute die zwei Güterwaagen erhalten. Mannsgroß sind ihre Anzeigespiegel. Die Waagen sind so massiv, dass sie bis heute allen Zerstörungsversuchen getrotzt haben.

Der Gesamteindruck der Halle ist auf den ersten Blick erschreckend. Das Dach ist marode und auf einer Fläche von knapp 20 Quadratmetern eingstürzt. Auf den zweiten Blick jedoch wird klar, dass die Schäden schnell zu beheben sind und es sich viel mehr um eine Vermüllung und kleinere Brandschäden handelt.

Es bleibt abzuwarten, was der geplante ICE-Parkplatz an Chancen oder Gefahren für den alten Güterbahnhof und die Reste der ersten Berliner Mauer bedeutet. Pankow hat hier ein einzigartiges Areal Berliner, deutscher und europäischer Geschichte auf engstem Raum.

Berliner Geschichte wird hier ab 1770 zu deutscher Geschichte und mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu Europäischer. Krieg, Frieden, Vergnügen, Tod, Trauer, Teilung und Wiedervereinigung sind hier als bauliche Zeitzeugen in Schönholz erhalten geblieben, wie nirgends anders in Berlin.

Den Bahndamm über den Pflasterweg wieder hinunter zum Tor kommen wir noch einmal linksseitig an der Personalunterkunft vorbei. Wer den Damm vom Pflasterweg hinabschaut, wird ein riesiges Betonbecken mit Wasser erkennen. Es gehört zur Pumpstation und ist nur eines von mehreren.

Die Pumpstation gibt es nicht mehr, einige Teilstücke der Berliner „Urmauer“ parallel zum Bahndamm sind Aussenwände dieser, wenn ich die Luftaufnahmen richtig deute. Zwischen Buddestraße und Bahndamm liegen noch die Reste der Wasserbecken.

Von einem Besuch des Güterbahnhof Schönholz auf eigene Faust ist abzuraten. Die Firma Siemens und andere arbeiten inzwischen täglich vor Ort, darüber hinaus steht hier relevante Infrastrukturtechnik, die gut überwacht ist. Wer hier spazieren geht, bekommt umgehend behördliche Begleitung.

Inzwischen ist der kleine Wald nicht nur historisch interessant, auch allerlei Tierarten haben sich das Biotop erobert. Kleiner Wermutstropfen, es ist davon auszugehen das das Erdreich immer noch kontaminiert ist.

Autor: Christian Bormann

red. Berbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann

Luftaufnahmen: Guido Kunze, Christian Bormann

Die Villa vor Schönholz

In Pankow gibt es viele alte Gebäude, bei dessen Anblick dem Betrachter das Herz aufgeht und man sich unweigerlich fragt, welche Geschichte sich hinter der Fassade verbirgt.

Max Rudolph’s Borussia Park, 1901-1908

Eines dieser Objekte ist die Villa Langheinrich, später auch Villa Bollenbach, die Leichenvilla oder Villa vor Schönholz genannt. Sie steht in der Provinzstraße 23 in Pankow-Niederschönhausen.

Restauration Schaller’s „Tivoli“ mit Terrasse rechts im Bild, 1907-1914

Das Gründerzeithaus aus den 1880ern mit seinem klassischen Historismusschmuck aussen wie innen ist ein Hingucker und echtes Juwel. Der erste Besitzer soll ab 1886 Dr. Phil. Ernst Langheinrich gewesen sein. Langheinrich war Direktor der „Preußischen Lebens- und Garantie- Versicherung AG Friedrich Wilhelm“ und wohl auch dementsprechend vermögend. Ernst Langheinrich verstarb 1898 und die Villa wurde 1902 von der Terraingesellschaft Schönholz gekauft, die bis 1918 Eigentümerin blieb.

Einstige Rückseite der Villa, heute Eingang Villa vor Schönholz, November 2022

Schon aus dieser Zeit ist bekannt, dass Max Rudolph in Villa und Garten das Restaurant „Borussia Park“ von 1901 bis 1907 betrieb. Von 1907 bis 1914 betrieb dann der Gastwirt Eduart Schaller seine Gastwirtschaft „Tivoli“. Der dritte Gastwirt war G. Eggert, der seinen Schankbetrieb von 1914 bis 1918 im Hause führte. Der Ingenieur Heinrich Bollenbach erwarb 1918 die Villa vor Schönholz, Bollenbach hatte gleich in der nahegelegenen Buddestraße eine Maschinenbaufabrik.

Villa vor Schönholz, Eingang zum Untergeschoss in die Pseudokrypta, und Podest der ehem. Steintreppe, November 2022

Ab 1920 wurde die Villa von Bollenbach als Mehrfamilienhaus vermietet. Auch das Polizeirevier 291 mietete sich von 1927 bis 1934 in das Haus ein. Als Altersheim wurde es unter dem Namen „Bergpredigt“ das erste Mal von 1934 bis 1938 genutzt. Das Kommando hatte damals Oberin G. Schabel. 1938 erbte die Witwe Martha Bollenbach die Villa und vermietete sie an die Altersheimbetreiberin Martha Richter bis 1945.

Fensterschmuck Muschel mit Blütenband

Wie zahlreiche andere Objekte in Pankow wurde auch die Villa vor Schönholz zum Kriegsende 1945 von den Sowjets in Beschlag genommen. Von 1945 bis 1947 befand sich damals das Polizeirevier 283 Niederschönhausen, Revierzweigmeldestelle Schönholz im Anwesen. Bollenbach wurde dann 1949 offiziell enteignet. Die letzte Gaststätte soll H. Jahn von 1951 bis 1952 im Haus betrieben haben. Das wirklich letzte Gewerbe hatte Marta Markowski inne. Sie betrieb das „Blumenhaus Marta“ auf dem Grundstück.

Leere Kartusche mit Arkantusschmuck

Von 1955 bis 1978 gastierte wieder ein Heim in der Villa. Die DDR hatte hier das Städtische Alters- und Pflegeheim eingerichtet, bevor 1978 bis 1985 die Zentrale Feierabendheim-Verwaltung Pankow einzog. Die letzten fünf Jahre bis zum Mauerfall unterstand die Villa dem Kreisvorstand Pankow der Gesellschaft für Sport und Technik. Das Gewerbeamt übernahm ab 1990 bis zum gelegten Großbrand 1992. Schon hier begann der Untergang des altehrwürdigen Hauses nach über 100 Jahren bewegter Geschichte.

Muschel in Lorbeer gebettet

Von 1992 bis 1998 steht die Villa mit zugemauerten Fenstern im Hochparterre und abgebranntem Dach da. Ich bin 1992 kurz nach dem Feuer als Elfjähriger, angelockt von Aktenbergen im gut einzusehenden Heizhaus, auf dem Grundstück gewesen. Meine Erinnerung beginnt mit dem damals noch vor dem Haus stehenden Heizhaus. Durch eine Lücke im Zaun betrat ich damals den Garten und lief die wenigen Meter zum kleinen einstöckigen Heizhaus hinüber. Mein erster Blick fiel gleich auf den für mich damals riesig wirkenden Ofen. Aus der offenen Luke quollen nur zum Teil verbrannte Aktenordner und Mappen hervor. Ich sah mich weiter um und überall lagen kniehohe Berge von Unterlagen.

