Im Juli 2021 haben wir in einem Beitrag einen Blick auf das „Haus Horridoh„ geworfen. Es ist oft sehr mühselig, an Informationen aus der Geschichte eines solch altehrwürdigen Hauses zu gelangen. Fast zwei Drittel des amtlichen Aktenbestandes von Pankow wurden während des Vorrückens der Roten Armee 1945 auf Berlin im Innenhof des Rathauses Pankow verbrannt.
Haus Horridoh im Winter 1933, Linden Straße, heute Grabbeallee
Umso größer war die Freude, als sich Simone Kehrer meldete. Vorfahren von ihr lebten von 1931 bis 1934 im „Haus Horridoh“. Wir verabredeten uns und ich durfte einen Blick in die alten Fotoalben der Familie werfen. Hier spiegelte sich nicht nur die Geschichte der Familie, sondern auch Bezirksgeschichte wider. Die Urgroßeltern von Frau Kehrer, Alfred Bünsow (1884-1937), Schilderfabrikbesitzer, und seine Frau Anna Alma Bünsow, geb. Pflugradt (1884-1976), lebten drei Jahre mit ihren Kindern im „Haus Horridoh“.
Alfred Bünsow in seiner Ordenstracht als Pankgraf, wohl in jüngeren Jahren
Alfred Bünsow war gestandener Pankgraf, hiervon zeugen noch zahlreiche Bilder. Sie zeigen ihn mit seinen Ordensbrüdern auf Ausflügen und bei Besuchen von Biergärten, stets in voller Ordenstracht. Überraschend für mich war das Foto, auf dem Anna Alma Bünsow sich vor einer Mauer des Anwesens in weiblicher Ordenstracht zeigt.
Anna Alma Bünsow, geb. Pflugradt, in Ordenstracht der Pankgrafenschaft am Haus Horridoh, um 1933
Von der damaligen Linden Straße 33, heute Grabbeallee, hatte es Alfred Bünsow nicht weit bis zum Stammlokal seiner Ordensbrüder. Das Restaurant „Zum Pankgrafen“ lag direkt in der heutigen Ossietzkystraße auf Höhe der Panke. Hier hatte das Lokal neben Sitzplätzen für mehrere Tausend Gäste auch eine angeschlossene Panke-Badeanstalt. Die Pankebäder wurde in den 1920er Jahren wegen zu starker industrieller Verschmutzung der Panke alle geschlossen und das Restaurant nebst Biergarten fiel den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs zum Opfer.
Dackel des Hauses
Wir bleiben zeitlich Anfang der 1930er Jahre im „Haus Horridoh“. Die Bilder zeigen den Alltag, wie er auch anderen Ortes sein könnte. Der Dackel hütet das Haus. Es werden Hühner gefüttert. Man genießt die Tageszeitung bei ersten Sonnenstrahlen. Aber eine Besonderheit verbirgt „Haus Horridoh“ in den 1930 er Jahren.
Hühnerfüttern morgens auf dem Hof Horridoh, 1933
Nicht nur für heutige Verhältnisse befremdlich, dürften die Affen von Alfred Bünsow wol damals schon für Aufsehen und Gerede gesorgt haben. Vermutlich brachte eine Schwester von Alfred Bünsow die Tiere mit. Sie hatte 1919 einen deutschen Konsul geheiratet, mit dem sie viele Jahre erst in Kamerun, dann an der westafrikanischen Küste lebte.
Affenkäfig in der Remise Hof Horridoh, 1933
Neben einigen Schnappschüssen der Affen im Haus und in der Remise zeigen sie auch das Pankower Leben am Wochenende. Während es sich Alfred Bünsow mit seinen Ordensbrüdern im Restaurant „Zum Pankgrafen“ gutgehen lässt, besucht Anna Alma Bünsow das nur 15 Fußminuten entfernte Traumland Schönholz, der Vergnügungspark, der nur wenige Jahre später zum Zwangsarbeiterkomplex Lunalager wird.
Der Affe spielt mit dem Staubsauger im Haus Horridoh, 1933
Die Kulissen vom Traumland Schönholz sind unverwechselbar. Damals gab es hier ein Riesenrad, die Himalayabahn, das Oberbayern, Restaurant Schloss Schönholz und vieles mehr. Es gab auch einen Pavillion, die Traumstadt Liliput, bei der sich kleinwüchsige Menschen zur Schau stellten oder gestellt wurden. Heute unvorstellbar, aber damals üblich.
Motorrad auf dem Hof Horridoh, 1933
Mittags auf dem Hof Horridoh, 1933
Lindenallee 1933, heute Grabbeallee Haus Horridoh
Terasse Haus Horridoh, 1933
Restaurant zum Pankgrafen, heutige Ossietzkystraße, 1933
1935 zog Familie Bünsow in die Parkstraße. Was aus den Affen wurde? Wer weiß? Bilder von ihnen gibt es nur aus „Haus Horridoh“. Alfred Bünsow musste jetzt nur noch einige Meter die Parkstraße entlang, in den Elisabethweg abbiegen und saß sofort im „Restaurant zum Pankgrafen“ unter seinen Ordensbrüdern. Der kurze Heimweg war bestimmt kein Zufall. Leider verstarb Alfred Bünsow schon drei Jahre nach seinem Umzug.
Vergnügunspark Traumland Schönholz, 1933
Kulisse im Traumland Schönholz, 1933
Vergnügungspark Traumland Schönholz, 1933
Dass wir heute einmal hinter die Fassade des Hauses einen kurzen Blick in die 1930er Jahre werfen konnten, verdanken wir zwei Frauen, die diese historischen Bilder aufbewahrt, gehütet, weitergegeben und mit uns geteilt haben, die Tochter von Anna Alma Bünsow, Irmgard Bünsow und deren Tochter Simone Kehrer.
Haus Horridoh und das Pflaster der Linden Straße 1933, heute Grabbeallee
Unser kleiner Einblick endet wie er begann, mit einer seltenen historischen Privataufnahme von „Haus Horridoh“. Vielen Dank an Simone für diese interessanten Aufnahmen aus dem Herzen Pankows.
Zu den zweifellos interessantesten Grundstücken in Niederschönhausen gehört für mich das Holländerhaus mit seiner bewegten und recht gut dokumentierten Historie. Seit Jahren vermute ich, dass sich im Boden des Grundstücks, das von der Dietzgenstraße bis zum Kreuzgraben in der Platanenstraße reicht, viele Zeitzeugnisse befinden, die sich auch den Personen zuordnen lassen, die hier lebten.
Holländerhaus um 1910
Hinter dem Holländerhaus erstreckt sich das Grundstück bis zum Kreuzgraben. Etwa zwei Drittel waren jahrzehntelang lang mit Eichen zugewachsen, Efeu war bis in die Baumkronen geklettert. Der Ort wirkte wie aus der Zeit gefallen. Das war er auch, bis vor zwei Jahren die Bagger anrückten und das Naturidyll kahl schlugen. Nur wenige Bäume sind ab der Grundstückshälfte stehen geblieben. Ein trauriger Anblick, aber auch die Möglichkeit, meine Vermutung zu überprüfen.
Luftaufnahme Holländerhaus Dietzgenstraße, Juni 2022
Die Bankiersfamilie Fetschow kaufte 1802 das Grundstück von Bauer Kraft. Damals nur die ersten 60 Qadratruten. Die Erweiterung geschah durch wiederholten Zukauf von Flächen bis zum Kreuzgraben. Die Fetschows hatten ihr Bankhaus in der Berliner Klosterstraße 87. Nach dem Tod ihres Mannes ließ die Witwe Henriette Sophie Fetschow das Sommerhaus abtragen und 1816 durch ein einstöckiges Haus aus roten Backsteinen im holländischen Stil ersetzen. Aus dieser Zeit stammt auch der Name Holländerhaus. Madame Fetschow, wie sie liebevoll genannt wurde, war mit Prinzessin Marianne befreundet. Sie setzte sich für bessere Ausrüstung der Soldaten in den Befreiungskriegen und die Linderung der Nöte der armen Dorfbevölkerung ein. Am 16. Januar 1818 erhielt sie dafür den Luisen-Orden.
