Die Heinersdorfer Villa

Zu den Blickfängen am alten Heinersdorfer Dorfkern gehört neben der Kirche zweifelsohne die alte Heinersdorfer Villa. Viel ist heute nicht mehr über sie bekannt.

Villa des Pferdehändlers von 1876, Foto Mai 2021

Die Villa war Wohn- und Vorzeigeobjekt eines vermögenden Heinersdorfer Pferdehändlers. Nur wenige hundert Meter die Straße runter nach Weißensee befand sich die Pferdeauktion. Das 1876 erbaute Vorderhaus gehört mit Taubenturm und Scheune zu einem heute denkmalgeschützten Gesamtentsemble.

Heinersdorfer Villa Romain-Rolland-Straße 49, erbaut 1876, Foto 2021

Nord- und Ostseite des Hauses tragen noch, wie in der Zeit des Historismus üblich, eine prächtig geschmückte Stuckfassade, während die Südseite notdürftig verputzt und die Westseite bis auf die Klinker abgetragen ist.

Giebel mit Kartusche, Monogramm und Jahreszahl 1876

An der Fassadenfront zur Straße fällt als erstes der prächtige Giebel auf. Eine aufwändige Stuckarbeit zeigt zwei Engel, die eine Kartusche mit der Jahreszahl 1876 und darüber ein Monogramm halten. Auch die schmiedeeiserne Einfriedung geht noch auf das Jahr 1876 zurück.

Straßenfront im Stil des Historismus von 1876

Auf Augenhöhe sind es die Stuckkassetten mit römisch anmutenden Motiven, die ins Auge stechen wie leider auch die unschönen Kunststofferkerfenster. Schaut der Betrachter noch etwas genauer hin, so fällt ihm eine alte Hausnummer auf.

Stuckkassette aus dem Historismus 1876, Foto Mai 2021

Es handelt sich hierbei tatsächlich noch um die erste Hausnummer. Die Heinersdorfer Dorfstraße war ein Feldweg und wurde erst 1900 als Straße befestigt. Deshalb taucht sie auch erst 1903 im Adressbuch von Berlin als Kaiser-Wilhelm-Straße auf. Sogar die rote Eingangstür ist noch original. Links neben der Eingangstür wacht eine Frau in römischem Gewand mit Blumenschmuck.

Historische Hausnummer vom 1902, Kaiser-Wilhelm-Straße 15

Bei einem Blick durch die Fenster ist zu sehen, dass die Villa auch von innen mit Historismusmotiven geschmückt ist. Die Villa stand bis zu ihrer Umbenennung 1951 in Romain-Rolland-Straße 49 in der Kaiser-Wilhelm-Straße 15. Heinersdorf war geprägt von Äckern, vor allem aber bekannt für seine Obstgärten.

Eingangstür von 1876, Foto Mai 2021

Ursprünglich ließ sich die Kirche umfahren, wie es heute noch in Pankow oder Blankenburg üblich ist. Die Heinersdorfer Bauern verstanden es, ihre Äcker immer weiter an die Kirche zu ziehen, bis die Kirchenmauer ereicht und ein Umfahren mit der Kutsche nicht mehr möglich war.

Nördliche Fassadenfront mit Figur und Giebelschmuck, Mai 2021

Heinersdorf gehörte früher zum Verwaltungsbezirk Alt-Weißensee und lag soweit ab vom Schuss, dass die Kinder in den umliegenden Dörfern es schon besangen. „In Heinersdorf tragen die Mädels noch Schnallen an den Schuhen…“

Erhaltene figürliche Darstellung im Stil des Historismus von 1876

Die Dorfkirche mit Ihren Nebengelassen und dem Gemeindesaal gegenüber der Villa des Pferdehändlers sind das historische Vermächtnis von Heinersdorf. Die ersten Gartenanlagen wurden in den 1990er Jahren zu Bauland umgewidmet . Die heutige Wohnungsnot durch Mietwucher und mangelnde Baugrundstücke werden in den nächsten Jahren wohl den gesamten historischen Obstgartenbestand vernichten.