Ehemalige Haupttreppe zum Biergarten

Meine Neugier war schon von der Straße aus geweckt worden, jetzt brach das Entdeckerfieber in mir aus. Die zum Teil vermauerte Villa mit ihrem abgebrannten Dach war gespenstisch, aber sie zog mich auch magisch an. Ich lief ein paar Mal um das Gebäude, es war einfach kein Schlupfloch zu entdecken. Der Blitzableiter links vom Balkon weckte meine Aufmerksamkeit. Aus dem Garten heraus war zu sehen, dass die Balkontüren nur angelehnt waren. Es waren gute acht Meter, den Blitzableiter hoch, bis zum Balkon. Es half alles nichts, die abgesteppte Putzfassade ließ sich zusammen mit dem Blitzableiter gut als Kletterhilfe nutzen.

Bauschild von 1998, Botschaft der Republik
Sambia

Das Risiko, von der Straße aus gesehen zu werden, war damals sehr hoch. Ein ordentlicher Adrenalinschub verhalf mir im Nu auf den Balkon. Ich hockte mich hin, um nicht gesehen zu werden und schob vorsichtig die Flügel der Balkontür auf. Bevor ich mich versah, stand ich in einem Dienstzimmer, in dessen Mitte sich drei aneinander geschobene Schreibtische befanden. Ich stand mitten im nur wenige Wochen zuvor abgebrannten Gewerbeamt.

Rest des mächtigen Steintreppenaufgangs in den Biergarten

Im Augenblick meines Besuches war mir nicht klar, wo ich mich befand. Die Schreibtischschubladen waren aufgerissen und überall lagen Dokumente. Ich verlies das Dienstzimmer und betrat den Hausflur, hier dämmerte es mir allmählich. Der gesamte Treppenaufgang war in voller Breite und Höhe mit Akten ausgelegt, vom Erdgeschoss bis unter das Dach, auf dem Dachboden waren sie zu kleinen Bergen aufgetürmt. An verschiedenen Stellen hatte es gebrannt und in Verbindung mit den verbrannten und unverbrannten Akten im Heizhaus war klar, dass hier Dokumente vernichtet werden sollten.

Verschliesbare Drehschränke für Aktenordner im Garten der Villa, November 2022

Vom Dachboden aus war der Himmel durch das offene Dach zu sehen und ich beschloss, mir mal den Keller anzuschauen. Vorsichtig versuchte ich den Treppenaufgang wieder hinunter zu gehen. Nicht so einfach, weil die Stufen mit kiloweise Akten überdeckt waren. So rutschte ich also mehr oder weniger den Ruß geschwärzten Treppenaufgang hinunter bis ins Erdgeschoss. Wärend das erste Obergeschoss und der Dachboden noch lichtdurchflutet waren, wurde es im Erdgeschoss duster. Durch die vermauerten Fenster drang kein Licht.

Reste der Vorlandsicherung der Berliner Mauer im Garten der Villa, November 2022

Vorsichtig tastete ich mich im Restlicht des großen Hausaufgangsfensters voran. Das Erdgeschoss war relativ uninteressant, da es nichts anderes als die erste Etage zu bieten hatte. Aber da war noch der Keller. Schon am Eingang, als ich unter dem Rundbogen zur Kellertreppe stand, war die Hand kaum noch vor Augen zu sehen. Kalte, feuchte Luft strömte die breiten Steinstufen aus dem Keller herauf, es roch furchtbar modrig.

Autor Bormann auf dem Balkon der Villa

Ich nahm all mein Mut zusammen und tastete mich an der Wand entlang die Stufen hinunter. Die Kellerfenster waren alle verhangen, nur ganz selten drang etwas Tageslicht durch einige Spalten. Ich wagte mich einige Meter in den Hauptgang des Kellers. Hier standen einige Sofas und ich erinnere mich an rote und blaue Wandzeitungen zum Wohlgefallen des sozialistischen Bruders. Der Rest des Kellers war zu dunkel, bis hier drang nicht einmal Restlicht. Ein weitergehen hätte keinen Sinn gemacht, wo nichts mehr zu sehen war gab es folglich auch nichts mehr zu entdecken. Gottseidank wusste ich nicht, dass einige Jahrzehnte zuvor hier die für den Ausbau des Todestreifens exhumierten Leichen zwei Wochen lang gelagert wurden. Laut Zeitzeugen beschwerten sich die Anwohner über den Verwesungsgeruch bis die Leichname über Nacht verschwunden waren. Es wurde vermutet das die Gebeine nachts in der Schönholzer Heide vergraben wurden.

Bekrönung der Balkontür, Kartusche umrahmt von Arkantus

Langsam tastete ich mich wieder Richtung Treppenaufgang. Der Keller war mir nicht geheuer. Mein Entdeckerhunger war fast gestillt und so wollte ich zügig wieder raus aus der Villa. Im Balkonzimmer angekommen schaute ich mir nochmal einige Ordner an. Sie begannen zum Teil in der Kaiserzeit und wurden nahtlos von den Nazionalsozialisten und später den DDR-Behörden weitergeführt. Für mich als Elfjährigen waren es wohl damals die Siegel und Stempel in den Akten die mich beeindruckten. Auf Preußische Adlerstempel folgten dann die Adler mit Hakenkreuz. So packte ich ein halbes Dutzend zusammen und betrat den Balkon wieder. An der Villa rollte der Verkehr vorbei und der ein oder andere hatte mich bestimmt schon gesehen.

Heutiger Eingang der Villa im Hausaufgang, früher auch rückwärtiger Wirtschaftseingang

Jetzt musste es schnell gehen. Vorsichtig ließ ich meine Akten an der Fassade hinunter fallen, kletterte über den damaligen Betonsims und griff nach dem Blitzableiter. Die Fassade hochzuklettern war ein Klacks, hinunter half nur die Angst vor der Polizei und den eigenen Eltern, die diese Aktion bestimmt bei Kenntnis ensprechend gewürdigt hätten. Ein beherzter Abschlusssprung in den Garten, dann schnappte ich mir die Akten und sah zu, dass ich nach Hause kam. Beim späteren Betrachten der Dokumente fiel mir so einiges auf.

