Die Botschaft der Republik Irak in Pankow

Das Gebäude der ehemaligen Botschaft der Republik Irak in der DDR befindet sich in der Tschaikowskistraße 51 in Niederschönhausen. Die Republik Irak war das erste nichtsozialistische Land, welches die DDR anerkannte.

Botschaft der Republik Irak in der DDR 1990

Der für Pankow typische Botschaftsplattenbau des Typs IHB II – Bauart SK Berlin 72 wurde 1974 vom „IHB“ Bau-und Montagekombinat Ingenieurhochbau geplant und realisiert. Bereits in den 1980er Jahren wurden Botschaftsmitarbeiter unter Terrorverdacht festgenommen. Über die Jahre gab es immer wieder Gerüchte um die in Geheimdienstkreisen berüchtigte Irakische Botschaft.

Ruine auf dem Grundstück der Botschaft der Republik Irak, Oktober 2022

Die „Junge Welt“ berichtete 1990 über ein Sprengstofflager in der Botschaft, der „Spiegel“ zieht 1991 nach und nennt die Botschaft einen Unterschlupf für irakische Geheimagenten des „Mukhabarat“. Von hier aus soll die Republik Irak ihr Agentennetz unterstützt haben.

Warntafel, Exterritorialgelände, Eigentum der Botschaft Irak, Oktober 2022

Die Bundesrepublik Deutschland forderte 1991 vor dem Hintergrund des 2. Golfkrieges alle irakischen Diplomaten auf, das Land zu verlassen. Die Botschaft in der Tschaikowskistraße wurde praktisch über Nacht aufgegeben. Die Mitarbeiter nahmen nur ihre persönlichen Sachen aus dem Arbeitsgebäude mit und zogen die Türen hinter sich zu, als würden sie am nächsten Morgen wieder zur Arbeit erscheinen.

Überwachsene Gartentreppe ins Hochparterre, Oktober 2022

Doch nie sollte ein irakischer Diplomat die Botschaft wieder betreten. Dafür traten wir Kinder nur einige Tage nach dem Verschwinden der Iraker auf den Plan. Wir Kinder, das waren Gordon, Mattie und ich. Es war 1991 und wir waren 10 und 11 Jahre alt. Unseren Lieblingsort im alten Ballhaus an der Grabbeallee mussten wir aufgeben. Nachdem wir im Ballhaus einige Wochen lang unsere Nachmittage verbracht hatten, waren die Nachbarn aufmerksam geworden und es wurde Zeit, sich ein neues Hauptqartier zu suchen.

Bewachsene Originalbank aus 1974, Oktober 2022

So liefen wir die Grabbeallee ein Stück runter, bis zum Zingergraben, direkt hinter dem damaligen Grabbe-Club, heute Kurt-Lade-Club. Wir sprangen über das kleine Ziergeländer und zogen den Graben in Richtung Schönholzer Heide weiter, bis wir am rückwärtigen Garten der Botschaft ankamen. Mattie wohnte in der Tschaikowskistraße, fast gegenüber der Botschaft und war der Meinung, das Gebäude stünde schon tagelang leer.

Brandherd im Kellergeschoss, Oktober 2022

Gordon war der Ältere von uns Dreien. Er traute sich als erstes in den Garten der Botschaft. 1991 war der Garten noch gepflegt und von allen Seiten einsehbar. Wir mussten also erstmal ungesehen vom Zaun am Zingergraben durch den Botschaftsgarten in Deckung gelangen. Am Ende der Steintreppe zur Terrasse lag ein Schlüssel unter der letzten Stufe.

Verschlossener Botschaftshaupteingang, Oktober 2022

Wir waren frech genug, den Schlüssel auszuprobieren. Vorsichtig schlichen wir geduckt die Treppe rauf zur ersten Tür, er passte, aber drehte sich nicht. Die zweite Tür war nur wenige Meter entfernt und hier funktionierte der Schlüssel. Wir hofften, dass uns noch kein Nachbar gesehen hatte und betraten die Botschaft, mein Herz schlug bis zum Hals.

Sicherheitseingang mit Passkontrolle, Oktober 2022

Plötzlich standen wir in einem Büro. Es sah aus, als wären die Mitarbeiter nur kurz zur Mittagspause gegangen. Vom Flur aus erkundeten wir das Erdgeschoss Raum für Raum. Ich erinnere mich noch an einen kleinen Raum voll mit Schlüsselbrettern. Mit Hilfe der Schlüssel kamen wir jetzt überall rein.