Gesamtansicht des Grundstücks Holländerhaus, Juni 2022
Im Familiensaal des Hauses empfing sie Mitglieder der Königlichen Familie, Feldherren der Befreiungskriege aber auch die Künstler und Gelehrten Ihrer Zeit. Zu nennen sind hier ganz prominent Karl Friedrich Schinkel und Peter Christian Friedrich Wilhelm Beuth. Madame Fetschow ließ das Haus 1847, nur drei Jahre vor Ihrem Tod 1850, noch einmal überbauen.
Grundstück hinter dem Max-Delbrück-Gymnasium und dem Holländerhaus zur Platanenstraße bis zum Kreuzgraben (rechts), Juni 2022
Ihre Erben verkauften Haus und Hof 1850 an den vermögenden Berliner Fabrikanten, Kunstschlosser und Hobbyschmied Carl Friedrich August Hauschild. Sein Unternehmen soll seinerzeit das wichtigste in der Berliner Luisenstadt gewesen sein. Hauschild ließ das bis dahin immer noch einstöckige Holländerhaus 1852 aufstocken. Im Inneren ließ er einen Rittersaal einbauen, in dem der Hobbyschmied seine gesammelten Prunkstücke ausstellte. Rüstungen, Turnierhelme, Lanzen und vieles mehr. Die Fassade wurde um einen Holzbalkon mit neogotischen Formen erweitert. So wurde das Holländerhaus bei den Dorfbewohnern zum Patrizierhaus. Die Bezeichnung Holländerhaus trägt es bis heute. In der roten Backsteinremise auf dem Hof, die in Schinkelscher Formensprache gebaut wurde, unterhielt Hauschild seine private Kunstschmiede.
Bodenfund: Hufeisen und Verbindungsstück für Doppelgespann von 1500 bis 1900
Carl Friedrich August Hauschild starb 1868. Er hinterließ eine Witwe und 8 Töchter. Die Erben verkauften das Grundstück an Frau Bertha Damköhler für 17.500 Taler. Ab 1885 soll ihr Schwiegersohn Dr. phil. Hugo Bratsch das Haus bewohnt haben. In den letzten Kriegstagen 1945 lag das Grundstück im Kampfgebiet. Beim Ausbruchsversuch Deutscher Einheiten über die Dietzgenstraße war das heutige Schulgebäude auf dem Nachbargrundstück stark umkämpft. Deutsche Soldaten hatten sich verschanzt und wurden von Sowjetischen Einheiten gefangen genommen. Ab 1984 war die „ZIM“, Kürzel für Kombinat Zentraler Industrieanlagenbau, Besitzer des altehrwürdigen Hauses. Auf Verlangen der Denkmalschutzbehörde der DDR musste das Kombinat die Restaurierung des Holländerhauses vornehmen.
Bodenfund: Rest eines ovalen gusseisernen Schildes mit historischer Schlachtdarstellung, etwa 1860 vermutlich von Hauschild
Im Mai 2022 rückten die Bagger erneut an. Jetzt ging es daran, die erste Schicht Oberboden abzuschieben. An den traurigen Anblick hatte ich mich die letzten Monate schon gewöhnt. Jetzt überwog die Neugier, was der Boden nach über 200 Jahren an Geschichten zu erzählen hatte und wieder preisgab. Neben einer vermutlich in den 1950er Jahren angelegten Grube, in der sich Hausrat überwiegend aus Metall befand, beherbergte der Boden auch allerhand rote Ziegel aus verschiedenen Epochen. Sie lassen sich auf die zahlreichen Umbauten des Hauses zurückführen.
Bodenfund: Kunstschmiedearbeit Lampenschirm mit eingefassten bunten Steinen, etwa 1860, vermutlich von Hauschild
Und wie ich vermutet hatte, kamen Tag für Tag neue historische Einzelfunde zum Vorschein. Es dauerte mehrere Tage, bis die Bagger die gesamte Fläche abgeschoben hatten. Die hier gezeigten Funde sind ein Ausschnitt der in mehreren Tagen geborgenen Fundstücke. Bei dem vermeintlich ältesten handelt es sich um Pferdefuhrwerkzubehör, ein Verbindungsstück für ein Doppelgespann, das so in seiner Form handgeschmiedet von 1500 bis 1900 Verwendung fand. Es könnte tatsächlich noch auf die Feldbewirtschaftung von Bauer Kraft zurück gehen.
Bodenfund: Rest eines Deckenleuchters, 1850 bis 1900
Auch Reste eines alten Deckenleuchters, wie er 1850 bis 1900 üblich war, fanden sich, ebenso wie eine Maiolika mit Putten, vermutlich war sie das Zwischenstück einer Etagere oder eines Tafelaufsatzes. Nachdem das Grundstück weitgehend beräumt und sicher genug war, habe ich meinen dreijährigen Junior mitgenommen. Eigentlich sollte gar nichts mehr zu finden sein. Er hat keine Minute gebraucht bis er seinen ersten Fund machte. Ein vollständig erhaltenes Vorratsgefäß, das hier schon über 100 Jahre im Boden auf seine Entdeckung wartete.
Mein Junior und sein erster großer Fund: Gefäß 1850 bis 1900
Am interessantesten waren aber zwei Bodenfunde, die ich allzu gern Carl Friedrich von Hauschild zuschreiben möchte. Da wäre zum einen der handgeschmiedete Lampenschirm. Die bunten, übergroßen Steine sind an der Unterseite des Schirmes einzeln und individuell gefasst, der gesamte Schirm wurde um die Steine herum aufgebaut. Er ist verbogen und einige Steine fehlen aber seine einstige Einzigartigkeit ist noch zu erahnen.
Bodenfund: Voratsgefäß um 1850 bis 1900
Am beeindruckendsten ist für mich aber das große Schild. Umrahmt von einem Kordelbandmuster zeigt es eine historisierte Schlachtszene. Reiter zu Pferden mit etruskisch anmutenden Helmen und Gewändern. Auf der Abbildung metzelt ein Reiter zu Pferd einen anderen Reiter mit Schwert und Schild nieder, der mit seinem Pferd bereits unter dem Pferd des Angreifers liegt. Umrahmt ist der Ausschnitt von Engeln und weiteren Ornamenten, wie einem Füllhorn.
Bodenfund: Maiolikaeinsatz um 1850 bis 1940
Das Zusammenführen verschiedener historischer Stile war im Historismus durchaus üblich. Wie auch bei dem geborgenen Lampenschirm gehe ich davon aus, dass auch das eiserne Schild aus der Schmiede von Hauschild stammt, die er in seiner Remise auf dem Hof betrieb. Auf der Rückseite befinden sich Reste von rotem Backstein und Fugenmörtel. Wahrscheinlich war das Schild fest an einer Ziegelwand montiert, bis es zu Schaden kam oder bei Abrissarbeiten entsorgt wurde.
Bodenfund: Munitionskiste, sowjetischer Helm (oben), zwei deutsche Helme (unten), Bajonett, um 1945
Zuletzt die als erstes zu Tage getretenen Zeugnisse des zweiten Weltkrieges. Die Munitionskiste, drei Helme und ein Bajonett zeugen noch vom Kampf auf der Dietzgenstraße und um das benachbarte Schulgebäude, in dem sich deutsche Soldaten verschanzt hatten. Diese Überreste sind leider überall auf Grundstücken um die Dietzgenstraße verteilt. Letztes Jahr haben wir im Beitrag über den Ausbruchversuch versprengter Deutscher Einheiten berichtet. Gegenüber dem Holländerhaus im Eingangsbereich zum Brosepark befanden sich 1945 die Notgräber der Toten, bevor sie umgebettet wurden.