Eingangsportal zum Hausaufgang

Es handelte sich um Gewerbeunterlagen, teilweise noch vor 1900 angelegt. Von dem halben Dutzend das ich mitnahm, enthielten einige Personendossiers der Staatsicherheit. So gab es da eine Akte über eine Gastwirtschaft oder Kneipe in der Brehmestraße, im hinteren Teil war diese mit einem Anhang versehen. Dem Anhang war sinngemäß zu entnehmen, dass der Wirt eine Vorliebe für junge Männer habe. Da dies im persönlichen Umfeld des Wirtes nicht bekannt war, ließen sich diese Erkenntnisse im Bedarfsfall zur Förderung einer Zusammenarbeit mit den Behörden der DDR nutzen.

Stuckarbeiten im Eingangsbereich des Treppenaufgangs

Schlagartig war mir klar, was es mit dem Feuer auf sich hatte. Die Unterlagen sollten in einer Nacht und Nebelaktion alle mit dem Haus verbrennen. Nur gut, dass die Feuerwehr zu schnell war. Man beließ den Tatort wie er war und vermauerte einfach das Erdgeschoss. So stand das ehemalige Gewerbe- oder Wirtschaftsamt dann bis 1998 als Ruine ohne Dach an der Straße vor Schönholz. Die Botschaft der Republik Sambia kaufte 1998 die Villa und sanierte sie zwar, aber zog nie ein. Seit meinem letzten Besuch im Haus sind gute dreißig Jahre vergangen. Ich fahre fast täglich an der Villa vorbei und habe den Garten und die Fassade im Blick. Mir sind in den letzten zwei Jahren schon von außen Veränderungen am Gebäude aufgefallen, die nur von innen vorgenommen worden sein konnten. Am auffälligsten waren Rollläden, die hochgezogen wurden, obwohl das Gebäude verschlossen und seit Jahren nicht betreten worden war.

Stuckarbeiten im Eingangsbereich

Für mich Grund genug, mal nach dem Rechten zu schauen. In der ersten Novemberwoche war es soweit. Durch das heute noch erhaltene Haupttor zur Provinzstraße 23 betreten wir zu zweit den Garten. Als erstes schaue ich mir die drei grauen runden Tonnen an, die seit Jahren im Garten stehen und liegen. Es sind alte Aktendrehschränke. Sie sind etwa 180 Zentimeter hoch und haben eine Schiebetür. Im Inneren ließen sich Akten auf Drehtellern verstauen. Einige Meter weiter befinden sich Reste der ehemaligen Vorlandsicherung der Berliner Mauer. Sie liegen über einer Senke und wurden über die Jahrzehnte hier vergessen.

Bekrönung des Treppenaufgang

Als nächstes schaue ich auf die Fassade. Wo heute vier Säulen auf einem Betonpodest stehen, war einst der gekrönte Haupteingang mit einer enorm ausladenden Steintreppe. Auch das Dach war gespenstisch bekrönt. Heute sind nur einige wenige leere Kartuschen und Muschelverzierungen mit Arkantusschmuck erhalten geblieben. Auf einer zeitgenößischen Postkarte von Schaller’s „Tivoli“ sind die ursprüngliche Fassade mit Treppe, rechtsseitiger Terrasse und das Dach noch zu sehen. Der Besucher trat also die Treppe hinauf, durch das Gartenzimmer gehend stand er dann am Treppenaufgang des Hauses. Wenn der Aufstieg der Gartensteintreppe dem Besucher noch nicht den Atem genommen hatte dann spätestens der Blick auf den mit Säulen gekrönten Treppenaufgang und seinen pompösen Stuckverzierungen.

Eingang zum Gartenzimmer

Auch mir raubte es den Atem. Vor dreißig Jahren war es im vermauerten Erdgeschoss so dunkel, dass der Deckenschmuck nur zu erahnen war. Die damals rußgeschwärzten Wände des Treppenhauses wurden geweisst und durch die hochgezogenen Rollläden dringt Licht in die gesamte Villa. Erst jetzt erschloss sich mir die volle einstige, auf den Besucher fast einschüchternd wirkende Pracht des gesamten Eingangsbereiches. Die steinerne Eingangstreppe vom Garten wurde im Laufe der Geschichte des Hauses abgetragen und der Außenbereich zu einem Balkon degradiert. Seither wird der ursprüngliche Wirtschaftseingang, historisch gesehen die Hintertür, als einziger Eingang benutzt.

Gartenzimmer mit Ausgang zum Gartenbalkon, ehemaliger Haupteingang, November 2022

Nachdem ich den Anblick von überbordenden Stuckelementen verdaut hatte, sah ich mich im Erdgeschoss um. Vieles war noch im Zustand meines ersten Besuches 1992. Die sanitären Einrichtungen waren saniert, kleine Büros ausgebaut und die Böden waren mit Estrich abgezogen oder man hatte das Parkett saniert. Schon im Erdgeschoss waren die Zerstörungen von Buntmetalldieben zu sehen. Die sanierten Fliesenspiegel waren großflächig eingeschlagen, um an die dahinter befindlichen paar Gramm Kupferrohre zu kommen. In den Büros waren die Rigipswände eingeschlagen und sämtliche Elektroinstallationen rausgerissen. Übriggeblieben waren nur die Reste der Gummiumantelungen der Kupferkabel.

Altes Sofa aus den 1940ern, November 2022

Ernüchtert ging ich den Treppenaufgang hinauf. Ein altes Sofa, das hier vermutlich schon seit Jahrzehnten stand begrüßte mich zerfetzt auf dem Treppenabsatz. Ich schob mich an den Sofaresten vorbei und wie ich befürchtet hatte, sah es im ersten Obergeschoss noch schlimmer aus. Bis zu 20 Personen bewohnen unbemerkt die Villa, sie haben die Büros und Aufenthaltsräume im 1. OG bezogen. Auch hier das gleiche Bild, eingeschlagene Wände und die Reste der Buntmetalldiebe. Im Unterschied zum Erdgeschoss kommen hier noch die Spuren der Bewohner hinzu. Im Haus verbliebenes Büromobiliar ist komplett zerschlagen, die Wände beschmiert und Türen eingetreten.

1992 verbrannte Hausflurmauer unter der Gasbetonwand, November 2022

Überall Schlafplätze, soweit das Auge reicht. Ich wollte mir die Südzimmer anschauen, die hatten wunderschöne Fischgrätenparkettböden als ich sie dreißig Jahre zuvor betreten hatte. Ihr wunderschönes Parkett hatten sie noch sogar aufwendig restauriert. Ich wollte es einfach nicht glauben als ich sah, dass die heimlichen Bewohner die mit Parkett ausgelegten Zimmer als Toilette benutzten. Jeder einzelne Zentimeter war mit Fäkalien überzogen. Warum das Parkett dran glauben musste und nicht der benachbarte, gekachelte Sanitärraum, erschloss sich mir nicht.