Botschaftsfoyer, Oktober 2022

Im Erdgeschoss, was mehr einem Hochparterre entsprach, gab es einen merkwürdigen Raum, den wir als Kinder nicht verstanden. Es war eine Art Technikraum, die Wände kahl und mittig zu zwei Dritteln mit Schalttafeln, die vom Boden bis zur Decke reichten ausgestattet. Heute weiß ich, dass es sich um einen alten Computer gehandelt haben muss.

Botschaftsfoyer Holzschiebewand, Oktober 2022

Wir betraten jeden Raum und jedes Büro im Erdgeschoss. Durch die Sichtschutzwände aus Keramik von Hedwig Bollhagen konnten wir uns auf dem Flur fast frei bewegen. Die HB-Werkstätten für Keramik haben für mehrere Pankower Botschaften dieses Bautyps Sichtschutzwände in verschiedenen Ausformungen angefertigt. Sie fügen sich heute noch zeitlos in die Carrara-Waschbeton-Fassaden ein.

Eingangsbereich der Botschaft, Oktober 2022

Nach dem Erdgeschoss wollten wir die Tiefgarage im Untergeschoss erkunden. Damals schien noch viel Sonne in die großzügigen Glasfenster, so dass wir trotz fehlendem Strom genug Licht hatten, um in die Tiefgarage zu gelangen. Wir staunten nicht schlecht. Die voll intakten Büros mit Ihrem Interieur machten schon mächtig Eindruck auf uns.

Haupttreppenhaus der Botschaft mit Kunstmosaiken, Oktober 2022

Überall in den Büros hing das Konterfei von Saddam Hussein, auf den Fluren waren überlebensgroße Poster vom arabischen Führer. In der Garage angekommen zog es uns fast die Schuhe aus, wir konnten es gar nicht fassen. Im Restlichtschein des Treppenaufganges sahen wir zwei dunkle Mercedes S-Klassen stehen.

Personalraum der Eingangskontrolle, Oktober 2022

Im Halbdunkel liefen wir um die Limousinen herum und bestaunten die prächtigen Standarten, verchromte Wimpelstangen mit Irakischer Flagge. Für den ersten Tag hatten wir genug gesehen und waren uns einig, die Erkundung am nächsten Tag im ersten Obergeschoss fortzusetzen. Still und heimlich wie wir gekommen waren, verschwanden wir auch wieder.

Flurstück in der Botschaft, Oktober 2022

Am zweiten Tag schlichen wir uns wieder hinein. Wir hatten die Schlüssel und genug Mut, den Rest der Botschaft in Augenschein zu nehmen. Das 1. Obergeschoss unterschied sich nicht wesentlich vom Erdgeschoss. Ein Büro nach dem anderen, Besprechungsräume, eine Teeküche und ein blau gefliestes Bad. Am Ende allerdings befand sich eine Aufbewahrungskammer mit Regalen und einer fest installierten Leiter, die gleichzeitig als Dachausstieg diente.

Konferenzraum mit Stabparkett, Oktober 2022

Der hintere kleine Personaltreppenaufgang ging nur bis ins 1.OG, also mussten wir den Flur wieder zurück. Hier gab es nicht wie im Erdgeschoss Keramiksichtschutzwände, sondern großflächige Fenster. In den gegenüberliegenden Gebäuden herrschte reger Betrieb und einmal in der Stunde fuhr ein Funkwagen zur Kontrolle vor. Wir schlichen also geduckt Meter um Meter in Richtung Haupttreppe, als der besagte Funkwagen vor der Botschaft hielt.

Kleine Teeküche, als einziges erhaltenes Inventar im Gebäude, Oktober 2022

Diesmal stieg die zweiköpfige Besatzung aus und schaute etwas genauer in die Fenster unseres Flurs. Ich habe nicht vergessen, wie wir starr vor Angst zu dritt auf dem Flur lagen. Saddam grinste uns von einem risiegen Plakat am Ende des Flures an. Es hat bestimmt zwanzig Minuten gedauert, bis wir uns trauten aufzustehen. Das 2.OG lag noch vor uns.

