Auf den archäologischen Spuren der Elisabeth Christine

An der Hermann-Hesse-Straße 80 liegt der der Paul-Zobel-Sportplatz auf dem Gebiet der Schönholzer Heide. Direkt hinter dem Sportplatz und parallel zur Außenmauer verlaufend liegt ein etwa 120 Meter langes Pflaster, das in seiner Art noch fast spätmittelalterlich wirkt. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit den archäologischen Resten, die sich hier in Schönholz aus einer Zeit ab 1660 bis heute quer durch die verschiedenen Epochen erhalten haben.

Gepflasterte Allee Schloss Schönholz, Weg von Schönhausen nach Schloss Charlottenburg, Postkarte um 1880

Seit vielen Jahren gehe ich davon aus, dass es sich bei dem sichtbaren Restpflaster um den Weg von Schönhausen nach Schloss Charlottenburg handelt, die heutige Tschaikowskistraße, die an Ihrem Ende in der Schönholzer Heide verschwindet. Ich bin mir sicher, dass diese gepflasterte Allee auf das Jahr 1753 zurück geht. Es dürfte sich wohl um einen der ältesten, wenn nicht den ältesten noch existierenden Pflasterweg in Pankow handeln. Aber mehr noch vermute ich, dass sich die Allee nach Schönholz nicht nur auf den sichtbaren 120 Metern hinter dem Sportplatz erhalten hat, sondern noch in Ihrer vollen Länge auf dem Gebiet von Schönholz in der Erde verborgen ist.

Sichtbarer Rest des gesuchten Pflasterweges von Schönhausen nach Schloss Charlottenburg, Foto Juni 2021

Ich habe mich mit meiner Vermutung an die Revierleiterin Cornelia Wagner vom Straßen- und Grünflächenamt Pankow gewandt. Zu meiner Freude unterstützt Frau Wagner die nötigen Sondierungsarbeiten im öffentlichen Interesse. Sollte die originale Pflasterung von 1753 noch in Gänze vorhanden sein, wäre das nicht weniger als eine kleine Sensation. Es dreht sich alles um die Plantage der Königin Elisabeth Christine.

Cornelia Wagner, Revierleiterin Straßen- u. Grünflächenamt Berlin-Pankow (links), Autor Christian Bormann (rechts), Foto Juni 2021

Bereits 2014 gelang mir und Nadine Kreimeier auf dem Gebiet der Königlichen Plantage ein spektakulärer Waffenfund. Die Geschichte erschien unter dem Titel „Die Muskete von Schönholz“. Es handelt sich dabei um einen seltenen Jagdstutzen, wie er ab 1640 gebaut wurde. In den historischen Inventarlisten, die nach dem Siebenjährigen Krieg von Schloss Schönhausen erstellt wurden wird beschrieben, dass im Schloss 3 Büchsen des Königs geraubt wurden und die Soldaten zur Plantage weiter zogen.

Muskete v. Schönholz 05.02.18 bei ZIBB RBB

Hier soll es auf dem Weg von Berlin nach Schönholz, wobei es sich um die Kreuzachse zu unserer Pflaster-Alle nach Schönholz handelt, zu einem schweren Überfall auf der Plantage gekommen sein. Der Fundort stimmt überein und auch waren diese Büchsen sehr seltene Waffen zu dieser Zeit. Es ist also gar nicht so unwahrscheinlich, dass es sich um eine der beschriebenen geraubten Büchsen des Königs handelt. Ich habe den Bodenfund 2015 dem Museum Pankow überlassen.

Karte 1 der Feldmark um 1720 zeigt die Allee nach Schloss Charlottenburg ohne Plantage

1662 erwarb Gräfin Sophie Theodore zu Dohna-Schlobitten das heutige Schloss Schönhausen als Landgut, wo sie 1664 ein Herrenhaus, eine Meierei und einen Park errichten liess. Schon 1680 übernahm der kurfürstliche General Joachim Ernst von Grumbkow die Ländereien. Er ließ 1685 bis 1689 das heute im Grundzug noch erhaltene Schloss errichten.

Karte 2 von 1852

Grumbkows Witwe wiederum verkaufte das Grundstück 1691 an den Kurfürst Friedrich III., auch er liess hier Umbauten, diesmal von Johann Arnold Nehring vornehmen. Erst 1704 beauftragte König Friedrich I. Johann Friedrich Erosander mit der Erweiterung der Anlage. Hier beginnt unsere Geschichte. Karte 1 zeigt die Allee bereits mit Bäumen flankiert. Schnurgerade verläuft sie von der Mitteltür des Schlosses Schönhausen, bis sie kurz vor der heutigen Straße vor Schönholz endet und als abknickender Weg durch die Feldmark Reinickendorf weiter nach Charlottenburg verläuft.

