Wandbild „Pankower Marktleben“

Im Juli 2021 habe ich die Geschichte „Wie der Kirschendieb verschwindet“ veröffentlicht. Über zwei Jahre wurde dokumentiert, wie das Wandbild „Der Kirschendieb“ von Nofried „Skip“ Pahler in der Berliner Allee überbaut wurde.

Wandbild „Pankower Marktleben“, Foto Juli 2021

Der Vollständigkeit halber möchte ich auch die Geschichte vom Wandbild „Pankower Marktleben“ in der Berliner Straße 1 am „Tröpfelbrunnen klettern Kinder“ erzählen. Ursprünglich war der Giebel des Hauses seit 1959 mit Werbung der „Berliner Allgemeine“ Zeitung für Politik und Wirtschaft gestaltet. Anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins sollte es eine Neugestaltung geben. Prof. Dieter Gantz hatte die Leitung, ihm zur Seite standen Frank Beutel und H. Warme. Innerhalb von drei Wochen enstand die Acrylmalerei auf dem Brandgiebel der Berliner Straße 1.

Wandbild Berliner Straße 1, hinter dem Aufmarsch, Foto Mai 1959

In Sachsen-Anhalt geboren studierte Gantz Malerei in Berlin und lehrte ab 1980 an der Kunsthochschule Weißensee. Er selbst wohnte im Umfeld der Vinetastraße. Gantz, so heißt es, sei sich Zeit seines Lebens immer treu geblieben. Die Pankower amüsierten sich schon kurz nach Entstehung des Werkes, denn Gantz hatte es sich nicht nehmen lassen, auf seine Art Kritik an der DDR-Führung zu üben.

Wandbild „Pankower Marktleben“ etwa 1992

Auf dem Wandbild sind allerhand verschiedenene Motive zu sehen. Aus der Sicht von Gantz wohl die Pankower Mischung jener Zeit. Da sind die Artisten, Akrobaten, der Gewichtheber, der Leierkastenmann mit Affe, Tänzer, ein Eisverkäufer, die Kundschaft, aber auch ganz zentral die Markthändler vom „Ältesten Wochenmarkt Berlins“. Wer ganz genau hinschaut, sieht die Bananen unterm Ladentisch. Eine Hinweis von Gantz auf die unzureichende Versorgungslage in der DDR.

Ludtaufnahme Wandbild „Pankower Marktleben“ 22. September 2022

In einem offenen Brief äusserte er 1989 zusammen mit andere Kunstschaffenden und Intellektuellen direkt Kritik am Staatsapparat der DDR. Prof. Dieter Gantz starb Januar 2018 im Alter von 85 Jahren. Seine Beisetzung fand auf dem Friedhof III am Bürgerpark statt. Das Wandbild war für eine Lebensdauer von 10 bis 15 Jahren ausgelegt und ist heute im Besitz der Hauseigentümer, einer österreichischen Investorengruppe.

Der Gewichtheber Juli 2021
Marktstand Pankower Markt, Juli 2021
Der Seiltänzer, Juli 2021
Der Jongleuer, Juli 2021
Der Leierkastenmann mit Affe, Juli 2021
Die Kundschaft, Juli 2021

Autor: Christian Bormann

Redaktion: Martina Krüger

Bilder: Christian Borman, Frank Beutel Wandbild Berlin.de, Bundesarchiv, Guido Kunze

Das bewohnte Geisterhaus von Pankow

In dieser Chronik berichte ich gern von sogenannten Geisterhäusern. Mir selbst sind an die 20 solcher Liegenschaften in Pankow bekannt. Einige dieser altehrwürdigen Häuser, deren Erbauungszeit vom Historismus bis in die 1930er Jahre reicht, sind wahre Zeitkapseln. Voll ausgestattet mit Dingen ihrer jeweiligen Epochen wirken sie, als wenn sie von einem Tag auf den anderen verlassen wurden.

Ein Beispiel dafür ist in der Geschichte „Eine Zeitkapsel im Florakiez“ zu finden. Ich beschränke mich darauf, diese Orte im Auge zu behalten und nicht zu publizieren, um sie so lange wie möglich zu schützen. So auch im Fall der „Geistervilla“ von Wilhelmsruh. Am 14.09.2022 las ich einen Onlineartikel der Berliner Morgenpost „Richtiges Geisterhaus“: Rätsel um verschollenen Besitzer.

Der Schreck war groß. In dem Artikel stand die Straße und Hausnummer. Aber nicht nur das. Fatalerweise war die Rede davon, das Haus stünde leer und der Besitzer sei seit Mitte 2021 amtlich verschollen. Es stimmt, bei der Villa handelt es sich optisch um ein Geisterhaus par excellence. Das Dach ist beschädigt, die Fenster im ersten Stock sind zum Teil mit Sperrholz verschraubt, andere mit Steinen eingeworfen. Am linken Giebel bröckelt Putz und der rechte Giebel ist vom Keller bis zum Dach mit Efeu überwachsen.