Gerätekammer mit Leiter zur ersten Dachebene, Oktober 2022

Wir hatten uns schnell vom Schreck erholt und liefen die Treppen ins letzte Stockwerk hoch. Hier hatte der Botschafter sein Zimmer und davor einen riesigen Konferenzraum. Holzgetäfelte Wandverkleidungen, soweit das Auge reichte. Chrom, Leder und wunderschöne arabische Teppiche. Unsere Entscheidung stand fest. Hier lassen wir uns nieder, hier können wir schön hausen. Das neue Hauptquartier war gefunden.

Mit Essigbäumen bewachsenes Dach, Oktober 2022

Im Vergleich zur Ruine vom alten Ballhaus hatten wir ein großen Schritt gemacht. Ich nahm sofort am Schreibtisch des Botschafters Platz. Die lederne Tischauflage und den dazu passenden Stifthalter nahm ich mit nach Hause, wo sie umgehend ihren neuen Platz auf meinem Schreibtisch einnahmen.

Nasszelle für mehrere Duschen, Oktober 2022

Tag drei das gleiche Ritual, den Zingergraben entlang über den Zaun und ab in die Botschaft. Diesmal war alles anders. Wir hatten am Vortag vergebens die Botschaft nach Schlüsseln für die Tresore abgesucht. Es waren gut ein Dutzend verteilt über Büros und Botschafterzimmer. Als wir ins Botschafterzimmer eintraten, war der Tresor geöffnet worden. Das konnte nur über Nacht geschehen sein.

Einzelbad mit Wanne, Oktober 2022

Uns wurde ganz schön unwohl bei dem Gedanken, dass wir nicht die Einzigen im Haus waren. Wir schauten auch in den Büros auf den anderen Etagen nach und jeder einzelne Tresor war über Nacht geöffnet worden. Aber sie waren nicht leer. Ich trug den verbliebenen Inhalt der Tresore zusammen. Da waren ein gutes Dutzend irakischer Pässe mit Diplomatentankkarten von Shell. Ein Fotokatalog der Botschaft zu Ihrer Eröffnung. In der Mappe war die komplette Botschaft katalogisiert und dokumentiert.

Hauptaufgang im Obergeschoss mit zerstörter Wanddekoration, Oktober 2022

Die Fotos waren etwa A4-Größe und zeigten die Botschaft in all ihren Details. Auffällig war ein Fotokatalog mit arabischen Teppichen, mit denen die Botschaft ausgestattet war, darunter wirklich wertvolle Stücke. Im Tresor des Botschafters befanden sich Fotos, aber ganz anderer Art. Die harmlosesten zeigten Politiker wie Günther Mittag beim Besuch der Botschaft. Das Gros der Fotos aber waren Aufnahmen von Saddam Hussein im Golfkrieg, wie er in Schützengräben steht, Luftaufnahmen von Raketen vor dem Einschlag, Satellitenbilder von Orten vor und nach einem erfolgten Angriff.

Blick vom Obergeschoss nach unten. Links und rechts ist die Wanddekoration zu sehen, Oktober 2022

Als Zugabe lag noch eine VHS-Kassette im Tresor. Sie war arabisch beschriftet. Video, Fotos und Pässe nahm ich in einem Koffer mit, der leer herumstand. Beim späteren Ansehen des Videos stellte sich raus, es waren Golfkriegsszenen, aufgenommen von irakischen Streitkräften.

Ausschnitt der beidseitigen Wandmosaike vom Hauptaufgang der Botschaft, Oktober 2022

Wir kamen auch am nächsten Tag noch einmal wieder. Durch eine Bürotür zum Garten betraten wir die Botschaft wie auch in den drei Tagen zuvor. Als wir gerade auf den Flur wollten, um ins 2.OG zu gelangen, sahen wir, dass der Flur und das Foyer akkurat mit Löschpulver ausgesprüht worden waren. Selbst als Kinder verstanden wir gleich, dass das keine Vandalen gewesen waren. Das Löschpulver war beim Verlassen des Gebäudes ausgebracht worden, um Fußspuren beim Betreten sichtbar zu machen.

Gartenseite des Gebäudes mit Untergeschossparkplatz, Oktober 2022

Woher wir wussten, dass es beim Verlassen des Gebäudes versprüht wurde? Es gab nicht eine Fußspur. Unsere waren jetzt die ersten und absolut verräterisch. Ich weiß nicht mehr, wer von uns auf die Idee kam, den Gebäudestrom wieder einzuschalten aber wir taten es tatsächlich.