Autor: Christian Bormann
Red. Bearbeitung: Martina Krüger
Fotos: Christian Bormann, Guido Kunze, historische Postkarte vom Holländerhaus
An der Grabbeallee in Berlin-Pankow stehen noch so einige altehrwürdige Vorstadtvillen aus dem Historismus. Zu den schönsten gehört zweifelsohne „Haus Horridoh“. Wer kennt sie nicht, die zwei Hirschköpfe, die seit 150 Jahren stur und unbeirrt auf die gegenüberliegende Straßenseite blicken.
Haus Horridoh, Foto um 1995
Wer diese morbide wirkende Vorstadtvilla in der Grabbeallee 39 schon einmal gesehen hat, der vergisst den märchenhaften Anblick nicht so schnell. Die Eindrücke reichen von traumhaft bis gruselig, je nach Betrachter.
Haus Horridoh, Grabbeallee 39, auf diesem Foto aber als Hausnummer 38 angegeben, Foto 1958
Die Vorstadtvilla im Stil des Historismus wurde um 1870 am Verbindungsweg zwischen Pankow und Niederschönhausen errichtet. Die Straße wurde später auf Grund ihres Baumbestandes Lindenstraße genannt. Einhundert Jahre nach dem Tod des Dichters Christian Dietrich Grabbe (1801-1836) wurde die Lindenstraße 1936 zur Grabbeallee.
Denkmalgeschützte Vorstadtvilla „Haus Horridoh“, Straßenansicht, Foto Juli 2021
Die Fassade von „Haus Horridoh“ ist mit Säulen, Pfeilern und Rundbögen ausgestattet. Am nördlichen Seitengiebel des dreiachsig gegliederten Hauses, hinter der gemauerten Durchfahrt, befindet sich ein großes rundes Stuckrelief, das eine sitzende junge Frau zeigt. Soweit alles sehr typisch für die Epoche des Historismus.
Treppenaufgang zu den Präsentationsräumen seiner Zeit, Foto Juli 2021
Eine besondere Abweichung ist die Giebelgestaltung. Zwei lebensgroße Hirschköpfe zieren die Fassade. Zwischen ihnen ist in altdeutscher Blockschrift „Haus Horridoh“ zu lesen. Horridoh auch Horrido ohne H geschrieben geht auf die Jägersprache zurück und soll sich vom Anfeuerungsruf bei der Treib- und Hetzjagd ableiten.
Balkon mit schmiedeeiserner Balustrade, gefasst von kleinen gemauerten Pfeilern, Foto Juli 2021
Zu dem Gesamtensemble gehört noch eine wunderschöne, gut erhaltene zweistöckige Remise. Hinter der Villa fällt das Gelände stark ab, mittig steht die Remise, die äußerlich weitgehend im Original erhalten scheint und im Gegensatz zur vorstehenden Villa fast unbekannt ist.
Frontgiebel zur Straße, zwei lebensgroße Hirschköpfe rahmen den Spruch „Haus Horridoh“ Wappenjartzsche ist raus geschnitten, Foto Juli 2021
Haus Horridoh ist als herausragendes und gut erhaltenes Beispiel für die Villen vermögender Bürger in den Vororten Berlins denkmalgeschützt. Das Dach ist vor einigen Jahren erneuert worden und dem Betrachter fällt auf, dass die Wappenkartusche im Giebel herausgeschnitten wurde. Wahrscheinlich geschah dies zu ihrem Schutz, um weitere Verwitterung zu verhindern.
Hirschkopf am Giebel Haus Horridoh, Foto Juli 2021
Auch wenn die alte Villa mit ihrem bröselnden Putz in Teilen schon einen bedauerlichen Eindruck macht, so ist sie tatsächlich in einem außerordentlich vollständigen und auch baulich noch gutem Zustand.
Römischer Säulenschmuck am Sichteingang, Foto Juli 2021
Der Bauherr war zweifelsohne Jäger oder in diesem Milieu zuhause. Und obwohl Haus Horridoh schon so lange existiert, ist über seine Besitzer so gut wie nichts bekannt.
Seitlicher Blick in den Treppenaufgang zur Straße, Foto Juli 2021
Das älteste zu recherchierende Foto ist eine Bestandsaufnahme von 1953, dort ist das Haus mit der Nummer Grabbeallee 38 und nicht wie heute mit der Hausnummer 39 angegeben.
Kleiner Figurenspiegel über dem Fenster der Frontfassade, Foto Juli 2021
Die schmiedeeiserne Einfriedung ist wohl ebenfalls noch im Originalzustand. Sie ist etwas einfach gehalten für den Historismus. Möglicherweise geschah das absichtlich, um den Blick auf die prächtige Villa nicht abzulenken.
Gemauerte Tordurchfahrt, links befindet sich der Eingang zum Hausflur, Foto Juli 2021
Was beim Vergleich der Fotos 1953 und 2021 auffällt, sind die Rundbögen, die die Einfriedung krönen. Auf dem Foto von 1953 ist im Abstand von je 2 Metern ein Rundbogen zu sehen. Auf dem Foto von 2021 trägt nur noch das erste Eingangstor den Rundbogen, der sich als Krönung aus beiden geschlossenen Torflügeln zusammensetzt.
Zwei typische kleine Bogenfenster am Nordgiebel über der Einfahrt im Historismusstil, Foto Juli 2021
Auf der gesamten Länge der Einfriedung wurden die Bögen abgesägt und durch Stacheldrahthalter ersetzt. Warum die Bögen abgesägt wurden, bleibt unbeantwortet. Der Stacheldraht zur Grundstückssicherung hätte auch so angebracht werden können.
Seitenansicht der Nordfassade mit Durchfahrt und runder Stuckkassette, Foto Juli 2021
Über den derzeitigen Besitzer ist nicht viel bekannt. Er wohnt eine halbe Treppe tiefer im ausgebauten Keller und die anderen Wohnungen im Haus sind vermietet.
Stuckkassette am nördlichen Seitengiebel zeigt eine erschöpfte Frauendarstellung sitzend in einem Stuhl. Foto Juli 2021
Durch die mit Rundbögen verzierte gemauerte Durchfahrt, an deren Ende ein zweites Tor steht, geht es zum großen Garten, in dem die gut erhaltene Remise steht. Das rückliegende Grundstück wird heute zu einem großen Teil als Nuzgarten betrieben, in dem eine kleine elektrische Eisenbahn Ihre Runden im Gehölz dreht.
Zweistöckige Remise im Garten von Hause Horridoh, Foto Juli 2021
Ich selbst war erstaunt, was hinter der so bekannten Frontfassade des Haus Horridoh noch alles erhalten geblieben ist und vor allem in welcher Vollständigkeit.
Es war im Jahr 1890, als bei Planierarbeiten in der Nähe des Gutes Rosenthal (wobei Nähe als örtliche Beschreibung relativ ist) in der Niederung zwischen Rosenthal, Buchholz, Blankenfelde und Niederschönhausen drei Körpergräber aus der Latène-Zeit gefunden wurden. Der Begriff Latène beschreibt vereinfacht gesagt die Epoche der jüngeren vorrömischen Eisenzeit in Teilen Europas vom 5 Jh. v. Chr. bis Chr. Geburt. Skelett 2 und 3 lagen etwa 45 Meter auseinander. Die Knochenreste waren in einem schlechten Zustand und wurden achtlos beiseite geräumt. Das dritte Skelett wurde laut den Aufzeichnungen auf Anweisung des Amtsvorstehers von Schildow auseinandergerissen und wieder vergraben. Die Ausrichtung der drei in 1,20 Meter tief begraben Skelette wurde nicht erfasst.