Blick durchs nördliche Seitenfenster

Für die Villa selbst wird wohl auch jede Hilfe zu spät kommen. Der jetzige Eigentümer scheint nicht in der Lage zu sein, eine Sanierung durchzuführen. Schaut man sich die zerstörten Putzelemente an der Nordseite an, so müssten diese sofort wetterdicht gemacht und gesichert werden.

Giebelschmuck Nordseite, Foto Mai 2021

Noch schlimmer steht es um die prächtige, mit gelben und roten Klinkern kunstvoll gestaltete Pferdescheune auf dem Hof hinter der Villa. Wind und Wetter tragen hier im wahrsten Sinne des Wortes die Mauern Stein für Stein ab. Etwa 70 Prozent stehen noch. Das Dach wurde durch Wellblech ersetzt. Auch die Reste der Grundstücksmauer werden mit jedem Regen weiter destabilisiert und regelrecht weggespült.

Verfallene Fassade der Nordseite

Etwas besser steht es um den Taubenturm, der im selben Stil wie der Pferdestall erichtet wurde. Er trägt die selben Initialien wie die Kartusche am Giebel zur Straße. Auch hier hat eindringendes Regenwasser bereits sichtbare Schäden hinterlassen.

Taubenturm mit Denkmalschutzzeichen, Foto Mai 2021

So gehört dieses Gartenensemble an der Heinersdorfer Kirche zu den wichtigsten und beeindruckendsten Zeugnissen des Historismus und der Heinersdorfer Geschichte, leider aber auch zu den gefährdetsten.

Hofansicht des Taubenturms, Mai 2021

Das Grundstück selbst ist noch bewohnt und sollte auch von Neugierigen nicht betreten werden. Was bleibt ist der Blick auf eine traumhafte Historismusfassade und den Taubenturm, solange das Ensemble noch steht.

Taubenturm mit Monogramm, Mai 2021

Heinersdorf hat heute zwei heimliche Wahrzeichen. Die Villa des Pferdehändlers und den alten Flakturm, der ursprünglich als Wasserturm der Mittelteil des geplanten Rathauses war. Durch die Eingemeindung von Heinersdorf nach Berlin 1925 war ein eigenes Rathaus nicht mehr erforderlich.

Pferdestall von 1876, Foto Mai 2021

Dieser Bericht soll noch einmal eine Bestandsaufnahme sein und die Geschichte der vergessenen Villa ins Bewusstsein rufen, bevor es zu spät ist. Für mich gehört sie trotz Ihres erbärmlichen Zustands zu einem der schönsten Häuser in Pankow.

Luftaufnahme, Mai 2021

Noch ein kleiner Hinweis von mir. Bei dem Grundstück Romain-Rolland-Straße 49 handelt es sich um Privatbesitz. Auch die Denkmalschutzbehörden können daher hier dem Verfall nur zusehen.

Screenshot vom 360° Panorama von Heinersdorf
Vollbildansicht:
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Autor: Christian Bormann

Redaktionelle Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Guido Kunze

Friedhofssanierung am Bürgerpark lüftet Geheimnis um Straßennamen

Gemeint ist die Kreuzstraße in Pankow am alten Gemeindefriedhof. Nur wenige Meter vom alten  Bürgerpartor enfernt, schließt sich das historische Gartendenkmal an den Bürgerpark an. Das heutige Gartendenkmal wurde 1841 als 1. Gemeindefriedhof angelegt, da die ursprüngliche Begräbnisstätte rund um die Pankower Dorfkirche „Zu den vier Evangelisten“ nicht mehr ausreichte.

Eingangstor von 1909, saniert 2020 bis 2021, Foto Mai 2021

Während der aktuellen Sanierungsarbeiten an der Einfriedung des Friedhofs im Bereich Wilhelm-Kuhr-Straße, Kreuzstraße und Grabbeallee sowie am Mausoleum ergaben sich mehreren Fragen zu historischen Sachverhalten. Die schmiedeeiserne Einfriedung von 1909 war die Nachfolgerin der einstigen Holzeinfriedung und mit 110 Jahren reif für eine Sanierung.