Eingang zum Balkonzimmer

Im Flur vor dem Treppenaufgang lagen die Reste mehrer Abendessen. Hier wurde bei offenem Feuer im Hausflur gegrillt. Angewidert gehe ich die Treppe zum Dachboden hinauf. Der Dachboden ist von innen noch nicht zu Ende ausgebaut. Auf der beplankten Seite sind die Dachschrägen und Wände schon fertig. Auch hier befinden sich mehrere Schlafplätze, an deren Kopfende die Wände auf etwa einem Meter Höhe kreisrund eingeschlagen wurden. Der Grund hierfür, die Löcher in den Wänden dienen zur Verrichtung des großen Geschäfts in die Wand. Unglaublich, ich hatte genug gesehen.

Balkonzimmer mit Fischgrätenparkett, und angebrannter Balkontür, November 2022

Ich lief noch einmal die Zimmer ab, um alles fotografisch festzuhalten. Im Balkonzimmer ist immer noch die angebrannte Balkontür mit ihrer zerplatzten Scheibe, hier ist das Parkett noch heil. Die Steinbalustrade, über die ich 1992 auf den Balkon kletterte, wurde durch Metallgeländer ersetzt. Durch die Löcher, die auch im Hausflur in die Gasbetonwände der Versorgungschächte geschlagen wurden, ist noch das verbrannte schwarze Mauerwerk zu sehen. Ich freute mich, dass viele der Bodenkacheln unten im Hausflur sowie in den alten Bädern noch erhalten waren.

Autor Bormann nach 30 Jahren wieder auf dem Balkon der Villa vor Schönholz

Zu guter Letzt wollte ich mir den Keller anschauen. Vor dreißig Jahren kam ich nicht weit, der schlichte Mangel an Licht beendete meine Erforschung schon im ersten Kellergang. Mehr als ein paar alte Wandzeitungen und Sofas waren damals nicht zu erkennen. Seit der Sanierung der Villa waren die Kellerfenster wieder lichtdurchlässig. Somit stand einer erneuten Erkundung nichts im Weg.

Originaler Kachelboden in dem sonst komplett zerstörten sanierten Bad, 2022

So stand ich nun als 41-jähriger wieder unter dem Rundbogen zur Kellertreppe, an dem ich mit 11 Jahren bereits stand. Und wie damals zog kalte, feuchte Luft die Steintreppe hinauf. Der alte modrige Geruch war noch genau derselbe. Ich ging die Treppe hinab und sah als erstes wieder den Hauptgang. Inzwischen war er komplett beräumt.

Mit Fäkalien verschmiertes Parkett im großen Südzimmer, 2022

Am Ende des Hauptganges bemerkte ich eine Rundbogentür, sie fiel mir sofort auf unter den anderen typischen Standardtüren. Im Keller war es so hell, dass ich nicht einmal eine Taschenlampe brauchte. Das Tageslicht schien in die kleinen Kellerfenster und verschaffte dem Ort gerade genug Licht, um alles zu erkennen. Ich schob die Tür etwas auf und dachte, mich trifft der Schlag. Damit hatte ich nicht gerechnet. Hinter der Rundbogentür befand sich eine kleine Halle im Stil einer Pseudokrypta.

Dachboden der Villa vor Schönholz, November 2022

Beim Blick auf die Gewölbedecke, die an zwölf mit Muschelkapitälen verzierten Säulen, endet ging mir fast das Herz über. Ich lief einige Schritte bis in die Mitte der kleinen Halle, drehte mich um und erspähte eine Altarnische. Spätestens jetzt war der traurige Anblick der über mir liegenden Etagen vergessen. Was mag sein Besitzer Besitzer Dr. Ernst Langheinrich hier unten getrieben haben? Gegenüber der Altarnische befindet sich ein Kellerausgang, der sicher seit der Gastwirtschaft von Max Rudolph ab 1901 als Wirtschaftszugang zur Küche diente.

Steintreppe in den Keller, November 2022

Bis auf die von mir so genannte Pseudokrypta befindet sich noch eine große Küche im Keller. Den Bodenkacheln nach zu urteilen war die Küche spätestens seit 1901 hier untergebracht und wurde als solche bis zur Schließung des letzten Alters- und Pflegeheims Schönholz genutzt. Der historische Speiseaufzug ist bis heute erhalten. Der Schacht wurde lediglich in den Ausgabezimmern verblendet.

Kellertür zum Gewölbe, November 2022

Nachdem ich Küche und Speiseaufzug dokumentiert hatte, zog es mich noch einmal in die kleine Säulenhalle. Ich schaute mir die hinterste Ecke genauer an. Hier lagen dutzende Telefone, Drucker und einige Unterlagen mit der Aufschrift „Botschaft der Republik Sambia“. Der Fund ließ den Schluss zu, dass hier wenigstens kurzzeitig Büros der Botschaft von Sambia betrieben wurden. Offiziell aber hat die Botschaft das Haus nie bezogen.

Gewölbekeller mit Säulen und Kappelennische

Genau wie dreißig Jahre zuvor zwei Etagen über mir, schnappte ich mir eine Aktenhülle für mein Archiv und verließ meine geliebte Villa vor Schönholz. Diesmal aber durch die Kellertür und nicht über den Balkon.

Eine von zehn Säulen mit Kapitel

Was sich einst als Rettung für das Haus erwies, der Kauf durch die Republik Sambia, stellt sich heute als fragwürdige Rettung dar. Seit 1992 steht es leer. Wenn auch das neue Dach erst dafür sorgte, dass die Villa bis heute durchhielt, so ist sie spätestens jetzt der Zerstörung durch Mensch und Natur ausgesetzt.

Kleine Altarniesche

Das Haus wäre ein tolles Schulungs- und Übernachtungszentrum für Schulklassen aus ganz Europa. Wir haben hier mit dem Ehrenmal Schönholz, der alten Maulbeerplantage von Schloss Schönhausen, dem größten Vergnügungspark Berlins zur Olympiade 1936, dem Zwangsarbeiterlager Lunalager in der Schönholzer Heide sowie der Berliner Mauer deutsch-europäische Geschichte ab 1760 bis zur Wiedervereinigung auf wenigen Quadratkilometern. Die gesamte Infrastruktur in Schönholz wäre geradezu ideal dafür.

Dokumentenmappe der Botschaft der Republik Zambia, November 2022

Die Zukunft für die Villa vor Schönholz ist ungewiss und sie sollte zu Ihrem Schutz wenigstens beräumt und erneut versiegelt werden. Über die Entdeckung der Pseudokrypta freue ich mich noch immer. Sie wurde bisher nie erwähnt und stellt neben dem pompösen Treppenaufgangstor die zweite architektonische Auffälligkeit dar, die bis heute erhalten geblieben ist.

Kleine Kellerkapelle in der Villa vor Schönholz, November 2022
Tür zum Kelleraufgang
Gekachelter Küchenboden im Keller, 2022
Speiseaufzug im Keller
Schacht vom Speiseaufzug Blick vom Keller hoch zum Dachboden
Lars Bocian (links) und Autor Christian Bormann (rechts), 2021

https://www.berliner-woche.de/niederschoenhausen/c-politik/cdu-will-leerstehende-villa-vor-schoenholz-fuer-den-bezirk-sichern_a333698

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann

Das Waldhaus-Sanatorium Berlin-Buch

Die Heilanstalten Berlin-Buch umfassten mehrere Krankenhäuser und Pflegeheime. Ursprünglich begann alles mit zwei Lungensanatorien, zwei Psychatrischen Kliniken sowie einem Alters- und Pflegeheim. Dem angeschlossen war ein Anstaltsfriedhof.