Karte 3 von 1668

Es handelt sich hierbei um den Charlottenburger Weg, damals höchstwahrscheinlich noch ungepflastert aber bereits mit Bäumen fest als Empfangsallee angelegt. 1752 kaufte Elisabeth Christine einen Teil der Schönhauser Fichten, die damals vom nördlichen Pankeufer des heutigen Bürgerpark bis zur Jungfernheide reichten. Schon im selben Jahr wird die Plantage eingezäunt. Der Weg nach Charlottenburg weicht jetzt in Höhe Tschaikowski-/Ecke Hermann-Hesse-Straße in einem leichten Bogen ab und verläuft heute als Hermann-Hesse-Straße vor dem Paul-Zobel-Sportplatz, dann weiter über die Straße vor Schönholz in die heutige Provinzstraße.

Karte 4 von 1872

Ab jetzt heißt der Pflasterweg auf dem Gebiet der Heide Allee nach Schönholz, während der Weg nach Charlottenburg bis etwa 1900, leicht verändert vor die Plantage verlegt, weiter existiert. Auf den Karten 2, 3 und 4 ist die Königliche Plantage und der jetzt herum führende Weg nach Charlottenburg in seiner neuen Form gut zu erkennen. Auf 62 Morgen sollte eine Maulbeerplantage zur Seidenraupenzucht entstehen.

Rot: gesuchter Pflasterweg, grüne Punkte: Schloss Schönhausen oben, Schloss Schönholz unten

Das sogenannte Schloss Schönholz war ein Planteurhaus und wurde auf Grund seiner pompösen Innenausstattung von der Bevölkerung als Schloss bezeichnet. Es enstand ebenfalls 1753 auf den Resten einer alten Besitzung König Friedrich I. Ich gehe davon aus, dass in diesem Jahr auch der Pflasterweg zwischen Schloss Schönhausen und der Königinnenplantage enstand.

Autor Bormann (rechts), Unterstützer Marvin Fleischer (links) beim Graben in der Schönholzer Heide, Foto Juni 2021

Die Kolonie Schönholz war eine 1763 gegründete Siedlung von Leinewebern am Rand außerhalb der Plantage, wie auf den Karten 2, 3 und 4 zu erkennen. Bis in die 1840er Jahre existierten die Königinnenplantage und der Pflasterweg noch in Gänze. Um 1880 kaufte die Berliner Schützengilde das Areal der ehemaligen Plantage. Mit dem Bau des Schützenhauses auf einem Teil der Plantage wurde der Pflasterweg mit der Umgebungsmauer überbaut.

Indiana-Jones Junior schaut sich Papas Arbeit an. Foto Juni 2021

Danach wurde die Schönholzer Heide zu Erholungsort und Partymeile, die Ihren Höhepunkt 1936 im Traumland Schönholz findet. Damals Berlins größter Vergnügungspark und schon wenige Jahre später Zwangsarbeiterlager und sogar Schlachtfeld beim Ausbruchsversuch der Deutschen Armee am 1. Und 2. Mai 1945. Nach dem Krieg wurden dann die als Reparationen erbeuteten Industrieanlagen aus Wilhelmsruh und Reinickendorf hier von der Roten Armee für Ihren Abtransport in die Sowjetunion gesammelt. So reichten 150 Jahre Geschichte, um den Pflasterweg im wahrsten Sinne des Wortes unter die Erde zu bringen und aus der Erinnerung zu tilgen.

Marvin Fleischer beim Freilegen des über 250 Jahre alten Pflasters, Foto Juni 2021

Am 19.06.2021 habe ich die ersten Sondierungen mit Marvin Fleischer durchgeführt. Der von mir vermutete Pflasterweg wurde in drei Suchabschnitte eingeteilt. Die noch vorhandenen 120 Meter sind Bereich 0. Die gesuchten drei Abschnitte sind Teil A, der Abschnitt zwischen Sportplatz und Schützenmauer, Teil B, der Abschnitt zwischen Tschaikowskistraße und Sportplatz und Teil C, das Gelände des Schützenhauses.

Autor Bormann beim Abfegen der Pflastersteine, Foto Juni 2021

Die Abschnitte sind absteigend nach der Wahrscheinlichkeit ihrer Existenz angeordnet. Samstag vormittag gegen 10 Uhr bei 30° hieß es mit Hacke und Spaten „Nu mal Butter bei die Fische“. Und schon die erste vorsichtige Sondierung war ein voller Erfolg. Das Schwitzen im Dickicht sollte sich lohnen. Für Abschnitt A konnte der Pflasterweg schon nach 2 Stunden als vollständig erhalten nachgewiesen werden.