Kleine Talsenke bei Blankenfelde u. Rosenthal, ebenfalls bekannt als wüste Dorfstelle zwischen Rosenthal und Blankenfelde, Foto Juli 2021
Skelett 1 und 2 waren ohne Beigaben, wobei auf Skelett 2 deutlich grüne Bronzespuren zu erkennen waren. Die Beigaben selbst waren nicht mehr erhalten, das Geschlecht aber aufgrund der Knochen auf weiblich festfelegt. Das Geschlecht von Skelett 3 konnte mit Hilfe der Grabbeigaben als weiblich bestimmt werden. In Brusthöhe waren ein goldener Brakteat und eine vergoldete Silberfibel erhalten geblieben. Fundstück (a), die vergoldete Silberfibel, ist 4,4 Zentimeter lang, hat eine aufgeklappte Kopfplatte und einen schwalbenschwanzartigen Fuß. An den Enden befinden sich zwei Fassungen, in denen ursprünglich Steine eingelegt waren. Der Fibelflügel ist mit Kerben verziert.
Beifund (a) Silberfibel und (b) goldener Brakteat aus den Körpergräbern, Abbildungen Berliner Jahrbuch zur Ur- und Frühgeschichte, 1962
Fundstück (b) ist der goldene Brakteat. Ein Brakteat ist eine getriebene Münze oder eine Medaille. Der goldene Brakteat von Rosenthal ist mit einem Perlenrand und einer Öse versehen. Hergestellt in Treibtechnik ist eine stilisierte menschliche Figur auf einem Pferd zu sehen. Ein Arm hält die Zügel, der andere ist hoch gestreckt. Die Freiräume sind mit Ornamenten verziert.
Fundstück Maskenfibel von Niederschönhausen, Latène 5. Jh. v. Chr.
Bei der berühmten Maskenfibel von Niederschönhausen handelt es sich ebenfalls um eine Fibel, aber aus Bronze. Datiert ist sie auf das 5. Jh. v. Chr. Es handelt sich hier um eine Gewandspange, auf der zwei einander abgewandte menschliche Gesichter zu sehen sind, der abgebogene Fuß ist als Widderkopf ausgestaltet. Diese sogenannten Maskenfibeln aus der Latènezeit waren räumlich vom Mittelrhein bis Nordböhmen zu finden. Funde ihrer Art sind außerhalb des Keltengebiets äußerst selten.
Bronzefibel von Niederschönhausen, Latènestil 5. Jh. v. Chr., Foto 1900 bis 1940
Vermutet wird, dass die Maskenfibel soweit nördlich des Keltengebiets als Geschenk oder Handelsgut bis auf das Gebiet des heutigen Niederschönhausen kam.
Autor: Christian Bormann
Red. Bearbeitung: Martina Krüger
Bilder: Christian Bormann, Museum für Ur- und Frühgeschichte, Berliner Jahrbuch zur Ur- und Frühgeschichte, Aufzeichnungen Ernst Kikebusch
Quellen: Berliner Jahrbuch für Vor- und Frühgeschichte 1962, Berliner Ur- und Frühgeschichte Märkisches Museum, Preußischer Kulturbesitz- Museum für Ur- und Frühgeschichte Berlin
An der Hermann-Hesse-Straße 80 liegt der der Paul-Zobel-Sportplatz auf dem Gebiet der Schönholzer Heide. Direkt hinter dem Sportplatz und parallel zur Außenmauer verlaufend liegt ein etwa 120 Meter langes Pflaster, das in seiner Art noch fast spätmittelalterlich wirkt. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit den archäologischen Resten, die sich hier in Schönholz aus einer Zeit ab 1660 bis heute quer durch die verschiedenen Epochen erhalten haben.
Gepflasterte Allee Schloss Schönholz, Weg von Schönhausen nach Schloss Charlottenburg, Postkarte um 1880
Seit vielen Jahren gehe ich davon aus, dass es sich bei dem sichtbaren Restpflaster um den Weg von Schönhausen nach Schloss Charlottenburg handelt, die heutige Tschaikowskistraße, die an Ihrem Ende in der Schönholzer Heide verschwindet. Ich bin mir sicher, dass diese gepflasterte Allee auf das Jahr 1753 zurück geht. Es dürfte sich wohl um einen der ältesten, wenn nicht den ältesten noch existierenden Pflasterweg in Pankow handeln. Aber mehr noch vermute ich, dass sich die Allee nach Schönholz nicht nur auf den sichtbaren 120 Metern hinter dem Sportplatz erhalten hat, sondern noch in Ihrer vollen Länge auf dem Gebiet von Schönholz in der Erde verborgen ist.
Sichtbarer Rest des gesuchten Pflasterweges von Schönhausen nach Schloss Charlottenburg, Foto Juni 2021
Ich habe mich mit meiner Vermutung an die Revierleiterin Cornelia Wagner vom Straßen- und Grünflächenamt Pankow gewandt. Zu meiner Freude unterstützt Frau Wagner die nötigen Sondierungsarbeiten im öffentlichen Interesse. Sollte die originale Pflasterung von 1753 noch in Gänze vorhanden sein, wäre das nicht weniger als eine kleine Sensation. Es dreht sich alles um die Plantage der Königin Elisabeth Christine.
Cornelia Wagner, Revierleiterin Straßen- u. Grünflächenamt Berlin-Pankow (links), Autor Christian Bormann (rechts), Foto Juni 2021
Bereits 2014 gelang mir und Nadine Kreimeier auf dem Gebiet der Königlichen Plantage ein spektakulärer Waffenfund. Die Geschichte erschien unter dem Titel „Die Muskete von Schönholz“. Es handelt sich dabei um einen seltenen Jagdstutzen, wie er ab 1640 gebaut wurde. In den historischen Inventarlisten, die nach dem Siebenjährigen Krieg von Schloss Schönhausen erstellt wurden wird beschrieben, dass im Schloss 3 Büchsen des Königs geraubt wurden und die Soldaten zur Plantage weiter zogen.
Muskete v. Schönholz 05.02.18 bei ZIBB RBB
Hier soll es auf dem Weg von Berlin nach Schönholz, wobei es sich um die Kreuzachse zu unserer Pflaster-Alle nach Schönholz handelt, zu einem schweren Überfall auf der Plantage gekommen sein. Der Fundort stimmt überein und auch waren diese Büchsen sehr seltene Waffen zu dieser Zeit. Es ist also gar nicht so unwahrscheinlich, dass es sich um eine der beschriebenen geraubten Büchsen des Königs handelt. Ich habe den Bodenfund 2015 dem Museum Pankow überlassen.
Karte 1 der Feldmark um 1720 zeigt die Allee nach Schloss Charlottenburg ohne Plantage
1662 erwarb Gräfin Sophie Theodore zu Dohna-Schlobitten das heutige Schloss Schönhausen als Landgut, wo sie 1664 ein Herrenhaus, eine Meierei und einen Park errichten liess. Schon 1680 übernahm der kurfürstliche General Joachim Ernst von Grumbkow die Ländereien. Er ließ 1685 bis 1689 das heute im Grundzug noch erhaltene Schloss errichten.
Karte 2 von 1852
Grumbkows Witwe wiederum verkaufte das Grundstück 1691 an den Kurfürst Friedrich III., auch er liess hier Umbauten, diesmal von Johann Arnold Nehring vornehmen. Erst 1704 beauftragte König Friedrich I. Johann Friedrich Erosander mit der Erweiterung der Anlage. Hier beginnt unsere Geschichte. Karte 1 zeigt die Allee bereits mit Bäumen flankiert. Schnurgerade verläuft sie von der Mitteltür des Schlosses Schönhausen, bis sie kurz vor der heutigen Straße vor Schönholz endet und als abknickender Weg durch die Feldmark Reinickendorf weiter nach Charlottenburg verläuft.