Treppe in den alten zugewachsenen Botschaftsgarten, Oktober 2022

Diesmal hatten wir Taschenlampen, als wir in den Keller gingen. Hier standen die zwei Mercedes S-Klassen, mit denen wir als führerscheinlose Kinder so gar nichts anstellen konnten. Wir wandten uns jetzt einem wirklich großen Hebel zu. Zwei von uns waren nötig, um den an der Wand montierten Hebel umzulegen.

Stifthalter vom Schreibtisch des Botschafters der Republik Irak in Deutschland 1991

Mit dem Strom kam auch der Alarm. Ein ohrenbetäubener Gebäudealarm. Spätestens jetzt wußte jeder, dass in der Botschaft etwas nicht stimmte. Wir legten den Schalter wieder auf „Aus“ und rannten, was das Zeug hielt. Ich verschloss die Botschaft hinter uns und wir betraten sie nie wieder.

Blick in den Botschaftsgarten, Oktober 2022

Nach über 30 Jahren war ich wieder in der inzwischen versiegelten Botschaftsruine. Ein trauriger Anblick, in meiner Kindheitserinnerung war die Botschaft ein Ort der Schönheit und des Staunens. Jetzt laufe ich durch einen ausgebrannten Keller, die Mosaikkunstwerke im Hauptreppenhaus sind bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Das gesamte Gebäude ist bis auf zwei Bäder und eine Teeküche entkernt. Plötzlich fühle ich mich sehr alt. Mehr als ein Vierteljahrhundert war ich nicht mehr hier und der Sprung von meiner Kindheit 1991 in dem Gebäude zu meinem Besuch 2022 fühlt sich beklemmend an. Ich mache das Beste draus und freue mich darauf, mit den Fotos endlich die Geschichte der Botschaft erzählen zu können. Ach ja, der Stifthalter vom Schreibtisch des Botschafters steht seit 1991 bis heute auf meinem Schreibtisch und erinnert mich an dieses Kindheitsabenteuer in der Nachwendezeit. Auch wer die nächtlichen Besucher waren, ist heute bekannt. Es waren die Amerikaner, die nachts die Tresore geöffnet hatten und auch in den nächsten Nächten noch die Botschaft durchsuchten. Wir hatten also die Tagschicht und der amerikanische Geheimdienst die Nachtschicht.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/lost-places-in-berlin-hot-spots-fuer-die-instagram-community-laenderreport-dlf-kultur-1982bf93-100.html

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Bundesarchiv

Der vergessene S-Bahnhof „Buchholz Nord“

Der vergessene S-Bahnhof „Buchholz Nord“ befindet sich auf der Linie S8 zwischen den Haltestellen Blankenburg und Mühlenbeck-Mönchmühle. Es ist ein sogenannter Vorratsbahnhof. Die DDR plante auf den nördlichen Rieselfeldern eine Plattenbausiedlung „Hobrechtsstadt“.

Blick von der Bucher Straße auf den Vorratsbahnhof, Juni 2022

Von der Autobahnbrücke Bucher Straße ist der Bahnsteig durch die Graffiti gut zu erkennen. Genau gegenüber der Autobahnabfahrt Bucher Straße, von Pankow kommend, befindet sich heute eine Abfahrt zwischen den Ampeln. Sie wird nur noch landwirtschaftlich genutzt, führt aber zum Bahnhofsrohbau.

Landwirtschaftlicher Nutzweg Bucher Straße, Abfahrt zum Vorratsbahnhof „Buchholz Nord“

Es gibt noch einen zweiten vergessenen Vorratsbahnhof auf der S8 nahe der KGA Birkengrund. „Arkenberge Ost“ hat zwei Bahnsteige und sollte über ein angeschlossenes Bahnwerk verfügen. Beide Bauten sind noch ohne Dach, aber in kürzester Zeit ausbaubar.

Luftaufnahme: Vorratsbahnhof „Buchholz Nord“ mit S-Bahn, Juni 2022

Aus der Plattenbausiedlung „Hobrechtsstadt“ wurde bekanntlich nichts und so wurden weder ein Bahnhof noch ein Bahnwerk gebraucht. Es gab über die Jahrzehnte immer wieder Planungen, Buchholz Nord städtebaulich zu erweitern und so wurden die Bahnhofrohbauten bis heute weiter vorgehalten.