Marvin Fleischer beim Lokalisieren des Pflasters an der Mauer Schützenhaus Schönholz, Foto Juni 2021

Wie vermutet verschwindet er unter der Umgebungsmauer des Schützengeländes. Während wir uns zu zweit mit Hacke, Spaten Erdnägeln und Handfeger durch die Büsche schlugen, stießen wir auf die nächste Entdeckung. Zwei Platanen, die den im Erdreich verborgenen Pflasterweg links und rechts parallel begrenzen. Sie gehören nicht zu den Baumbeständen der letzten 150 Jahre.

Befund, erhaltenes Pflaster in Forschungsabschnitt Teil A nachgewiesen, Foto 2021

Ihr Standort und die Anordung lassen mich vermuten, dass es sich noch um erhaltene Alleebäume der ursprünglichen Plantage handelt. Sie stehen wie natürliche Torwächter je nach Sichtweise am Anfang oder Ende der Allee von Schönholz. Um das belegen zu können ist bereits eine Inaugenscheinnahme mit Frau Wagner vom zuständigen Straßen- und Grünflächenamt vereinbart.

Abgebrochener Sondierungsversuch Forschungsabschnitt B, Foto Juni 2021

In den nächsten zwei Wochen geht es an Teil B, der Abschnitt zwischen Tschaikowskistraße und Sportplatz. Sollten Abschnitt A und auch B von mir nachgewiesen werden, so wird die Existenz des gesamten Pflasterweges erstmal amtlich erfasst und dann auch bei zukünftigen Bauvorhaben oder Landschaftsgestaltungen berücksichtigt werden.

Zwei erhaltene Riesenplatanen (Originalbestand) am Ende der Plantage begrenzen den alten Pflasterweg nach Charlottenburg

Darüber hinaus ist es auch vorstellbar, den Pflasterweg wieder freizulegen und mit entsprechender Schautafel vor Ort zu ergänzen. Das ganze Projekt ist von mir auf sechs Monate angelegt und diesmal wird der Leser noch während des Geschehens in mehreren Teilen mit auf die Reise genommen. In zwei Wochen erfolgt schon die Sondierung auf Teil B. Ich bin gespannt auf das Ergebnis und die Fortsetzung dieser Geschichte.

Link zum Video „Zirkeltag im rbb: Zu Gast: „Mauerentdecker“ Christian Bormann: https://youtu.be/IN2BFUmfOKg

Vielen Dank an Uwe Dziomba, der unsere ehrenamtlichen Aktivitäten immer mit Arbeitsgerät unterstützt.

Autor: Christian Bormann

Redaktionelle Bearbeitung: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Bauaktenarchiv Bezirksamt Pankow, Marvin Fleischer

Kleine Feldstellung bei Bauarbeiten in der Dietzgenstraße entdeckt

Aldi baut Wohnungen in Pankow. Der Discounter möchte deutschlandweit auf eigenen Immobilien, die bislang für Supermärkte genutzt werden, Wohn- und Geschäftshäuser mit integrierten Supermärkten errichten. So auch in der Dietzgenstraße 86 in Niederschönhausen. Anfang 2021 begann die Firma Schulte mit den Tiefbauarbeiten auf einem Teil des Supermarktparkplatzes. Hierzu mussten das Pflaster enfernt und der Aushub der Baugrube gereinigt werden.

Baustelle Dietzgenstraße 86, Luftbild Juni 2021

Das Areal selbst war bis zur Überpflasterung als Parkplatz unbebautes Feld wie die Luftaufnahmen von 1928 und 1953 zeigten. Eine gute Gelegenheit, unter das Pflaster zu schauen und mit viel Glück das ein oder andere interessante Bodenfundstück zu gewinnen. Ich konnte den Baggerführer davon überzeugen, dass sich um diese kleinen, vermeintlich wertlosen Bodenfunde Geschichten für Jung und Alt erzählen lassen, die interessante Einblicke in unsere Vergangenheit geben. Der Mitarbeiter der Firma Schulte Bau war dabei. Er legte so einige Bodenfunde in meiner Abwesenheit beiseite und benachrichtigte mich.

Bauareal Dietzgenstraße 86, Luftaufnahme 1958

Durch das bereits erfolgte Abtragen der ersten Erdschicht für den Unterbau des Pflasters im Zuge der Parkplatzgestaltung der ersten Filiale befand sich keinerlei neuzeitlicher Mülleintrag mehr im Feld. In der verbliebenen, unberührten Ebene unter der Parkplatzdecke enden die Verunreinigungen durch Hausrat, Baustoffe und Ähnlichem etwa 1950.