Karte 3 von 1668
Es handelt sich hierbei um den Charlottenburger Weg, damals höchstwahrscheinlich noch ungepflastert aber bereits mit Bäumen fest als Empfangsallee angelegt. 1752 kaufte Elisabeth Christine einen Teil der Schönhauser Fichten, die damals vom nördlichen Pankeufer des heutigen Bürgerpark bis zur Jungfernheide reichten. Schon im selben Jahr wird die Plantage eingezäunt. Der Weg nach Charlottenburg weicht jetzt in Höhe Tschaikowski-/Ecke Hermann-Hesse-Straße in einem leichten Bogen ab und verläuft heute als Hermann-Hesse-Straße vor dem Paul-Zobel-Sportplatz, dann weiter über die Straße vor Schönholz in die heutige Provinzstraße.
Karte 4 von 1872
Ab jetzt heißt der Pflasterweg auf dem Gebiet der Heide Allee nach Schönholz, während der Weg nach Charlottenburg bis etwa 1900, leicht verändert vor die Plantage verlegt, weiter existiert. Auf den Karten 2, 3 und 4 ist die Königliche Plantage und der jetzt herum führende Weg nach Charlottenburg in seiner neuen Form gut zu erkennen. Auf 62 Morgen sollte eine Maulbeerplantage zur Seidenraupenzucht entstehen.
Rot: gesuchter Pflasterweg, grüne Punkte: Schloss Schönhausen oben, Schloss Schönholz unten
Das sogenannte Schloss Schönholz war ein Planteurhaus und wurde auf Grund seiner pompösen Innenausstattung von der Bevölkerung als Schloss bezeichnet. Es enstand ebenfalls 1753 auf den Resten einer alten Besitzung König Friedrich I. Ich gehe davon aus, dass in diesem Jahr auch der Pflasterweg zwischen Schloss Schönhausen und der Königinnenplantage enstand.
Autor Bormann (rechts), Unterstützer Marvin Fleischer (links) beim Graben in der Schönholzer Heide, Foto Juni 2021
Die Kolonie Schönholz war eine 1763 gegründete Siedlung von Leinewebern am Rand außerhalb der Plantage, wie auf den Karten 2, 3 und 4 zu erkennen. Bis in die 1840er Jahre existierten die Königinnenplantage und der Pflasterweg noch in Gänze. Um 1880 kaufte die Berliner Schützengilde das Areal der ehemaligen Plantage. Mit dem Bau des Schützenhauses auf einem Teil der Plantage wurde der Pflasterweg mit der Umgebungsmauer überbaut.
Indiana-Jones Junior schaut sich Papas Arbeit an. Foto Juni 2021
Danach wurde die Schönholzer Heide zu Erholungsort und Partymeile, die Ihren Höhepunkt 1936 im Traumland Schönholz findet. Damals Berlins größter Vergnügungspark und schon wenige Jahre später Zwangsarbeiterlager und sogar Schlachtfeld beim Ausbruchsversuch der Deutschen Armee am 1. Und 2. Mai 1945. Nach dem Krieg wurden dann die als Reparationen erbeuteten Industrieanlagen aus Wilhelmsruh und Reinickendorf hier von der Roten Armee für Ihren Abtransport in die Sowjetunion gesammelt. So reichten 150 Jahre Geschichte, um den Pflasterweg im wahrsten Sinne des Wortes unter die Erde zu bringen und aus der Erinnerung zu tilgen.
Marvin Fleischer beim Freilegen des über 250 Jahre alten Pflasters, Foto Juni 2021
Am 19.06.2021 habe ich die ersten Sondierungen mit Marvin Fleischer durchgeführt. Der von mir vermutete Pflasterweg wurde in drei Suchabschnitte eingeteilt. Die noch vorhandenen 120 Meter sind Bereich 0. Die gesuchten drei Abschnitte sind Teil A, der Abschnitt zwischen Sportplatz und Schützenmauer, Teil B, der Abschnitt zwischen Tschaikowskistraße und Sportplatz und Teil C, das Gelände des Schützenhauses.
Autor Bormann beim Abfegen der Pflastersteine, Foto Juni 2021
Die Abschnitte sind absteigend nach der Wahrscheinlichkeit ihrer Existenz angeordnet. Samstag vormittag gegen 10 Uhr bei 30° hieß es mit Hacke und Spaten „Nu mal Butter bei die Fische“. Und schon die erste vorsichtige Sondierung war ein voller Erfolg. Das Schwitzen im Dickicht sollte sich lohnen. Für Abschnitt A konnte der Pflasterweg schon nach 2 Stunden als vollständig erhalten nachgewiesen werden.
Marvin Fleischer beim Lokalisieren des Pflasters an der Mauer Schützenhaus Schönholz, Foto Juni 2021
Wie vermutet verschwindet er unter der Umgebungsmauer des Schützengeländes. Während wir uns zu zweit mit Hacke, Spaten Erdnägeln und Handfeger durch die Büsche schlugen, stießen wir auf die nächste Entdeckung. Zwei Platanen, die den im Erdreich verborgenen Pflasterweg links und rechts parallel begrenzen. Sie gehören nicht zu den Baumbeständen der letzten 150 Jahre.
Befund, erhaltenes Pflaster in Forschungsabschnitt Teil A nachgewiesen, Foto 2021
Ihr Standort und die Anordung lassen mich vermuten, dass es sich noch um erhaltene Alleebäume der ursprünglichen Plantage handelt. Sie stehen wie natürliche Torwächter je nach Sichtweise am Anfang oder Ende der Allee von Schönholz. Um das belegen zu können ist bereits eine Inaugenscheinnahme mit Frau Wagner vom zuständigen Straßen- und Grünflächenamt vereinbart.
Abgebrochener Sondierungsversuch Forschungsabschnitt B, Foto Juni 2021
In den nächsten zwei Wochen geht es an Teil B, der Abschnitt zwischen Tschaikowskistraße und Sportplatz. Sollten Abschnitt A und auch B von mir nachgewiesen werden, so wird die Existenz des gesamten Pflasterweges erstmal amtlich erfasst und dann auch bei zukünftigen Bauvorhaben oder Landschaftsgestaltungen berücksichtigt werden.
Zwei erhaltene Riesenplatanen (Originalbestand) am Ende der Plantage begrenzen den alten Pflasterweg nach Charlottenburg
Darüber hinaus ist es auch vorstellbar, den Pflasterweg wieder freizulegen und mit entsprechender Schautafel vor Ort zu ergänzen. Das ganze Projekt ist von mir auf sechs Monate angelegt und diesmal wird der Leser noch während des Geschehens in mehreren Teilen mit auf die Reise genommen. In zwei Wochen erfolgt schon die Sondierung auf Teil B. Ich bin gespannt auf das Ergebnis und die Fortsetzung dieser Geschichte.
Aldi baut Wohnungen in Pankow. Der Discounter möchte deutschlandweit auf eigenen Immobilien, die bislang für Supermärkte genutzt werden, Wohn- und Geschäftshäuser mit integrierten Supermärkten errichten. So auch in der Dietzgenstraße 86 in Niederschönhausen. Anfang 2021 begann die Firma Schulte mit den Tiefbauarbeiten auf einem Teil des Supermarktparkplatzes. Hierzu mussten das Pflaster enfernt und der Aushub der Baugrube gereinigt werden.
Baustelle Dietzgenstraße 86, Luftbild Juni 2021
Das Areal selbst war bis zur Überpflasterung als Parkplatz unbebautes Feld wie die Luftaufnahmen von 1928 und 1953 zeigten. Eine gute Gelegenheit, unter das Pflaster zu schauen und mit viel Glück das ein oder andere interessante Bodenfundstück zu gewinnen. Ich konnte den Baggerführer davon überzeugen, dass sich um diese kleinen, vermeintlich wertlosen Bodenfunde Geschichten für Jung und Alt erzählen lassen, die interessante Einblicke in unsere Vergangenheit geben. Der Mitarbeiter der Firma Schulte Bau war dabei. Er legte so einige Bodenfunde in meiner Abwesenheit beiseite und benachrichtigte mich.