Autor Christian Bormann auf dem Bahnsteig „Buchholz Nord“, Oktober 2022

Zwischen Schönerlinder Straße und Bucher Straße sowie der A10 soll ab 2026 ein 190 Hektar großes Gewerbegebiet entstehen. Möglicherweise kommt „Buchholz Nord“ eines Tages doch noch aus dem Dornröschenschlaf ans Netz.

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Guido Kunze

Die Bodenfunde vom Holländerhaus

Zu den zweifellos interessantesten Grundstücken in Niederschönhausen gehört für mich das Holländerhaus mit seiner bewegten und recht gut dokumentierten Historie. Seit Jahren vermute ich, dass sich im Boden des Grundstücks, das von der Dietzgenstraße bis zum Kreuzgraben in der Platanenstraße reicht, viele Zeitzeugnisse befinden, die sich auch den Personen zuordnen lassen, die hier lebten.

Holländerhaus um 1910

Hinter dem Holländerhaus erstreckt sich das Grundstück bis zum Kreuzgraben. Etwa zwei Drittel waren jahrzehntelang lang mit Eichen zugewachsen, Efeu war bis in die Baumkronen geklettert. Der Ort wirkte wie aus der Zeit gefallen. Das war er auch, bis vor zwei Jahren die Bagger anrückten und das Naturidyll kahl schlugen. Nur wenige Bäume sind ab der Grundstückshälfte stehen geblieben. Ein trauriger Anblick, aber auch die Möglichkeit, meine Vermutung zu überprüfen.

Luftaufnahme Holländerhaus Dietzgenstraße, Juni 2022

Die Bankiersfamilie Fetschow kaufte 1802 das Grundstück von Bauer Kraft. Damals nur die ersten 60 Qadratruten. Die Erweiterung geschah durch wiederholten Zukauf von Flächen bis zum Kreuzgraben. Die Fetschows hatten ihr Bankhaus in der Berliner Klosterstraße 87. Nach dem Tod ihres Mannes ließ die Witwe Henriette Sophie Fetschow das Sommerhaus abtragen und 1816 durch ein einstöckiges Haus aus roten Backsteinen im holländischen Stil ersetzen. Aus dieser Zeit stammt auch der Name Holländerhaus. Madame Fetschow, wie sie liebevoll genannt wurde, war mit Prinzessin Marianne befreundet. Sie setzte sich für bessere Ausrüstung der Soldaten in den Befreiungskriegen und die Linderung der Nöte der armen Dorfbevölkerung ein. Am 16. Januar 1818 erhielt sie dafür den Luisen-Orden.

Gesamtansicht des Grundstücks Holländerhaus, Juni 2022

Im Familiensaal des Hauses empfing sie Mitglieder der Königlichen Familie, Feldherren der Befreiungskriege aber auch die Künstler und Gelehrten Ihrer Zeit. Zu nennen sind hier ganz prominent Karl Friedrich Schinkel und Peter Christian Friedrich Wilhelm Beuth. Madame Fetschow ließ das Haus 1847, nur drei Jahre vor Ihrem Tod 1850, noch einmal überbauen.

Grundstück hinter dem Max-Delbrück-Gymnasium und dem Holländerhaus zur Platanenstraße bis zum Kreuzgraben (rechts),
Juni 2022

Ihre Erben verkauften Haus und Hof 1850 an den vermögenden Berliner Fabrikanten, Kunstschlosser und Hobbyschmied Carl Friedrich August Hauschild. Sein Unternehmen soll seinerzeit das wichtigste in der Berliner Luisenstadt gewesen sein. Hauschild ließ das bis dahin immer noch einstöckige Holländerhaus 1852 aufstocken. Im Inneren ließ er einen Rittersaal einbauen, in dem der Hobbyschmied seine gesammelten Prunkstücke ausstellte. Rüstungen, Turnierhelme, Lanzen und vieles mehr. Die Fassade wurde um einen Holzbalkon mit neogotischen Formen erweitert. So wurde das Holländerhaus bei den Dorfbewohnern zum Patrizierhaus. Die Bezeichnung Holländerhaus trägt es bis heute. In der roten Backsteinremise auf dem Hof, die in Schinkelscher Formensprache gebaut wurde, unterhielt Hauschild seine private Kunstschmiede.