Baumaschinenführer (rechts) und Autor Christian Bormann (links), Foto Juni 2021

Zu meiner Überraschung befand sich für die Lage des Areals ungewöhnlich wenig militärischer Eintrag im Feld. Es sollte aber nicht lange dauern, bis der Baggerführer Ende Mai auf eine Panzergranate stieß. Die Polizei sicherte die Baustelle und der Kampfmittelräumdienst transportierte das Geschoss ab. Die Panzergranate lag ungewöhnlich tief und auch ihre Ausrichtung zeigte, dass sie sich nicht ins Feld gebohrt hatte sondern hier waagerecht lag und bedeckt wurde. Nach und nach gab der sandige Boden weitere Beifunde preis.

Panzergranatenfund, Polizei und Kampfmittelräumdienst im Einsatz, Foto Mai 2021

Als erstes kamen Champagner-, Wein und Bierflaschen zu Tage, die Metallreste von zwei Spaten, eine Emaille-Waschschüssel sowie Eimer, eine Agfa-IG-Farbenindustrie-Fotofilmbüchse, zwei Konservenstücke und der Rest eines Bajonetts. Auffällig war sofort die Paarung der Getränkeflaschen und Spaten. Hinzu kam die Emaille-Waschschüssel und der Eimer für Körperhygiene. Zahlreiche weitere Metallfunde in und um die vermutlich mit zwei Mann einige Tage besetzte Feldstellung erhärtet die Annahme.

Panzergranate, Offensive Berlin 1945, Bodenfund Dietzgenstraße 86, Mai 2021

Neben der Panzergranate gab es am Fundort weitere größere Teile von mindestens einem gepanzerten Kettenfahrzeug. Nicht ungewöhnlich, schließlich liegt dieser Teil des Parkplatzes auf der Dietzgenstraße, ehemals Kaiser-Wilhelm-Straße, an exponierter Lage. Unser kurzer Rückblick in die letzten Kriegsmonate beginnt am 04. Januar 1945. In den Abendstunden fielen Bomben auf die heutige Dietzgenstraße. Am 2. Januar beschädigt eine Mine die Kirche am Friedensplatz. Vom 5. bis 8. März erleben die Niederschönhausener jede Nacht Fliegeralarm, keine Nacht mehr durchschlafen. Die Angst getroffen und zu verbrennen oder lebendig verschüttet zu werden begleitet jeden Tag und jede Nacht.

Teil eines gepanzerten Kettenfahrzeugs, Kette und Abdeckung, Bodenfund Mai 2021

Das Krankenhaus Nordend wird am 5. März ausgebombt. Vier Wochen später, am 3. April, trifft es das große Restaurant Sansoucci in Nordend gegenüber dem Straßenbahnhof. Heute liegt hier eine ummauerte freie Grünfläche, deren Höhenniveau um etwa einen Meter vom Straßenniveau abweicht. Unter der Grünfläche liegen noch die Reste des einstig berühmten Ausfluglokals. Ab 1936 verkehrten hier die NSDAP und Gleichgesinnte.

Sortierte Metallfunde, Eimer, Spaten, Kannen, Beschläge, Panzerteile und diverse kleine Metallteile

Als das Sanssouci bombardiert wurde, waren hier italienische Zwangsarbeiter untergebracht, von denen 20 Menschen beim Angriff starben. Am 16. April begann die Offensive der Roten Armee. Zu diesem Zeitpunkt leisteten die nördlichen Flakstellungen im Humboldthain, Heinersdorf, in der Thulestraße, sowie im Kreuzungsbereich der heutigen Friedrichs-Engels-Straße/Ecke Kastanienallee noch Gegenwehr. Die Zentrale Verteidigungstelle der Polizei, Wehrmacht und des Landsturms befanden sich im Bunker Rathaus Pankow.

Bodenfund Stellung, 2 Champagnerflaschen, 3×2 Weinflaschen des selben Typs, Grünglas, Normkonserve 900 CCM Wehrmacht, Alubüchse (AL-DIN 252) Wehrmacht, Bajonett, Filmdose AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36

Am 22. April sprengte die SS die Brücke am Nordgraben in Rosenthal, nachmittags erreichten erste Tiefflieger Niederschönhausen. Ab 18 Uhr kam es zu Kämpfen am nördlichen Rand des Schlossparks. Der Volksturm versuchte Buchholz und Pankow zu verteidigen, während Heinersdorf und Teile von Rosenthal schon besetzt waren.

Fotofilm, AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36, Foto Juni 2021

Nachdem die Rote Armee bereits erste Stellungen im Norden von Pankow ausbaute, griff die Deutsche Luftwaffe ein und bombardierte ab dem 23. April die ersten Stellungen der Roten Armee in Heinersdorf. Am selben Tag wurde am Tiefbunker am Nordgraben der Ortsgruppenvorsteher der NSDAP von Rotarmisten hingerichtet. Weitere Personen wurden gefangen genommen und Richtung Buchholz abtransportiert. Bei einem Tiefflieferangriff starben sechs von ihnen.