Bauareal Dietzgenstraße 86, Luftaufnahme 1958
Durch das bereits erfolgte Abtragen der ersten Erdschicht für den Unterbau des Pflasters im Zuge der Parkplatzgestaltung der ersten Filiale befand sich keinerlei neuzeitlicher Mülleintrag mehr im Feld. In der verbliebenen, unberührten Ebene unter der Parkplatzdecke enden die Verunreinigungen durch Hausrat, Baustoffe und Ähnlichem etwa 1950.
Baumaschinenführer (rechts) und Autor Christian Bormann (links), Foto Juni 2021
Zu meiner Überraschung befand sich für die Lage des Areals ungewöhnlich wenig militärischer Eintrag im Feld. Es sollte aber nicht lange dauern, bis der Baggerführer Ende Mai auf eine Panzergranate stieß. Die Polizei sicherte die Baustelle und der Kampfmittelräumdienst transportierte das Geschoss ab. Die Panzergranate lag ungewöhnlich tief und auch ihre Ausrichtung zeigte, dass sie sich nicht ins Feld gebohrt hatte sondern hier waagerecht lag und bedeckt wurde. Nach und nach gab der sandige Boden weitere Beifunde preis.
Panzergranatenfund, Polizei und Kampfmittelräumdienst im Einsatz, Foto Mai 2021
Als erstes kamen Champagner-, Wein und Bierflaschen zu Tage, die Metallreste von zwei Spaten, eine Emaille-Waschschüssel sowie Eimer, eine Agfa-IG-Farbenindustrie-Fotofilmbüchse, zwei Konservenstücke und der Rest eines Bajonetts. Auffällig war sofort die Paarung der Getränkeflaschen und Spaten. Hinzu kam die Emaille-Waschschüssel und der Eimer für Körperhygiene. Zahlreiche weitere Metallfunde in und um die vermutlich mit zwei Mann einige Tage besetzte Feldstellung erhärtet die Annahme.
Panzergranate, Offensive Berlin 1945, Bodenfund Dietzgenstraße 86, Mai 2021
Neben der Panzergranate gab es am Fundort weitere größere Teile von mindestens einem gepanzerten Kettenfahrzeug. Nicht ungewöhnlich, schließlich liegt dieser Teil des Parkplatzes auf der Dietzgenstraße, ehemals Kaiser-Wilhelm-Straße, an exponierter Lage. Unser kurzer Rückblick in die letzten Kriegsmonate beginnt am 04. Januar 1945. In den Abendstunden fielen Bomben auf die heutige Dietzgenstraße. Am 2. Januar beschädigt eine Mine die Kirche am Friedensplatz. Vom 5. bis 8. März erleben die Niederschönhausener jede Nacht Fliegeralarm, keine Nacht mehr durchschlafen. Die Angst getroffen und zu verbrennen oder lebendig verschüttet zu werden begleitet jeden Tag und jede Nacht.
Teil eines gepanzerten Kettenfahrzeugs, Kette und Abdeckung, Bodenfund Mai 2021
Das Krankenhaus Nordend wird am 5. März ausgebombt. Vier Wochen später, am 3. April, trifft es das große Restaurant Sansoucci in Nordend gegenüber dem Straßenbahnhof. Heute liegt hier eine ummauerte freie Grünfläche, deren Höhenniveau um etwa einen Meter vom Straßenniveau abweicht. Unter der Grünfläche liegen noch die Reste des einstig berühmten Ausfluglokals. Ab 1936 verkehrten hier die NSDAP und Gleichgesinnte.
Sortierte Metallfunde, Eimer, Spaten, Kannen, Beschläge, Panzerteile und diverse kleine Metallteile
Als das Sanssouci bombardiert wurde, waren hier italienische Zwangsarbeiter untergebracht, von denen 20 Menschen beim Angriff starben. Am 16. April begann die Offensive der Roten Armee. Zu diesem Zeitpunkt leisteten die nördlichen Flakstellungen im Humboldthain, Heinersdorf, in der Thulestraße, sowie im Kreuzungsbereich der heutigen Friedrichs-Engels-Straße/Ecke Kastanienallee noch Gegenwehr. Die Zentrale Verteidigungstelle der Polizei, Wehrmacht und des Landsturms befanden sich im Bunker Rathaus Pankow.
Bodenfund Stellung, 2 Champagnerflaschen, 3×2 Weinflaschen des selben Typs, Grünglas, Normkonserve 900 CCM Wehrmacht, Alubüchse (AL-DIN 252) Wehrmacht, Bajonett, Filmdose AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36
Am 22. April sprengte die SS die Brücke am Nordgraben in Rosenthal, nachmittags erreichten erste Tiefflieger Niederschönhausen. Ab 18 Uhr kam es zu Kämpfen am nördlichen Rand des Schlossparks. Der Volksturm versuchte Buchholz und Pankow zu verteidigen, während Heinersdorf und Teile von Rosenthal schon besetzt waren.
Fotofilm, AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36, Foto Juni 2021
Nachdem die Rote Armee bereits erste Stellungen im Norden von Pankow ausbaute, griff die Deutsche Luftwaffe ein und bombardierte ab dem 23. April die ersten Stellungen der Roten Armee in Heinersdorf. Am selben Tag wurde am Tiefbunker am Nordgraben der Ortsgruppenvorsteher der NSDAP von Rotarmisten hingerichtet. Weitere Personen wurden gefangen genommen und Richtung Buchholz abtransportiert. Bei einem Tiefflieferangriff starben sechs von ihnen.
Fotofilm, AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36, Foto Juni 2021
Aus Zeitzeugenberichten wissen wir, dass Soldaten vom Flakturm Humboldthain das Entwässerungswegesystem des Nordgrabens nutzten, um in Richtung Rosenthal und Niederschönhausen zu entkommen. Ziel war der Tiefbunker am Nordgraben. Da Rosenthal seit dem 23. April zum Teil besetzt war, wichen viele nach Niederschönhausen aus.
Fotofilm, AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36, Foto Juni 2021
In den folgenden Tagen verdichtete sich der Ring um Berlin. In der Nacht vom 1. zum 2. Mai kam es auf der Dietzgenstraße zu einem massiven Ausbruchversuch der Deutschen Armee, inzwischend bestehend aus gesammelten Teilen der Wehrmacht, des Landsturms und der SS.
Restaurant Sanssouci am Straßenbahnhof Nordend vor dem 2. Weltkrieg
Besonders schwer waren die Kämpfe auf der Dietzgenstraße zwischen Friedensplatz und der Dietzgen-/Ecke Uhlandstraße. Hier befand sich in Schussweite unsere kleine Feldstellung. Das im Krieg beschädigte Wohnhaus an der Ecke Uhlandstraße wurde, abgesehen von den Kellerräumen, abgetragen und fügt sich nahtlos in den Bodenfund und seine vermutete zeitliche Funktion und Bedeutung ein.
Reste des Restaurant Sanssouci unter der angehobenen Grünfläche Dietzgenstraße, Ecke Schönhauser Straße, Foto Juni 2021
Eine besonders grausame Zeitzeugenüberlieferung trug sich im heutigen Max-Delbrück-Gymnasium zu. Während der schweren Kämpfe in der Nacht zum 2. Mai auf der Dietzgenstraße hatten sich deutsche Soldaten im Schulgebäude verschanzt.
Max-Delbrück-Gymnasium mit Turnhalle und Aula, Foto Juni 2021
Nachdem Rotarmisten das Gebäude gestürmt hatten, soll einigen SS-Soldaten der Kopf abgeschnitten worden sein, die dann auf Zaunpfählen zur Dietzgenstraße als Abschreckung aufgespießt wurden. Die Sporthalle und die Aula nahmen bei den Kampfhandlungen schweren Schaden. Am 2. Mai gegen 8 Uhr war es soweit, Berlin kapitulierte. Aus dem Rathaus Pankow wurde für die nächsten Jahre die Sowjetische Kommandantur. Für Pankower war der Zutritt verboten.