Heimstätte für Brustkranke „Das Waldhaus“, 1910

Unter der Leitung des damaligen Stadtbaurates und Architekten Ludwig Hoffmann enstand die kleine Krankenhaustadt 1898 bis 1930. Mein persönliches Lieblingsgebäude ist das sogenannte „Waldhaus“. Die Heimstätte für Brustkranke wurde ab 1901 erbaut und ging 1905 in Betrieb. Bis zu 150 Tuberkulosekranke sollten hier an der frischen Luft von Buch wieder zu Kräften kommen.

Luftaufnahme „Am Waldhaus“, April 2022

Das T-Förmige Gebäude ist einem barocken Schloss nachempfunden. Die Fassadengestaltung soll von Hoffmann einst viel prunkvoller geplant gewesen sein, wurde aber aus Kostengründen vereinfacht.

Luftaufnahme Plattenbau „Am Waldhaus“, April 2022

Im Inneren beherbergt das Waldhaus einen großen zentralen Saal unter dem Mittelschiff, eine von Säulen getragene Galerie endet an der Rundbogendecke. Die Enden der Säulen sind knapp unter der Galerie mit Figurenschmuck vom Bildhauer August Vogel verziert. Die drei Flügel des Sanatoriums verfügen neben einer Küche über unzählige Flure sowie kleine und große Treppenaufgänge mit wunderschönen schmiedeeisernen Jugendstilgeländern.

Sanatorium „Am Waldhaus“, April 2022

Entlang der Flure befinden sich die Krankenzimmer und Liegehallen. In einigen Teilen des Gebäudes sind noch die originalen farblichen Gestaltungen von Franz Naager erhalten. Das altehrwürdige „Waldhaus“ hat viele Regierungen überstanden, bis es dann 1992 endgültig stillgelegt wurde.

Eingangsbereich, dahinter Foyer zum großen Saal, April 2022

Eine landeseigene Berliner Immobiliengesellschaft verwaltete das Sanatorium seit seiner Stilllegung. Schon bald wird das gesamte Areal mit einem großen Wohnbauprojekt umgestaltet. Das unter Denkmalschutz stehende Waldhaus soll erhalten bleiben und selbst 200 Wohnungen beherbergen.

Krönung des vorderen Terasseneingangs

Die jahrelange Versiegelung des Gebäudes wurde schon vor einiger Zeit enfernt. Bis dahin war der Zutritt nur über einen Kriechtunnel, der die Fernwärmeleitung vom Plattenbau in das Sandhaus führte, möglich. Das Gebäude wird also entweder kommerziell umgestaltet oder durch die fehlende Versiegelung von Randalieren zerstört, wie im Fall des „Säuglings- und Kinderkrankenhauses Weißensee“ geschehen.

Zerstörte Türflügel und Fenster auf der Süd-Terrasse zum großen Saal, April 2022

Alles Gründe genug, das alte Sanatorium im April 2022 noch einmal zu besuchen und seine Geschichte anhand einiger Fotos noch einmal zu erzählen. Auch in diesem desolaten Zustand beeindruckt das Waldhaus heute noch von innen und außen. Der morbide Charme abbröckelnder Farbe in Fluren, deren Konturen nur im Restschein der mit Brettern vernagelten Fenster zu erkennen sind, ist beeindruckend.

Treppe zur Terrasse am großen Saal, April 2022

Das gesamte Sanatorium ist bis auf eine alte Phönix-Nähmaschine aus den 1920er Jahren im Keller beräumt. Die verwaisten Liegesäle und die endlosen Flure mit ihren offenstehenden Türen zu den Krankenzimmern wirken gespenstisch. Beeindruckend ist der große Saal, in den man mühelos über die Terrasse gelangt. Jahrzehntelang ein Ort der Begegnung und Hoffnung, wartet er heute im Halbdunkeln auf seine Erweckung.

Graffiti am Sandhaus, April 2022
Foyer der Klinik, April 2022
Kellertreppe
Keller der Klinik
Keller mit Versorgungsräumen, April 2022
Phoenix-Nähmaschine, ca. 1920
Keller mit technischer Einrichtung, April 2022
Unterrichtskabinett für Elektronik, EDV, BMSR, April 2022
Keller
Kellertreppe
Flur
Flur
Großer Saal von Ludwig Hoffmann, August Vogel und Franz Naager, April 2022
Galerie im großen Saal
Autor Christian Bormann im großen Saal, April 2022
Figurenschmuck von August Vogel im großen Saal
Großer Saal
Treppenhaus
Flur zu den Patientenzimmern
Hausaufgang
Liegesaal für Tuberkulosekranke, April 2022
Treppenhaus
Graffiti
Alte Fenster
„Das Waldhaus“ Berlin-Buch, April 2022
Projektentwurf, Quelle: Immobilien Aktuell 04.10.2022

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Guido Kunze, Immobilien Aktuell (04.10.2022)

Die Botschaft der Republik Irak in Pankow

Das Gebäude der ehemaligen Botschaft der Republik Irak in der DDR befindet sich in der Tschaikowskistraße 51 in Niederschönhausen. Die Republik Irak war das erste nichtsozialistische Land, welches die DDR anerkannte.

Botschaft der Republik Irak in der DDR 1990

Der für Pankow typische Botschaftsplattenbau des Typs IHB II – Bauart SK Berlin 72 wurde 1974 vom „IHB“ Bau-und Montagekombinat Ingenieurhochbau geplant und realisiert. Bereits in den 1980er Jahren wurden Botschaftsmitarbeiter unter Terrorverdacht festgenommen. Über die Jahre gab es immer wieder Gerüchte um die in Geheimdienstkreisen berüchtigte Irakische Botschaft.

Ruine auf dem Grundstück der Botschaft der Republik Irak, Oktober 2022

Die „Junge Welt“ berichtete 1990 über ein Sprengstofflager in der Botschaft, der „Spiegel“ zieht 1991 nach und nennt die Botschaft einen Unterschlupf für irakische Geheimagenten des „Mukhabarat“. Von hier aus soll die Republik Irak ihr Agentennetz unterstützt haben.

Warntafel, Exterritorialgelände, Eigentum der Botschaft Irak, Oktober 2022

Die Bundesrepublik Deutschland forderte 1991 vor dem Hintergrund des 2. Golfkrieges alle irakischen Diplomaten auf, das Land zu verlassen. Die Botschaft in der Tschaikowskistraße wurde praktisch über Nacht aufgegeben. Die Mitarbeiter nahmen nur ihre persönlichen Sachen aus dem Arbeitsgebäude mit und zogen die Türen hinter sich zu, als würden sie am nächsten Morgen wieder zur Arbeit erscheinen.