Fotofilm, AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36, Foto Juni 2021

Aus Zeitzeugenberichten wissen wir, dass Soldaten vom Flakturm Humboldthain das Entwässerungswegesystem des Nordgrabens nutzten, um in Richtung Rosenthal und Niederschönhausen zu entkommen. Ziel war der Tiefbunker am Nordgraben. Da Rosenthal seit dem 23. April zum Teil besetzt war, wichen viele nach Niederschönhausen aus.

Fotofilm, AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36, Foto Juni 2021

In den folgenden Tagen verdichtete sich der Ring um Berlin. In der Nacht vom 1. zum 2. Mai kam es auf der Dietzgenstraße zu einem massiven Ausbruchversuch der Deutschen Armee, inzwischend bestehend aus gesammelten Teilen der Wehrmacht, des Landsturms und der SS.

Restaurant Sanssouci am Straßenbahnhof Nordend vor dem 2. Weltkrieg

Besonders schwer waren die Kämpfe auf der Dietzgenstraße zwischen Friedensplatz und der Dietzgen-/Ecke Uhlandstraße. Hier befand sich in Schussweite unsere kleine Feldstellung. Das im Krieg beschädigte Wohnhaus an der Ecke Uhlandstraße wurde, abgesehen von den Kellerräumen, abgetragen und fügt sich nahtlos in den Bodenfund und seine vermutete zeitliche Funktion und Bedeutung ein.

Reste des Restaurant Sanssouci unter der angehobenen Grünfläche Dietzgenstraße, Ecke Schönhauser Straße, Foto Juni 2021

Eine besonders grausame Zeitzeugenüberlieferung trug sich im heutigen Max-Delbrück-Gymnasium zu. Während der schweren Kämpfe in der Nacht zum 2. Mai auf der Dietzgenstraße hatten sich deutsche Soldaten im Schulgebäude verschanzt.

Max-Delbrück-Gymnasium mit Turnhalle und Aula, Foto Juni 2021

Nachdem Rotarmisten das Gebäude gestürmt hatten, soll einigen SS-Soldaten der Kopf abgeschnitten worden sein, die dann auf Zaunpfählen zur Dietzgenstraße als Abschreckung aufgespießt wurden. Die Sporthalle und die Aula nahmen bei den Kampfhandlungen schweren Schaden. Am 2. Mai gegen 8 Uhr war es soweit, Berlin kapitulierte. Aus dem Rathaus Pankow wurde für die nächsten Jahre die Sowjetische Kommandantur. Für Pankower war der Zutritt verboten.

Einschüsse Sporthalle aus der Nacht vom 1. zum 2. Mai, Foto Juni 2021

Die eigentlich erhofften Fundstücke wurden in Anbetracht der Kriegsfunde zu deren Beifund degradiert, was sie nicht weniger interessant macht. Hier ein Überblick zeitlich absteigend geordnet. Wein, Bier und Limonadenflaschen von 1900 bis 1950. Besonders gut als Anschauungsobjekt geeignet ist eine geprägte Bierflasche mit der Aufschrift „Otto Reussner Berlin NW“.

Beifund Hausmüll, 2 Weinflaschen, 3 Bierflaschen u. 3 Limonadenflaschen

Es folgen kleine Haushaltsgegenstände wie Flaschen für Speisewürze, zwei Sahnekännchen, vier Gewürzbecher aus weißer Keramik, eine blaue Glasschale um die Jahrhundertwende, eine Bleiglasvase etwa aus den 1940er Jahren, ein Porzellan-Nudel- und Teigholz der Manufaktur Annaburg aus den 1920er bis 1930er Jahren, eine Tasse um 1880 bis 1900.

Historischer Hausmüll etwa 1880 bis 1950, Foto Juni 2021

Die ungestempelte Tasse ist ebenfalls ein gutes Fundstück. Eingerahmt in ein handgemaltes florales Muster was sich um den Ansatz einer Kartusche rankt, steht geschrieben: „Bei jedem Morgentrunk Seih freundlich dem Geber Erinnerung“. Der obere Tassenrand ist gekrönt von einer Porzellangirlande aussen, einem aufgemalten 1 cm breiten Goldrand und am Tassenfuß befindet sich ebenfalls ein sehr dünner Goldring.

Tasse um 1880 mit Biedermeierspruch, Foto Juni 2021

Weiter geht es mit zwei Parfumfläschen aus den 1920er Jahren, drei Glas- sowie ein Keramiktiegel für Öle, Cremes und Salben auch aus den 1920ern. Ein ganz besonderes Fundstück ist der verschraubbare Keramiktiegel. Erträgt auf dem Boden die Maßzahl „100“, dürfte wohl aus den 1940er Jahren sein und ist vollständig erhalten.