Bodenfund: Hufeisen und Verbindungsstück für Doppelgespann von 1500 bis 1900

Carl Friedrich August Hauschild starb 1868. Er hinterließ eine Witwe und 8 Töchter. Die Erben verkauften das Grundstück an Frau Bertha Damköhler für 17.500 Taler. Ab 1885 soll ihr Schwiegersohn Dr. phil. Hugo Bratsch das Haus bewohnt haben. In den letzten Kriegstagen 1945 lag das Grundstück im Kampfgebiet. Beim Ausbruchsversuch Deutscher Einheiten über die Dietzgenstraße war das heutige Schulgebäude auf dem Nachbargrundstück stark umkämpft. Deutsche Soldaten hatten sich verschanzt und wurden von Sowjetischen Einheiten gefangen genommen. Ab 1984 war die „ZIM“, Kürzel für Kombinat Zentraler Industrieanlagenbau, Besitzer des altehrwürdigen Hauses. Auf Verlangen der Denkmalschutzbehörde der DDR musste das Kombinat die Restaurierung des Holländerhauses vornehmen.

Bodenfund: Rest eines ovalen gusseisernen Schildes mit historischer Schlachtdarstellung, etwa 1860 vermutlich von Hauschild

Im Mai 2022 rückten die Bagger erneut an. Jetzt ging es daran, die erste Schicht Oberboden abzuschieben. An den traurigen Anblick hatte ich mich die letzten Monate schon gewöhnt. Jetzt überwog die Neugier, was der Boden nach über 200 Jahren an Geschichten zu erzählen hatte und wieder preisgab. Neben einer vermutlich in den 1950er Jahren angelegten Grube, in der sich Hausrat überwiegend aus Metall befand, beherbergte der Boden auch allerhand rote Ziegel aus verschiedenen Epochen. Sie lassen sich auf die zahlreichen Umbauten des Hauses zurückführen.

Bodenfund: Kunstschmiedearbeit Lampenschirm mit eingefassten bunten Steinen, etwa 1860, vermutlich von Hauschild

Und wie ich vermutet hatte, kamen Tag für Tag neue historische Einzelfunde zum Vorschein. Es dauerte mehrere Tage, bis die Bagger die gesamte Fläche abgeschoben hatten. Die hier gezeigten Funde sind ein Ausschnitt der in mehreren Tagen geborgenen Fundstücke. Bei dem vermeintlich ältesten handelt es sich um Pferdefuhrwerkzubehör, ein Verbindungsstück für ein Doppelgespann, das so in seiner Form handgeschmiedet von 1500 bis 1900 Verwendung fand. Es könnte tatsächlich noch auf die Feldbewirtschaftung von Bauer Kraft zurück gehen.

Bodenfund: Rest eines Deckenleuchters, 1850 bis 1900

Auch Reste eines alten Deckenleuchters, wie er 1850 bis 1900 üblich war, fanden sich, ebenso wie eine Maiolika mit Putten, vermutlich war sie das Zwischenstück einer Etagere oder eines Tafelaufsatzes. Nachdem das Grundstück weitgehend beräumt und sicher genug war, habe ich meinen dreijährigen Junior mitgenommen. Eigentlich sollte gar nichts mehr zu finden sein. Er hat keine Minute gebraucht bis er seinen ersten Fund machte. Ein vollständig erhaltenes Vorratsgefäß, das hier schon über 100 Jahre im Boden auf seine Entdeckung wartete.

Mein Junior und sein erster großer Fund: Gefäß 1850 bis 1900

Am interessantesten waren aber zwei Bodenfunde, die ich allzu gern Carl Friedrich von Hauschild zuschreiben möchte. Da wäre zum einen der handgeschmiedete Lampenschirm. Die bunten, übergroßen Steine sind an der Unterseite des Schirmes einzeln und individuell gefasst, der gesamte Schirm wurde um die Steine herum aufgebaut. Er ist verbogen und einige Steine fehlen aber seine einstige Einzigartigkeit ist noch zu erahnen.