Überwachsene Gartentreppe ins Hochparterre, Oktober 2022

Doch nie sollte ein irakischer Diplomat die Botschaft wieder betreten. Dafür traten wir Kinder nur einige Tage nach dem Verschwinden der Iraker auf den Plan. Wir Kinder, das waren Gordon, Mattie und ich. Es war 1991 und wir waren 10 und 11 Jahre alt. Unseren Lieblingsort im alten Ballhaus an der Grabbeallee mussten wir aufgeben. Nachdem wir im Ballhaus einige Wochen lang unsere Nachmittage verbracht hatten, waren die Nachbarn aufmerksam geworden und es wurde Zeit, sich ein neues Hauptqartier zu suchen.

Bewachsene Originalbank aus 1974, Oktober 2022

So liefen wir die Grabbeallee ein Stück runter, bis zum Zingergraben, direkt hinter dem damaligen Grabbe-Club, heute Kurt-Lade-Club. Wir sprangen über das kleine Ziergeländer und zogen den Graben in Richtung Schönholzer Heide weiter, bis wir am rückwärtigen Garten der Botschaft ankamen. Mattie wohnte in der Tschaikowskistraße, fast gegenüber der Botschaft und war der Meinung, das Gebäude stünde schon tagelang leer.

Brandherd im Kellergeschoss, Oktober 2022

Gordon war der Ältere von uns Dreien. Er traute sich als erstes in den Garten der Botschaft. 1991 war der Garten noch gepflegt und von allen Seiten einsehbar. Wir mussten also erstmal ungesehen vom Zaun am Zingergraben durch den Botschaftsgarten in Deckung gelangen. Am Ende der Steintreppe zur Terrasse lag ein Schlüssel unter der letzten Stufe.

Verschlossener Botschaftshaupteingang, Oktober 2022

Wir waren frech genug, den Schlüssel auszuprobieren. Vorsichtig schlichen wir geduckt die Treppe rauf zur ersten Tür, er passte, aber drehte sich nicht. Die zweite Tür war nur wenige Meter entfernt und hier funktionierte der Schlüssel. Wir hofften, dass uns noch kein Nachbar gesehen hatte und betraten die Botschaft, mein Herz schlug bis zum Hals.

Sicherheitseingang mit Passkontrolle, Oktober 2022

Plötzlich standen wir in einem Büro. Es sah aus, als wären die Mitarbeiter nur kurz zur Mittagspause gegangen. Vom Flur aus erkundeten wir das Erdgeschoss Raum für Raum. Ich erinnere mich noch an einen kleinen Raum voll mit Schlüsselbrettern. Mit Hilfe der Schlüssel kamen wir jetzt überall rein.

Botschaftsfoyer, Oktober 2022

Im Erdgeschoss, was mehr einem Hochparterre entsprach, gab es einen merkwürdigen Raum, den wir als Kinder nicht verstanden. Es war eine Art Technikraum, die Wände kahl und mittig zu zwei Dritteln mit Schalttafeln, die vom Boden bis zur Decke reichten ausgestattet. Heute weiß ich, dass es sich um einen alten Computer gehandelt haben muss.

Botschaftsfoyer Holzschiebewand, Oktober 2022

Wir betraten jeden Raum und jedes Büro im Erdgeschoss. Durch die Sichtschutzwände aus Keramik von Hedwig Bollhagen konnten wir uns auf dem Flur fast frei bewegen. Die HB-Werkstätten für Keramik haben für mehrere Pankower Botschaften dieses Bautyps Sichtschutzwände in verschiedenen Ausformungen angefertigt. Sie fügen sich heute noch zeitlos in die Carrara-Waschbeton-Fassaden ein.

Eingangsbereich der Botschaft, Oktober 2022

Nach dem Erdgeschoss wollten wir die Tiefgarage im Untergeschoss erkunden. Damals schien noch viel Sonne in die großzügigen Glasfenster, so dass wir trotz fehlendem Strom genug Licht hatten, um in die Tiefgarage zu gelangen. Wir staunten nicht schlecht. Die voll intakten Büros mit Ihrem Interieur machten schon mächtig Eindruck auf uns.

Haupttreppenhaus der Botschaft mit Kunstmosaiken, Oktober 2022

Überall in den Büros hing das Konterfei von Saddam Hussein, auf den Fluren waren überlebensgroße Poster vom arabischen Führer. In der Garage angekommen zog es uns fast die Schuhe aus, wir konnten es gar nicht fassen. Im Restlichtschein des Treppenaufganges sahen wir zwei dunkle Mercedes S-Klassen stehen.

Personalraum der Eingangskontrolle, Oktober 2022

Im Halbdunkel liefen wir um die Limousinen herum und bestaunten die prächtigen Standarten, verchromte Wimpelstangen mit Irakischer Flagge. Für den ersten Tag hatten wir genug gesehen und waren uns einig, die Erkundung am nächsten Tag im ersten Obergeschoss fortzusetzen. Still und heimlich wie wir gekommen waren, verschwanden wir auch wieder.

Flurstück in der Botschaft, Oktober 2022

Am zweiten Tag schlichen wir uns wieder hinein. Wir hatten die Schlüssel und genug Mut, den Rest der Botschaft in Augenschein zu nehmen. Das 1. Obergeschoss unterschied sich nicht wesentlich vom Erdgeschoss. Ein Büro nach dem anderen, Besprechungsräume, eine Teeküche und ein blau gefliestes Bad. Am Ende allerdings befand sich eine Aufbewahrungskammer mit Regalen und einer fest installierten Leiter, die gleichzeitig als Dachausstieg diente.

Konferenzraum mit Stabparkett, Oktober 2022

Der hintere kleine Personaltreppenaufgang ging nur bis ins 1.OG, also mussten wir den Flur wieder zurück. Hier gab es nicht wie im Erdgeschoss Keramiksichtschutzwände, sondern großflächige Fenster. In den gegenüberliegenden Gebäuden herrschte reger Betrieb und einmal in der Stunde fuhr ein Funkwagen zur Kontrolle vor. Wir schlichen also geduckt Meter um Meter in Richtung Haupttreppe, als der besagte Funkwagen vor der Botschaft hielt.

Kleine Teeküche, als einziges erhaltenes Inventar im Gebäude, Oktober 2022

Diesmal stieg die zweiköpfige Besatzung aus und schaute etwas genauer in die Fenster unseres Flurs. Ich habe nicht vergessen, wie wir starr vor Angst zu dritt auf dem Flur lagen. Saddam grinste uns von einem risiegen Plakat am Ende des Flures an. Es hat bestimmt zwanzig Minuten gedauert, bis wir uns trauten aufzustehen. Das 2.OG lag noch vor uns.