Beifund, Parfum, Creme- und Salbentiegel 1900 bis 1950, Dietzgenstraße, Foto Juni 2021

Auch die üblichen Verdächtigen, Arzneimittelflaschen aller Art von 1900 bis 1950, wie man sie allerorts auf Müllplätzen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder in den Resten von Feldlazaretten findet, kamen zum Vorschein.

Beifund Hausmüll, diverse Apotheken- u. Drogerieflaschen u. Tiegel, 1890 bis 1950

Alles in allem hat sich das Begleiten der ersten Tiefbauarbeiten gelohnt. Zutage trat mit der kleinen Feldstellung mehr als erwartet. Neben einigen interessanten Fundstücken konnte auch wieder etwas Einblick in die letzten Kriegstage in Pankow genommen werden.

Fundverzeichnis

Vermutete Feldstellung: 1945

Panzergranate, Panzerkettenglieder, 2 Spaten, Fotofilmdose AGFA I.G. Farbenindustrie Berlin SO 36, 1 Grünglas Normalkonserve 900 CCM Wehrmacht, 2 Champagnerflaschen, 2 mal 2 Weinflaschen selben Typs, Bajonett, Emaille-Waschschüssel, Emailleeimer, weitere eiserne Kleinteile von gepanzerten Kettenfahrzeug u.a. Kriegsgerät, 4 Bierflaschen, 3 Limonadenflaschen, 1 Dose (AL-DIN 252),

Beifunde: 1900 bis 1950

diverse Kleinflaschen (Apothekenbedarf), 3 braune Salbentiegel (Glas), Teigrolle/Nudelholz aus Porzellan (Annaburg), weißer verschraubbarer Porzellantiegel

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Guido Kunze, Tagesspiegel, Berliner Morgenpost

Recherchequellen: Heimatsammlung Willy Manns, Pankower Chronik (Rehfeld)

Das Bürgerparktor in Pankow

Das Bürgerparktor gehört zu den Wahrzeichen Pankows und die Mehrheit der Pankower wird wohl schon ein- oder mehrmals hindurchgeschritten sein.

Autor Bormann bei Drohnenaufnahmen vom Tor, Luftaufnahme Juni 2021

Der römische Triumphbogen im Stil der italienischen Neorenaissance ist ein typischer Historismusbau und ein Glück für Pankow. Zum Gesamtensemble gehört auch das alte Kastellanhaus.

Sonntäglicher Spaziergang des Fräulein Johanna, Foto 1914

Dr. Hermann Theodor Killisch v. Horn, der Herausgeber der Berliner Börsenzeitung, ließ das Tor 1865 als Prachteingang zu seinem englischen Landschaftspark an der Spandauer Straße, dem alten Triftweg nach Jungfernheide und heute Wilhelm-Kuhr-Straße errichten. Das Tor soll damals zu Festlichkeiten angeleuchtet worden sein.

Bäckerei Karl Hartmann aus der Wollankstraße 130 mit Pferdegespann vor dem Torensemble, Foto um 1930

Der Parkeingang lag am westlichen Ende des Angerdorfes und war für die Bevölkerung bis 1906 tabu. Nach der Aufgabe des Landschaftsparks sollte das Gelände verkauft, parzelliert und von einer Straße durchtrennt werden. Es war der damalige Dorfbürgermeister Wilhelm Kuhr, der sich für den Gesamterhalt als Parkanlage einsetzte. Für diesen Einsatz bedankten sich die Pankower mit der Umbenennung des Straßennamens von Spandauer Straße in Wilhelm-Kuhr-Straße.

Die Gemeinde erwarb den Grundbesitz und schon 1907 konnten die Bürger Pankows durch Ihren Bürgerpark flanieren. Zu dieser Zeit hatte der Park noch einen üppigen Figurenbestand und war weitgehend im Original vorhanden. Der Vorplatz am Tor wurde 1925 umgestaltet und das große schmiedeeiserne Tor unter dem Hauptbogen schloss sich für immer. Die Straße und der Gehweg wurden gepflastert und eine Mittelinsel umschloss die damals hier stehende kleine Baumgruppe vor dem Tor.

Beschädigtes Bürgerparktor, Foto Ende der 1990er Jahre

Der Krieg hat die historischen Gebäude weitgehend zerstört. Mangel an Baustoffen und schlechte Planung kosteten den Park auch noch den restlichen Bestand an historischer Ausstattung. Der Bürgerpark sollte wieder hergerichtet und die Erinnerungen an den Krieg getilgt werden.