Bodenfund: Voratsgefäß um 1850 bis 1900

Am beeindruckendsten ist für mich aber das große Schild. Umrahmt von einem Kordelbandmuster zeigt es eine historisierte Schlachtszene. Reiter zu Pferden mit etruskisch anmutenden Helmen und Gewändern. Auf der Abbildung metzelt ein Reiter zu Pferd einen anderen Reiter mit Schwert und Schild nieder, der mit seinem Pferd bereits unter dem Pferd des Angreifers liegt. Umrahmt ist der Ausschnitt von Engeln und weiteren Ornamenten, wie einem Füllhorn.

Bodenfund: Maiolikaeinsatz um 1850 bis 1940

Das Zusammenführen verschiedener historischer Stile war im Historismus durchaus üblich. Wie auch bei dem geborgenen Lampenschirm gehe ich davon aus, dass auch das eiserne Schild aus der Schmiede von Hauschild stammt, die er in seiner Remise auf dem Hof betrieb. Auf der Rückseite befinden sich Reste von rotem Backstein und Fugenmörtel. Wahrscheinlich war das Schild fest an einer Ziegelwand montiert, bis es zu Schaden kam oder bei Abrissarbeiten entsorgt wurde.

Bodenfund: Munitionskiste, sowjetischer Helm (oben), zwei deutsche Helme (unten), Bajonett, um 1945

Zuletzt die als erstes zu Tage getretenen Zeugnisse des zweiten Weltkrieges. Die Munitionskiste, drei Helme und ein Bajonett zeugen noch vom Kampf auf der Dietzgenstraße und um das benachbarte Schulgebäude, in dem sich deutsche Soldaten verschanzt hatten. Diese Überreste sind leider überall auf Grundstücken um die Dietzgenstraße verteilt. Letztes Jahr haben wir im Beitrag über den Ausbruchversuch versprengter Deutscher Einheiten berichtet. Gegenüber dem Holländerhaus im Eingangsbereich zum Brosepark befanden sich 1945 die Notgräber der Toten, bevor sie umgebettet wurden.

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Guido Kunze, historische Postkarte vom Holländerhaus

„Versorgungslösung Kettwurst“ auf der Schönhauser Allee

Viele werden ihn kennen, den inzwischen historisch gewordenen Imbiss an der Schönhauser Allee/Ecke Dänenstraße. Aber wer weiß schon, dass hier alles mit einem winzig kleinen Buchladen begann? Auf dem Foto von 1968 betrachten drei Frauen die spärliche Schaufensterauslage. Der kleine Schornstein auf dem Dach verrät den Ofen, mit dem die zwei Mitarbeiter den Bücherladen im Herbst und Winter noch beheizen mussten.

Buchhandlung Schönhauser Allee, 1968

Da der Buchladen bei all der überbordenden kommunistischen Lektüre schnell zu klein wurde, zog er aus und die Handelsorganisation Ost, kurz „HO“ übernahm 1981 das Objekt. Nicht nur in der Schönhauser Allee, in allen größeren Städten der DDR wurden solche Ladenobjekte zu dieser Zeit eröffnet, um den Wunsch der Bürger nach „Kommerzieller Schnellverpflegung“ zu bedienen.

Imbiss noch ohne Reklame, 1981

Das Rationalisierungs- und Forschungsinstitut „Gaststätten, Hotels und Gemeinschaftsverpflegung“ wurde damit beauftragt, Gegenentwürfe zu Hot Dog, Burger und Pizza vorzustellen. Und so enstanden Kettwurst, Grilletta und Krusta. Die Kettwurst ging 1979 an den Start und gewann unter der Bezeichnung: Exponat „Versorgungslösung Kettwurst“ sogleich eine Urkunde auf der „Messe der Meister von Morgen“.

Imbiss Buffet Schönhauser Allee, 1986

Das Rationalisierungs- und Forschungszentrum „Gaststätten, Hotels und Gemeinschaftsverpflegung“ saß in Berlin. Somit ist die Kettwurst eine echte Berlinerin. Auf den Fotos von 1986 ist zu sehen, dass die Kunden in der Dänenstraße an der Ausgabe stehen und nicht wie heute in der Schönhauser Allee.

HO-Imbiss „Buffet“ Schönhauser Allee, 1981

Schaut man ganz genau hin, ist es immer noch der alte Buchladen. Der ehemalige Kundeneingang zur Schönhauser Allee wird als Personaleingang verwendet und das Schaufenster vom Buchladen ist die Ausgabe.