Gerätekammer mit Leiter zur ersten Dachebene, Oktober 2022

Wir hatten uns schnell vom Schreck erholt und liefen die Treppen ins letzte Stockwerk hoch. Hier hatte der Botschafter sein Zimmer und davor einen riesigen Konferenzraum. Holzgetäfelte Wandverkleidungen, soweit das Auge reichte. Chrom, Leder und wunderschöne arabische Teppiche. Unsere Entscheidung stand fest. Hier lassen wir uns nieder, hier können wir schön hausen. Das neue Hauptquartier war gefunden.

Mit Essigbäumen bewachsenes Dach, Oktober 2022

Im Vergleich zur Ruine vom alten Ballhaus hatten wir ein großen Schritt gemacht. Ich nahm sofort am Schreibtisch des Botschafters Platz. Die lederne Tischauflage und den dazu passenden Stifthalter nahm ich mit nach Hause, wo sie umgehend ihren neuen Platz auf meinem Schreibtisch einnahmen.

Nasszelle für mehrere Duschen, Oktober 2022

Tag drei das gleiche Ritual, den Zingergraben entlang über den Zaun und ab in die Botschaft. Diesmal war alles anders. Wir hatten am Vortag vergebens die Botschaft nach Schlüsseln für die Tresore abgesucht. Es waren gut ein Dutzend verteilt über Büros und Botschafterzimmer. Als wir ins Botschafterzimmer eintraten, war der Tresor geöffnet worden. Das konnte nur über Nacht geschehen sein.

Einzelbad mit Wanne, Oktober 2022

Uns wurde ganz schön unwohl bei dem Gedanken, dass wir nicht die Einzigen im Haus waren. Wir schauten auch in den Büros auf den anderen Etagen nach und jeder einzelne Tresor war über Nacht geöffnet worden. Aber sie waren nicht leer. Ich trug den verbliebenen Inhalt der Tresore zusammen. Da waren ein gutes Dutzend irakischer Pässe mit Diplomatentankkarten von Shell. Ein Fotokatalog der Botschaft zu Ihrer Eröffnung. In der Mappe war die komplette Botschaft katalogisiert und dokumentiert.

Hauptaufgang im Obergeschoss mit zerstörter Wanddekoration, Oktober 2022

Die Fotos waren etwa A4-Größe und zeigten die Botschaft in all ihren Details. Auffällig war ein Fotokatalog mit arabischen Teppichen, mit denen die Botschaft ausgestattet war, darunter wirklich wertvolle Stücke. Im Tresor des Botschafters befanden sich Fotos, aber ganz anderer Art. Die harmlosesten zeigten Politiker wie Günther Mittag beim Besuch der Botschaft. Das Gros der Fotos aber waren Aufnahmen von Saddam Hussein im Golfkrieg, wie er in Schützengräben steht, Luftaufnahmen von Raketen vor dem Einschlag, Satellitenbilder von Orten vor und nach einem erfolgten Angriff.

Blick vom Obergeschoss nach unten. Links und rechts ist die Wanddekoration zu sehen, Oktober 2022

Als Zugabe lag noch eine VHS-Kassette im Tresor. Sie war arabisch beschriftet. Video, Fotos und Pässe nahm ich in einem Koffer mit, der leer herumstand. Beim späteren Ansehen des Videos stellte sich raus, es waren Golfkriegsszenen, aufgenommen von irakischen Streitkräften.

Ausschnitt der beidseitigen Wandmosaike vom Hauptaufgang der Botschaft, Oktober 2022

Wir kamen auch am nächsten Tag noch einmal wieder. Durch eine Bürotür zum Garten betraten wir die Botschaft wie auch in den drei Tagen zuvor. Als wir gerade auf den Flur wollten, um ins 2.OG zu gelangen, sahen wir, dass der Flur und das Foyer akkurat mit Löschpulver ausgesprüht worden waren. Selbst als Kinder verstanden wir gleich, dass das keine Vandalen gewesen waren. Das Löschpulver war beim Verlassen des Gebäudes ausgebracht worden, um Fußspuren beim Betreten sichtbar zu machen.

Gartenseite des Gebäudes mit Untergeschossparkplatz, Oktober 2022

Woher wir wussten, dass es beim Verlassen des Gebäudes versprüht wurde? Es gab nicht eine Fußspur. Unsere waren jetzt die ersten und absolut verräterisch. Ich weiß nicht mehr, wer von uns auf die Idee kam, den Gebäudestrom wieder einzuschalten aber wir taten es tatsächlich.

Treppe in den alten zugewachsenen Botschaftsgarten, Oktober 2022

Diesmal hatten wir Taschenlampen, als wir in den Keller gingen. Hier standen die zwei Mercedes S-Klassen, mit denen wir als führerscheinlose Kinder so gar nichts anstellen konnten. Wir wandten uns jetzt einem wirklich großen Hebel zu. Zwei von uns waren nötig, um den an der Wand montierten Hebel umzulegen.

Stifthalter vom Schreibtisch des Botschafters der Republik Irak in Deutschland 1991

Mit dem Strom kam auch der Alarm. Ein ohrenbetäubener Gebäudealarm. Spätestens jetzt wußte jeder, dass in der Botschaft etwas nicht stimmte. Wir legten den Schalter wieder auf „Aus“ und rannten, was das Zeug hielt. Ich verschloss die Botschaft hinter uns und wir betraten sie nie wieder.

Blick in den Botschaftsgarten, Oktober 2022

Nach über 30 Jahren war ich wieder in der inzwischen versiegelten Botschaftsruine. Ein trauriger Anblick, in meiner Kindheitserinnerung war die Botschaft ein Ort der Schönheit und des Staunens. Jetzt laufe ich durch einen ausgebrannten Keller, die Mosaikkunstwerke im Hauptreppenhaus sind bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Das gesamte Gebäude ist bis auf zwei Bäder und eine Teeküche entkernt. Plötzlich fühle ich mich sehr alt. Mehr als ein Vierteljahrhundert war ich nicht mehr hier und der Sprung von meiner Kindheit 1991 in dem Gebäude zu meinem Besuch 2022 fühlt sich beklemmend an. Ich mache das Beste draus und freue mich darauf, mit den Fotos endlich die Geschichte der Botschaft erzählen zu können. Ach ja, der Stifthalter vom Schreibtisch des Botschafters steht seit 1991 bis heute auf meinem Schreibtisch und erinnert mich an dieses Kindheitsabenteuer in der Nachwendezeit. Auch wer die nächtlichen Besucher waren, ist heute bekannt. Es waren die Amerikaner, die nachts die Tresore geöffnet hatten und auch in den nächsten Nächten noch die Botschaft durchsuchten. Wir hatten also die Tagschicht und der amerikanische Geheimdienst die Nachtschicht.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/lost-places-in-berlin-hot-spots-fuer-die-instagram-community-laenderreport-dlf-kultur-1982bf93-100.html

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Bundesarchiv

Das bewohnte Geisterhaus von Pankow

In dieser Chronik berichte ich gern von sogenannten Geisterhäusern. Mir selbst sind an die 20 solcher Liegenschaften in Pankow bekannt. Einige dieser altehrwürdigen Häuser, deren Erbauungszeit vom Historismus bis in die 1930er Jahre reicht, sind wahre Zeitkapseln. Voll ausgestattet mit Dingen ihrer jeweiligen Epochen wirken sie, als wenn sie von einem Tag auf den anderen verlassen wurden.