Gesamtensemble Bürgerparktor und Kastellanhaus, Luftaufnahme Juni 2021

Aus Mangel an Geld, Material und Expertise ging Abriss vor Wiederaufbau. Ein Wunder, dass die Teufelsbrücke über die Höllenschlucht noch erhalten ist. Aus heutiger Sicht ist ein solches Vorgehen kaum mehr vorstellbar. Aus Kostengründen wurden viele dieser Objekte nicht komplett enfernt sondern liegen heute noch als Sockel und Trümmerreste im Boden des Parks. Gewonnene Klinker wurden an anderer Stelle wieder verbaut. Hierzu sind bereits einige Sondierungen im Park von mir und Frau Cornelia Wagner vom Straßen- und Grünflächenamt Pankow geplant.

Das Tor hatte keinen Bombentreffer, war aber von leichter Artillerie beschädigt worden. Die Hauptfiguren auf der Attika wurden bereits 1953 vom Tor abgenommen und gesichert, die ersten Instandsetzungsarbeiten am Tor erfolgten 1966. Nach langem hin und her und diversen Fehlplanungen war es dann 1975 soweit. Der Rat des Stadtbezirks Berlin-Pankow beauftragte den Bildhauer Günther Gohlke mit der Wiederherstellung der Figuren.

Saniertes Bürgerparktor in Pankow, Luftbild Juni 2021

Hier kam es zu einer Besonderheit, wie ein Gutachten von 2005 feststellt. Aus Sorge, die Rundbögen könnten die schweren Sandsteinfiguren statisch nicht tragen, wurden die Kopien aus glasfaserverstärktem Kunstoff hergestellt. Die überlebenden Originalteile sollen sich im Depot des Museum Pankow befinden. Auch hier setzten sich Materialmangel und Fehlplanungen fort. So dauerte der Abschluss der Restaurierungen noch bis 1978.

Bürgerparktor, oberer Teil der Rückseite, Luftbild Juni 2021

Die Jahrzehnte vergangen und das Tor war in den 1990er Jahren wieder in einem erbärmlichen Zustand. Als am 10. Juli 2002 während eines Sturms der musizierende Torengel herabstürzte, reichte es den Pankowern. Der gefallene Engel stand ein halbes Jahrzehnt auf dem Hof des Kastellanhaus. Hier sah auch ich ihn mit blutendem Herzen noch stehen. Für die Sanierung wurden 300.000 Euro veranschlagt.

Bürgerparktor, Rundungen von unten, Foto Juni 2021

Organisiert von engagierten Pankowern wie Willy Manns und dem Verein für Pankow rollte die Rettungsaktion an. Am 27. August 2005 fand das erste vom Verein für Pankow organisierte Benefizkonzert statt. Im Jahr darauf, 2006, genau 12 Monate später noch das zweite. So konnte die letzte Restaurierung im September 2006 beginnen.

Bürgerparktor, Säule zum Triumphbogen, Foto Juni 2021

Pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum des Bürgerparks am 25. und 26. August 2007 wurde ein Bürgerfest ausgerichtet. Jetzt konnten die Pankower das für diesen Zweck geöffnete historische Mitteltor durchschreiten und ihr saniertes Bürgerparktor bewundern.

Schmiedeeisernes Originaltor von 1868, Foto Juni 2021

Bei der Bestandsaufnahme des Tores im Juli 2021 musste ich schwere Wasserschäden feststellen. Scheinbar dringt Wasser ungehindert durch die Attika und sackt durch das Tor, bevor es seitlich durch den porösen Putz wieder austritt.

Originaldurchgang von 1868, Foto Juni 2021

Ich werde in den nächsten Wochen die verantwortlichen Ämter informieren und zum unverzüglichen Handeln auffordern. Noch sind die Schäden übersichtlich und behebbar. Schauen Sie bei Ihrem nächsten Parkspaziergang mal etwas genauer hin.

Autor: Christian Bormann

Red. Bearb.: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Guido Kunze, Bundesarchiv, Ralph Hoppe

Das alte Kastellanhaus

Das alte Kastellanhaus in der Wilhelm-Kur-Straße geht noch auf den Parkgründer Baron Killisch von Horn zurück. Um 1860 erbaut, beherbergte es den Parkaufseher.

Luftaufnahme Kastellanhaus mit Mousoleum Juni 2021

Das Kastellanhaus wird umgangssprachlich auch Torhaus oder Torwächterhaus genannt. Ein Kastellan war der Aufsichtsbeamte eines größeren Anwesens.

Kastellanhaus von 1860, Foto Juni 2021

Der Putzbau mit schiefergedecktem Walmdach ist mit einigen typischen, aber dezent gesetzten Historismuselementen geschmückt und in seiner Art an das heute nicht mehr existierende Herrenhaus angelegt. Besonders auffällig sind die Motivkassetten an der südlichen und westlichen Sichtfassade.