Hinter dem Zustand des Hauses verbirgt sich das Schicksal seines Bewohners Olaf Hoepfner. Sein Urgroßvater, der das zunächst einstöckige Haus um die Jahrhundertwende kaufte, war seinerzeit der bekannte Fleischermeister Hoepfner in Rosenthal. Er war es auch, der die Villa aus dem Historismus in den 1910er Jahren um eine Etage aufstocken ließ, wobei der Aufbau bis zur Dachspitze im Stil des Historismus und der Gründerzeit weitergeführt wurde.

Ich habe am Freitag mit dem Bewohner Olaf über den Zeitungsartikel in der Morgenpost gesprochen und wollte ihn vor unerwünschten Besuchern warnen. So spannend die Geschichte auch ist, so hat sie zur Folge, dass sich Lost Place-Touristen auf den Weg machen, um den Ort zu erkunden. In der Hoffnung auf ein gutes Foto oder kleine Schatzfunde brechen sie in die Häuser ein. Besonders fatal wenn es heißt, das Haus ist „unbewohnt“. Aber ich kam zu spät. Bereits am Donnerstag, Olaf sitzt im zweiten Stock seines Hauses – hier hat er ein Zimmer in stand gehalten und sich zurückgezogen- da hört er Geräusche im Erdgeschoss. Eine unschöne Begegnung. Mehrere Jugendliche waren durch ein Fenster im Erdgeschoss eingebrochen. Olaf stellt die Einbrecher zur Rede. Diese beteuerten Ihrerseits, den Artikel gelesen zu haben. Sie beriefen sich auf die Aussage im Artikel, das Haus wäre unbewohnt.

Die Berliner Morgenpost macht wie ich finde eine sehr gute regionale Arbeit. Nicht selten auch mit mir zusammen. Ich komme mit Olaf ins Gespräch. Der ruhige und sympatisch wirkende 57-jährige Trockenbauer fängt an, vom Haus und seinem Leben mit dem Haus zu erzählen. Nach dem Krieg drängte die Komunale Wohnungsverwaltung seine Oma als Eigentümerin aus dem Grundbuch, wobei sie gnädigerweise als Mieterin im Haus verbleiben durfte. Nach der Wende nahm Olaf seine Ersparnisse und investierte sie in einen Anwalt, der die Rückübertragung erreichte.

Sein Ziel war, das Haus wieder herzurichten und zu einem Heim für sich und seine Frau zu machen. Als Olaf von seiner Frau erzählt, fangen seine Augen an zu leuchten. Doch dann erzählt er von ihrer Krebserkrankung. Wie sie am ersten Tag des neuen Jahres 2011 zusammenstehen und sich sagen: „Wie wird das Jahr wohl“. Da hustet sie schon. Am Tag darauf kommt sie ins Krankenhaus und verstirbt. Ein schwerer Schlag für Ihn. „Sie war einmalig“ sagt er und lächelt. „So eine Frau gibt es kein zweites Mal“. Und sein Blick wird trauriger.

Jetzt war Olaf mit seiner Mutter und seinem Hund allein im Haus. „Sie war nicht einfach“, sagt Olaf, „aber ich habe mich immer liebevoll um sie gekümmert. Meine Brüder haben den Kontakt zu ihr irgendwann gemieden, sie konnte halt sehr anstrengend sein“. Nach dem Tod seiner Frau hatte Olaf nicht mehr die Kraft, das Haus zu renovieren. Mit seiner Frau starb auch etwas in ihm. Er bewältigte sein Alltag und versorgte seine Mutter, bis 2016 Feuer im Erdgeschoss ausbrach.

Zwei Fenster im Erdgeschoss sind heute noch mit Sperrholzplatten verschlossen. Sie sind stumme Zeugen des Feuerwehreinsatzes. Seine Mutter verließ das Haus und Olaf rettete, was zu retten war. Das Feuer hatte starke Schäden hinterlassen und des Inventar kontaminiert. Er zog sich in ein einziges Zimmer im zweiten Stock zurück. Jetzt war Olaf mit seinem Hund allein in der großen Villa. „Ein treuer Wegbegleiter über all die Jahre und das letzte was mich mit meiner verstorbenen Frau verband“, erzählt er. Aber 2021 verstarb auch sein Hund.

Ich spreche Ihn auf das Foto vom Hof an, dass im besagten Artikel zu sehen war. „Ich bin kein Messi“, sagt er. Es handelt sich um zusammengetragene Baustoffe und Ähnliches. Ursprünglich für die Renovierung gesammelt. Aber so wie sein Lebensglück zum Erliegen kam, so erging es auch Haus und Hof. Olafs Gesichtsausdruck ist milde aber man erkennt die Spuren der letzten Jahre in seinem Gesicht. Ich frage ihn, warum er das Haus nicht verkauft? Es wäre doch so viel einfacher für ihn. Verkaufen will er nicht. Seine Begründung ist aller Ehren wert. „Ich habe Angst, dass es abgerissen und durch einen seelenlosen Betonwürfel ersetzt wird.“ Er lächelt und erzählt weiter: „Aufgegeben habe ich noch nicht.“ Tatsächlich tüftelt Olaf daran wie er seine Geliebte „Geistervilla“ noch retten kann.

Autor: Christian Bormann, Bilder: Bormann/Kunze, Redaktion: Martina Krüger