Ein Beispiel dafür ist in der Geschichte „Eine Zeitkapsel im Florakiez“ zu finden. Ich beschränke mich darauf, diese Orte im Auge zu behalten und nicht zu publizieren, um sie so lange wie möglich zu schützen. So auch im Fall der „Geistervilla“ von Wilhelmsruh. Am 14.09.2022 las ich einen Onlineartikel der Berliner Morgenpost „Richtiges Geisterhaus“: Rätsel um verschollenen Besitzer.

Der Schreck war groß. In dem Artikel stand die Straße und Hausnummer. Aber nicht nur das. Fatalerweise war die Rede davon, das Haus stünde leer und der Besitzer sei seit Mitte 2021 amtlich verschollen. Es stimmt, bei der Villa handelt es sich optisch um ein Geisterhaus par excellence. Das Dach ist beschädigt, die Fenster im ersten Stock sind zum Teil mit Sperrholz verschraubt, andere mit Steinen eingeworfen. Am linken Giebel bröckelt Putz und der rechte Giebel ist vom Keller bis zum Dach mit Efeu überwachsen.

Hinter dem Zustand des Hauses verbirgt sich das Schicksal seines Bewohners Olaf Hoepfner. Sein Urgroßvater, der das zunächst einstöckige Haus um die Jahrhundertwende kaufte, war seinerzeit der bekannte Fleischermeister Hoepfner in Rosenthal. Er war es auch, der die Villa aus dem Historismus in den 1910er Jahren um eine Etage aufstocken ließ, wobei der Aufbau bis zur Dachspitze im Stil des Historismus und der Gründerzeit weitergeführt wurde.

Ich habe am Freitag mit dem Bewohner Olaf über den Zeitungsartikel in der Morgenpost gesprochen und wollte ihn vor unerwünschten Besuchern warnen. So spannend die Geschichte auch ist, so hat sie zur Folge, dass sich Lost Place-Touristen auf den Weg machen, um den Ort zu erkunden. In der Hoffnung auf ein gutes Foto oder kleine Schatzfunde brechen sie in die Häuser ein. Besonders fatal wenn es heißt, das Haus ist „unbewohnt“. Aber ich kam zu spät. Bereits am Donnerstag, Olaf sitzt im zweiten Stock seines Hauses – hier hat er ein Zimmer in stand gehalten und sich zurückgezogen- da hört er Geräusche im Erdgeschoss. Eine unschöne Begegnung. Mehrere Jugendliche waren durch ein Fenster im Erdgeschoss eingebrochen. Olaf stellt die Einbrecher zur Rede. Diese beteuerten Ihrerseits, den Artikel gelesen zu haben. Sie beriefen sich auf die Aussage im Artikel, das Haus wäre unbewohnt.

Die Berliner Morgenpost macht wie ich finde eine sehr gute regionale Arbeit. Nicht selten auch mit mir zusammen. Ich komme mit Olaf ins Gespräch. Der ruhige und sympatisch wirkende 57-jährige Trockenbauer fängt an, vom Haus und seinem Leben mit dem Haus zu erzählen. Nach dem Krieg drängte die Komunale Wohnungsverwaltung seine Oma als Eigentümerin aus dem Grundbuch, wobei sie gnädigerweise als Mieterin im Haus verbleiben durfte. Nach der Wende nahm Olaf seine Ersparnisse und investierte sie in einen Anwalt, der die Rückübertragung erreichte.

Sein Ziel war, das Haus wieder herzurichten und zu einem Heim für sich und seine Frau zu machen. Als Olaf von seiner Frau erzählt, fangen seine Augen an zu leuchten. Doch dann erzählt er von ihrer Krebserkrankung. Wie sie am ersten Tag des neuen Jahres 2011 zusammenstehen und sich sagen: „Wie wird das Jahr wohl“. Da hustet sie schon. Am Tag darauf kommt sie ins Krankenhaus und verstirbt. Ein schwerer Schlag für Ihn. „Sie war einmalig“ sagt er und lächelt. „So eine Frau gibt es kein zweites Mal“. Und sein Blick wird trauriger.

Jetzt war Olaf mit seiner Mutter und seinem Hund allein im Haus. „Sie war nicht einfach“, sagt Olaf, „aber ich habe mich immer liebevoll um sie gekümmert. Meine Brüder haben den Kontakt zu ihr irgendwann gemieden, sie konnte halt sehr anstrengend sein“. Nach dem Tod seiner Frau hatte Olaf nicht mehr die Kraft, das Haus zu renovieren. Mit seiner Frau starb auch etwas in ihm. Er bewältigte sein Alltag und versorgte seine Mutter, bis 2016 Feuer im Erdgeschoss ausbrach.

Zwei Fenster im Erdgeschoss sind heute noch mit Sperrholzplatten verschlossen. Sie sind stumme Zeugen des Feuerwehreinsatzes. Seine Mutter verließ das Haus und Olaf rettete, was zu retten war. Das Feuer hatte starke Schäden hinterlassen und des Inventar kontaminiert. Er zog sich in ein einziges Zimmer im zweiten Stock zurück. Jetzt war Olaf mit seinem Hund allein in der großen Villa. „Ein treuer Wegbegleiter über all die Jahre und das letzte was mich mit meiner verstorbenen Frau verband“, erzählt er. Aber 2021 verstarb auch sein Hund.

Ich spreche Ihn auf das Foto vom Hof an, dass im besagten Artikel zu sehen war. „Ich bin kein Messi“, sagt er. Es handelt sich um zusammengetragene Baustoffe und Ähnliches. Ursprünglich für die Renovierung gesammelt. Aber so wie sein Lebensglück zum Erliegen kam, so erging es auch Haus und Hof. Olafs Gesichtsausdruck ist milde aber man erkennt die Spuren der letzten Jahre in seinem Gesicht. Ich frage ihn, warum er das Haus nicht verkauft? Es wäre doch so viel einfacher für ihn. Verkaufen will er nicht. Seine Begründung ist aller Ehren wert. „Ich habe Angst, dass es abgerissen und durch einen seelenlosen Betonwürfel ersetzt wird.“ Er lächelt und erzählt weiter: „Aufgegeben habe ich noch nicht.“ Tatsächlich tüftelt Olaf daran wie er seine Geliebte „Geistervilla“ noch retten kann.

Autor: Christian Bormann, Bilder: Bormann/Kunze, Redaktion: Martina Krüger