Balustrade auf dem Anbau von 1908, Foto Juli 2021

Bis in die 1960er Jahre soll es tatsächlich noch einen Parkwächter gegeben haben. Seine Hauptaufgabe war das Öffnen und Schließen der Parkanlage sowie die Aufsicht darüber. Das Kastellanhaus wurde gern für Werbeaufnahmen von Pankower Fuhrunternehmen und Händlern genutzt.

Werbung 1926 Brautaus und Hochzeitskutschen vor dem Kastellanhaus

Unter anderem entstanden auch Ansichtskarten zum 50-jährigen Jubiläum der Brautautos und Hochzeitskutschen Vermietung Mühlenstraße oder der Bäckerei Hartmann aus der Wollankstraße.

Bäckerei Hartmann in den 1930er Hahren vor dem Kastellanhaus

Ursprünglich bestand das Haus nur aus einem Kastenbau. Links davon auf dem alten Acker wurde 20 Jahre zuvor der ehemalige Gemeindefriedhof 1841 angelegt. Der Verlauf der heute nicht mehr existierenden Einfriedung und des Vorgartens des Kastellanhauses ist noch an der Beetkante der Grünfläche zu erkennen.

Historischer Eingang zum Kastellanhaus, Foto 2021

Mit dem Kauf des Bürgerparks durch die Gemeinde wurden öffentliche Bedürfnisanstalten für die Parkbesucher benötigt. So erhielt das kleine Haus seinen Anbau im gleichen Historismusstil mit aufgesetzter Balustrade. Ich erinnere mich, dass diese Bedürfnisanstalt bis zum Mauerfall noch betrieben wurde.

Schiefergedecktes Walmdach, Foto Juli 2021

Der Anbau schloss die Lücke zwischen Kastellanhaus und dem 1904 erbauten Mausoleum für die Familie Killisch von Horn, einem Sandsteinkuppelbau des Pankower Maurermeisters Malingriaux, der unter anderem auch Schul- und Wohnbauten in der Grunow-, Mühlen- und Thulestraße realisierte.

Stuckkasette Historismus, Foto Juni 2021

So kamen sich das Kastellanhaus und der Friedhof immer näher. Der Vorplatz vom Bürgerparktor wurde 1925 neu gestaltet. Bis dahin war es möglich, die Torzufahrt zu nutzen. Der Bordstein wurde angehoben und die Zufahrt für immer geschlossen.

Stuckkasette Südfassade, Foto 2021

Auch die sich rechts vom Haus befindende Zufahrt auf den Friedhof wurde geschlossen. Erst bei bei Sanierungsarbeiten 2021 wurde diese vergessene kleine Toreinfahrt samt dem neu entdeckten Noteingang von der Kreuzstraße aus wieder sichtbar gemacht.

Kastelkanhaus ohne Einfriedung, Foto Juni 2021

Zu dem Haus gehört ein kleiner, heute verwilderter Garten. Bis in die 1990er Jahre war hier eine von mehreren Personalunterkünften des Straßen- und Grünflächenamtes Pankow. Ich kenne das Gebäude selbst noch von innen. Im Zentrum befand sich ein mittelgroßer Aufenthaltsraum, die restlichen Zimmer erinnerten eher an Kammern.

Kastellanhaus mit Einfahrt vom Bürgerpark, Foto Juni 2021

Nach umfangreichen Modernisierungen gibt es zwar zur Freude der Parkbesucher noch die historische Sichtfassade, im Inneren erinnert außer der Holztreppe nichts mehr an die ursprüngliche Raumaufteilung.

Stuckkasette Westdassade zum Park, Foto 2021

Hell und geräumig kommt das Innere des Kastellanhauses heute daher. Von der Bedürfnisanstalt existieren nur noch die Besucherinnen in der Front. Dahinter ist heute ein offener Raum mit Glassfassade zum Garten.

Innenansicht nach Modernisierubg ohne Wände, Foto 2014

Auch im Dach ist ein großes Glaselelement eingesetzt, wie auf der Luftaufnahme zu sehen ist. Alles in allem ist das betagte Kastellanhaus sehr gut über die Zeit gekommen. Ich würde es heute lieber im Besitz des Bezirks sehen und der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Trepoebaufgang zum Dach, Foto 2014

Beim nächsten Besuch des Bürgerparks erfreuen Sie sich nicht nur am Anblick des sanierten römischen Triumphbogens. Lassen Sie Ihren Blick nach rechts schweifen und schauen Sie sich die kleine Perle aus dem Historismus mal ein wenig genauer an.

Autor: Christian Bormann

Red. Bearb.: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Guido Kunze, Ansichtskarten Bormann