Einschüsse Sporthalle aus der Nacht vom 1. zum 2. Mai, Foto Juni 2021
Die eigentlich erhofften Fundstücke wurden in Anbetracht der Kriegsfunde zu deren Beifund degradiert, was sie nicht weniger interessant macht. Hier ein Überblick zeitlich absteigend geordnet. Wein, Bier und Limonadenflaschen von 1900 bis 1950. Besonders gut als Anschauungsobjekt geeignet ist eine geprägte Bierflasche mit der Aufschrift „Otto Reussner Berlin NW“.
Beifund Hausmüll, 2 Weinflaschen, 3 Bierflaschen u. 3 Limonadenflaschen
Es folgen kleine Haushaltsgegenstände wie Flaschen für Speisewürze, zwei Sahnekännchen, vier Gewürzbecher aus weißer Keramik, eine blaue Glasschale um die Jahrhundertwende, eine Bleiglasvase etwa aus den 1940er Jahren, ein Porzellan-Nudel- und Teigholz der Manufaktur Annaburg aus den 1920er bis 1930er Jahren, eine Tasse um 1880 bis 1900.
Historischer Hausmüll etwa 1880 bis 1950, Foto Juni 2021
Die ungestempelte Tasse ist ebenfalls ein gutes Fundstück. Eingerahmt in ein handgemaltes florales Muster was sich um den Ansatz einer Kartusche rankt, steht geschrieben: „Bei jedem Morgentrunk Seih freundlich dem Geber Erinnerung“. Der obere Tassenrand ist gekrönt von einer Porzellangirlande aussen, einem aufgemalten 1 cm breiten Goldrand und am Tassenfuß befindet sich ebenfalls ein sehr dünner Goldring.
Tasse um 1880 mit Biedermeierspruch, Foto Juni 2021
Weiter geht es mit zwei Parfumfläschen aus den 1920er Jahren, drei Glas- sowie ein Keramiktiegel für Öle, Cremes und Salben auch aus den 1920ern. Ein ganz besonderes Fundstück ist der verschraubbare Keramiktiegel. Erträgt auf dem Boden die Maßzahl „100“, dürfte wohl aus den 1940er Jahren sein und ist vollständig erhalten.
Beifund, Parfum, Creme- und Salbentiegel 1900 bis 1950, Dietzgenstraße, Foto Juni 2021
Auch die üblichen Verdächtigen, Arzneimittelflaschen aller Art von 1900 bis 1950, wie man sie allerorts auf Müllplätzen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder in den Resten von Feldlazaretten findet, kamen zum Vorschein.
Beifund Hausmüll, diverse Apotheken- u. Drogerieflaschen u. Tiegel, 1890 bis 1950
Alles in allem hat sich das Begleiten der ersten Tiefbauarbeiten gelohnt. Zutage trat mit der kleinen Feldstellung mehr als erwartet. Neben einigen interessanten Fundstücken konnte auch wieder etwas Einblick in die letzten Kriegstage in Pankow genommen werden.
Fundverzeichnis
Vermutete Feldstellung: 1945
Panzergranate, Panzerkettenglieder, 2 Spaten, Fotofilmdose AGFA I.G. Farbenindustrie Berlin SO 36, 1 Grünglas Normalkonserve 900 CCM Wehrmacht, 2 Champagnerflaschen, 2 mal 2 Weinflaschen selben Typs, Bajonett, Emaille-Waschschüssel, Emailleeimer, weitere eiserne Kleinteile von gepanzerten Kettenfahrzeug u.a. Kriegsgerät, 4 Bierflaschen, 3 Limonadenflaschen, 1 Dose (AL-DIN 252),
Beifunde: 1900 bis 1950
diverse Kleinflaschen (Apothekenbedarf), 3 braune Salbentiegel (Glas), Teigrolle/Nudelholz aus Porzellan (Annaburg), weißer verschraubbarer Porzellantiegel
Autor: Christian Bormann
Red. Bearbeitung: Martina Krüger
Bilder: Christian Bormann, Guido Kunze, Tagesspiegel, Berliner Morgenpost
Am 7. Oktober 1949 wurde Schloss Schönhausen von der Sowjetischen Militäradministration, die zu diesem Zeitpunkt ihre Kommandantur im Rathaus Pankow hatte, an den Präsidenten der DDR Wilhelm Pieck übergeben. Zu den ersten Gästen im Amtssitz gehörten Georgien Puschkin 1950 sowie 1957 Nikita Chruschtschow. Mit dem Tod von Wilhelm Pieck 1960 wurde die Präsidentschaft abgeschafft und das Schloss wurde zum Sitz des Staatsrates der DDR. Der neue Hausherr hieß jetzt Walter Ulbricht.
Schloss Schönhausen 2017
Mit der Fertigstellung des neuen Staatsratsgebäude in Berlin Mitte 1964 wurde das Schloss offizielles Gästehaus der DDR. Zahlreiche Staatsbesucher sah das Schloss seither. Zu den Staatsgästen und ihren Besuchen gibt es zahlreiche Anekdoten. So wurden beim Besuch von Indira Ghandi 1976 etwa die falschen Winkelemente geschwenkt. Legendär auch die Kegelbahn, die für eine einzige Übernachtung von Fidel Castro auf dem Schlossparkett installiert wurde.
Heinersdorfer Rathausturm 2018
Die meisten Staatsgäste empfing Erich Honecker. Unter anderem Leonid Breschnew 1976, Tito, den Ministerpräsidenten von Kanada Elliot Trudeau 1984 und Michael Gorbatschow 1989. Während dieser Staatsbesuche gab es eine verstärkte Luftraumüberwachung von Pankow. Der älteste und ständige Stützpunkt war der Heinersdorfer Rathausturm, heute nur noch als Wasserturm bekannt.
Heinersdorfer Rathausturm 2018
Während des 2. Weltkrieg hatte die Wehrmacht ein Flugabwehrgeschütz auf dem Rathausturm installiert. Der Turm wurde gleich in den ersten Nachkriegstagen von den Sowjets übernommen und später zur Flugüberwachung von Tegel genutzt. Dieser Posten war bis zur Wende dauerhaft besetzt und der zentrale Flugüberwachungspunkt in Pankow.
Wilhelm Pieck u. Nikita Chruschtschow 1959
Weniger bekannt sind zwei Weitere. Es handelt sich um den Rathausturm in der Breite Straße und den Schulturm auf dem Ossietzky-Gymnasium.
Rathaus Pankow 2018
Der Rathausturm wurde ebenfalls während der Kämpfe um Pankow sofort besetzt und mit einer MG Stellung versehen. Von hier aus lies sich der Pankower Anger vom Bürgerparktor bis zur Dammerowstraße unter Beschuss nehmen.
Rathausturm Pankow 2018
Nachdem die Sowjetische Kommandantur im Rathaus aufgelöst und und das Gebäude an Pankow übergeben wurde verschwand auch die MG Stellung.
Walter Ulbricht 1960 im Schloss Schönhausen
Der Turm blieb weiterhin Sperrgebiet für Unbefugte. Während der Staatsbesuche im Schloss Schönhausen war der Turm mit Spezialkräften besetzt. Noch heute sind im Sandsteinsims die eingeritzten Abzeichen der Sowjetischen Soldaten zu finden.
Überwachungsturm Ossietzky-Gymnasium 2018
Der Rathausturm hatte in diesem schaurigen Spiel noch einen stillen Bruder. Nur wenige hundert Meter Luftlinie saß der Ersatzposten der Staatssicherheit im Turm des Carl von Ossietzky-Gymnasiums.
Erich Honecker u. Leonid Brechnew 1973
Von hier aus wurde der Luftraum und die Grenzanlage Richtung Wedding überwacht. Hin und wieder kann man am Tag der offenen Tür im Gymnasium den Turm begehen und etwas mehr über seine Rolle im kalten Krieg erfahren.