Imbiss Buffet etwa um 1988

Sogar die Werbetafeln des Buchladens aus den 1960ern sind noch die selben und wurden lediglich mit Farbe übermalt und neu beschriftet. Ich selbst bin Jahrgang 1980 und meine erste Kettwurstquelle war der Pavillon im Bürgerpark. Als Anwohner keine 2 Minuten enfernt.

Blick unter dem U-Bahnbogen auf den Imbiss, etwa 1988

Für mich ist der „Kettwurststand auf der Schönhauser“, wie ich ihn nenne, etwas ganz Besonderes und auch der Betreiber Alain André, der mir bis heute die echte Kettwurst erhalten hat. Alain ist gebürtiger Franzose und war zum Mauerfall Westberliner. Er gehörte zu den Jungunternehmern, die sich was aufbauen wollten und der Osten lockte.

Umbau der HO-Verkaufsstelle zu Alain’s Snack, 1991

Das Ende der DDR ließ auch meine Kettwurstquelle im Bürgerpark versiegen. Mit zunehmendem Aktionsradius als Heranwachsender stieß ich dann 1992 in der Schönhauser Allee auf Alain’s Snack und meine neue Kettwurstconnection. Wörter wie „Quelle“ waren jetzt out. Auch heute halte ich noch zwei bis drei mal im Monat hier an und hole mir meine „Ketti“.

Der Fronteingang wird geschlossen, 1991

Ich kenne Alain seit vielen Jahren vom Sehen. Er hat mir einiges von seinem Start als Unternehmer und wie er den Imbiss 1991 übernommen hat erzählt. Wir sitzen zusammen und Alain hat zwei Fotoalben mitgebracht. Während ich meine „Ketti“ esse, blättern wir durch die Fotoalben. Er erzählt von Damals und ich höre gespannt zu.

Neue Fassadendekoration, 1991

Wie er als damals noch etwas naiver Jungunternehmer gleich bei Konopke vorstellig wird und seine „Hilfe anbietet“, er lacht und sagt: „Ich wurde freundlich aber bestimmt des ,Hofes‘ verwiesen mit dem Hinweis, dies ist ein Familienbetrieb und bleibt es“. Konopke war damals schon alteingesessener Gastronom auf der Schönhauser. Alain ist es nach inzwischen über 30 Jahren auch. Zu Familie Ziervogel die Konopke seit Generationen betreibt, hat er heute ein gutes Verhältnis. Man kennt sich als Gastronomen auf der Schönhauser untereinander.

Eröffnung und erste offizielle Coca Cola-Werbung nach dem Mauerfall in
Ostdeutschland, 1991

Alain bekam dann doch noch sein Objekt auf der Schönhauser Allee. Es sollte der alte HO-Imbiss „Buffet“ werden. Einen Haken hatte die Sache aber. Die HO betrieb den Imbiss und die Milch-Mixer Bar zusammen. Den Imbiss durfte er nur zusammen mit der Bar übernehmen. Es führte kein Weg dran vorbei. Nachdem er einen großen Kredit aufgenommen hatte, baute er die Milch-Mixer Bar zu einer Pizzeria um.

Alain’s Snack Schönhauser Allee, September 2022

Da kam der nächste Schock für Ihn. Er hatte nun zwei Gastronomieeinheiten auf der Schönhauser Alle und niemand hatte ihn vorgewarnt, dass die Straße drei Jahre lang zur Baustelle werden würde. Die Laufkundschaft, auf die Gastronomen angewiesen sind blieb aus. Harte Jahre für den Unternehmer.

Autor Bormann (links) und Betreiber Alain André (rechts), September 2022

Einige Erinnerungen teilen wir sogar trotz unseres Altersunterschieds. Zum Beispiel an den Wochenmarkt auf der Brache gegenüber dem Imbiss neben dem S-Bhf Schönhauser Alle. Bei Regen die reinste Matschlandschaft. Heute stehen die Allee Arcaden auf dem einstigen Wochenmarkt, der dann noch einige Jahre unter dem U-Bahnbogen stattfand. Die Pizzeria verkaufte er 2001 und behielt den Imbiss. Heute gibt es hier nicht nur Kettwurst, auch Veganer und Fans von Biofleisch kommen hier auf Ihre Kosten.

Autor: Christian Bormann

Redaktion: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Alain André