Drohnenfilme der Türme:
Heinersdorfer Rathausturm
Rathaus Pankow
Carl von Ossietzky-Gymnasium
Autor: Christian Bormann, 06.07.2018
red. Bearbeitung: Mandy Tiegel
Bilder: Christian Bormann, Guido Kunze, Bundesarchiv
Video: Christian Bormann, Guido Kunze (Kopterpilot)
Das Hotel Wilhelmshof wurde 1905 an der Kaiser-Wilhelm-Strasse Ecke Eichenstraße erbaut. Heute lautet die Postanschrift Dietzgenstraße 59. Im Vorderhaus befand sich das Restaurant Wilhelmshof mit Ballsaal und Biergarten.
Biergarten vom Hotel und Restaurant Wilhelmshof
Das Restaurant verfügte neben dem Ballsaal und Biergarten noch über eine Kegelbahn im Anbau. Anbau, Kegelbahn und Ballsaal existieren heute noch. Links vom Restaurant befand sich der Hauptaufgang zu den Apartments.
24.07.1917 Hotel Wilhelmshof mit Außenanlage
Ein langer, links und rechts von dezentem Stuck verzierter Treppenaufgang, gekrönt von einem schmiedeeisernen Jugenstilleuchter empfing die Hotelgäste.
Hotel und Restaurant Wilhelmshof
Auf dem ersten Hof in der heutigen Dietzgenstraße 59 steht der einstöckige Originalanbau für den erweiterten Tanzsaal und einer der 4 Kellerzugänge. Rechts vom Restaurant in der Eichenstraße befand sich der Eingang für die Bediensteten. Sie hatten ihre eigenen kleinen Angestelltenwohnungen im Seitenflügel. Diese erreichteten sie über den zweiten Hof.
Postkarte aus dem Wilhelmshof
Bis in die 1930er Jahre befand sich gegenüber dem Hotel der letzte große Dorfteich. Der Teich am Friedensplatz wurde schon beim Neubau der heutigen Kirche mit den Trümmern der alten Kirche zugeschüttet.
Postkarte vom Hotel um 1936
Das Hotel befand sich am zentralen Wintersportplatz in Niederschönhausen. In der Buchschen Heide wurde im Winter gerodelt und keine 50 Meter vor dem Hotel traf man sich zum Schlittschuhlaufen.
ehem. Hotel Dietzgenstraße 59
Zwischendurch begaben sich die Wintersportler rüber zum Restaurant Wilhelmshof. Hier erholten sich Jung und Alt je nach Alter bei einer heißen Schokolade oder einem heißen Grog.
ehemaliger Ballsaal Wilhelmshof
Das Restaurant wurde, wie damals üblich, auch an Vereine vermietet. Vereinsstammtische, Kinovorführungen und Kegelbahnen gehörten in jede gute Restauration in Pankow.
Dienstbotenaufgang Ecke Eichenstraße
Die Vereine hielten hier ihre zahlreichen Feste und Bälle ab. Im 2. Weltkrieg hielt das Hotel den Betrieb aufrecht. Es entstand eine Rivalität zwischen dem „Sanssouci“ am Betriebshof Niederschönhausen und dem Wilhelmshof.
Blick vom Dorfteich auf das Hotel Wilhelmshof 1937
Es heißt, im Wilhelmshof verkehrten die Pankower Handwerker und im Sanssouci die Nationalsozialisten. Im Gegensatz zum Sanssouci überstand der Wilhelmshof den 2. Weltkrieg.
Blick auf das Hotel vom ehem. Dorfteich 2017
Beide Restaurants verfügten über große Luftschutzbunker. Das Sanssouci wurde 1945 beim Fliegerangriff zerstört, der Bunker liegt heute unter der Wiese. Anders im ehemaligen Hotel Wilhelmshof.
Bleikristallleuchter im Ballsaal 2017
Weitgehend verschont geblieben von den Luftangriffen wurde das Hotel aufwendig umgebaut. Auch heute erinnern noch jede Menge erhaltes Inventar sowie zahlreiche Leuchter und Schilder im Haus an den Charme des Gründerzeithotels.
Foyer Hotel & Restaurant Wilhelmshof
Keine zwei Meter hinter dem Hotelkomplex verläuft heute der Kreuzgraben parallel zur rückwärtigen Außenmauer. Die Räumlichkeiten der alten Kegelbahn im Keller befinden sich direkt auf Grabenhöhe. Wenn die kleinen Fensterverschläge des Kellers geöffnet sind, ist das plätschern des Kreuzgrabens zu hören.
Luftschutzbunker Dietzgenstraße
Die riesige unterirdische Luftschutzanlage unter dem Wilhelmshof wurde nach dem Krieg parzelliert, um Platz für Kellerräume zu schaffen. Die Wandbeschriftungen sind heute noch zu lesen. In den 1950er Jahren wurde aus dem Hotel ein Wohnhaus.
Eisbahn auf dem Dorfteich am Wilhelmshof
Der Teich verschwand schon in den 1930er Jahren. Geblieben ist nur der der kleine Kreuzgraben, der sich unter der Kreuzung und dann am ehemaligen Hotel vorbei schlängelt. Das Restaurant Wilhelmshof gab es weiter. Zu seiner Zeit legendär waren auch die Gärtnerbälle.
Dorfteich Niederschönhausen
Wie schon am ersten Tag der Eröffnung den Besucher, so empfangen auch heute noch beide originale stählerne Außentüren mit ihren Jugendstilelementen den Mieter. Der Innenschmuck des Hauses ist weitgehend im Original erhalten.
Besuchereingang Hotel Wilhelmshof
Links vom Haupteingang befanden sich eine Drogerie sowie ein Kolonialwarenhandel. Seit März 2007 sitzt hier der Versicherungsmarkler Sven Feder.
ehem. Drogerie, heute Versicherungsmakler Sven Feder
Der Gastronomiebetrieb Wilhelmshof existierte bis 1971. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass hier leichte Mädchen verkehren. Beim Streit um die Damen bekamen die DDR-Grenzsoldaten regelmäßig die Hucke voll.
Haupteingang im Hotel
Das wollte sich die Obrigkeit nicht länger ansehen und so wurde der der Gastronomiebetrieb kurzerhand dicht gemacht. Um auch ja keinen Zweifel an der Marschrichtung zuzulassen, wurde das Objekt des Aufsehens jetzt zur Bildungsstätte.
Appartements im Vorderhaus
Von 1974 bis 1994 befand sich in dem ehemaligen Vergnügungstempel eine Stadtbibliothek. Im Dezember 1999 eröffnete das Ballhaus wieder. Ehrengast war eine 105-jährige Dame, die hier als junge Frau ihren Mann kennen lernte.
Historischer Originalleuchter von 1905
Heute sind das Restaurant, der Ballsaal und die Kegelbahn verwaist. Das enorm große Objekt findet einfach keinen Betreiber. Die Appartements sind heute Mietwohnungen und erstrahlen mit ihrem originalen Stuck und den Parkettböden im ursprünglichen Glanz.
erhaltene Stuckkassetten
Als Mieter im ehemaligen Hotel Wilhelmshof an der Kaiser-Wilhelm-Straße war es mir ein ganz besonderes Anliegen, die Geschichte meines Hauses zu erzählen.
Dienstbotenaufgang Eichenstraße
Leider sind historische Aufnahmen oder gar Papiere von diesem Objekt äußerst selten. Wer historische Aufnahmen der Dietzgenstraße 59 besitzt oder findet, möchte sich bitte bei uns melden.
Seitenflügel, links Dienstbotenwohnung
Allein in Niederschönhausen gibt es noch ein Dutzend solcher Restaurationen. Da wären zu Beispiel der Carlshof und das Bismarck am alten Wochenmarkt Niederschönhausen an der Waldstraße.
Autor: Christian Bormann, 26.06.2017
red.Bearbeitung: Martina Krüger, 30.06.2017
Bilder: Christian Bormann, historische Postkarten
Bormann's Pankower Chronik. Sagen, Mythen und Legenden aus Pankow. Autor Christian Bormann.