Fertigbetonteile am alten Noteingang werden entfernt und durch historische Einfriedung von 1925 ersetzt, 2021

Gemeinsam mit der Revierleiterin des Straßen und Grünflächenamts Berlin Pankow, Frau Cornelia Wagner, nahm ich mich der Recherchen parallel zur laufenden Sanierung an. Die Kreuzstraße ist für mich ganz besonders interessant, in der Hausnummer 5 (direkt neben Schmidt-Hutten), bin ich selbst aufgewachsen. Nicht zuletzt der Gründer und 1. Präsident des FC Bayern München, der Pankower Fotograf Franz John gehört ebenfalls zu den historischen Persönlichkeiten der Kreuzstraße. Unter der Überschrift: „Pankower gründet FC Bayern und ist 1. Präsident“ habe ich 2016 darüber berichtet.

Revierleiterin des Straßen und Grünflächenamts Berlin Pankow, Cornelia Wagner (re.) und Autor Christian Bormann (li.)

Wärend der Recherchen in alten Luftaufnahmen zur ursprünglichen Funktion und Form der historischen Einfriedung des Friedhofs und der Suche nach Spuren der verlorenen Kapelle, stieß ich auf eine Antwort, deren Frage ich gar nicht gestellt hatte. Woher stammt eigentlich der Name Kreuzstraße?

2020 bis 2021 sanierte historische Einfriedung von Friedhof 1, Wilhelm-Kuhr-Straße Ecke Kreuzstraße

Im Zeitalter des Internets sind viele Fragen schnell beantwortet. So auch die Enstehung von Straßennamen. Anders bei der Kreuzstraße in Pankow. Bis heute konnte nur gemutmaßt werden, wie der Name entstand. Hierzu gibt es mehrere Legenden. Unter anderem die Auffassung, dass der Name auf die Siemens & Halske-Bahn zurück geht, die aus der Kreuzstraße kommend in die Wollankstraße einkreuzte.

Siemens & Halske Bahn fährt aus der Kreuzstraße kommend in die Wollankstraße 1885

Eine schöne Theorie, aber als wahrscheinlicher galt die Verbindung zum alten Gemeindefriedhof. Die Erklärung hierzu ist, dass auf dem Friedhof viele Eisenkreuze standen und die Straße so zu ihrem Namen kam . Dazu sollte man wissen, dass es 1896, als die Kreuzstraße angelegt wurde, tatsächlich diese heute nicht mehr gebräuchlichen Eisenkreuze in Hülle und Fülle auf den Friedhöfen gab, so wie heute die typischen Granitgrabsteine.

Mit Ziergitter eingefasste Familiengrabstelle, Foto 2021

Der alte Gemeindefriedhof bildet hier eine Ausnahme. Die Grabanlagen waren aufgeteilt in kleine gemauerte Grabkammern, ausgehend vom Mausoleum, entlang der Friedhofsmauer und den Wiesengräbern auf der Freifläche. Die damals typischen Eisenkreuze waren hier die Ausnahme. Die Regel waren aufwändig gestaltete und schmiedeeisern eingefasste Familiengräber und obeliskartige Granitsteine. Ein Blick auf die Luftbilder von 1928 und 1953 offenbarten das Geheimnis um den Straßennahmen.

Luftbildaufnahme Kreuzgang mit Baumkreuz; ehem. Gemeindefriedhof 1, Kreuz-/ Ecke Wilhelm-Kuhr-Straße, 1928

Ich konnte kaum glauben, wie einfach die Antwort war. Die Aufnahmen zeigen ein nach Norden ausgerichtetes, 80 Meter langes und 55 Meter breites christliches Kreuz aus Baumkronen und ein am Boden des Friedhofs angelegter Kreuzgang, an dessen Ende sich die im Krieg beschädigte gesuchte Kapelle befand.

Hauptachse des 1841 am Boden angelegten Kreuzgangs, an dessen Ende sich bis 1946 die Kapelle befand, Foto 2021

Der Kreuzgang wurde zur Gründung des Friedhofs 1841 angelegt und ist auf den ersten Luftaufnahmen von 1928 bereits 87 Jahre alt. Auf dem technischen Gesamtplan der Anlage von 1946 ist der Kreuzgang am Boden als begehbares Wegesystem noch erhalten und die Kapelle am Ende des Kreuzes noch verzeichnet.

Luftaufnahme mit Baumkreuz, Friedhof 1, Kreuz-/ Ecke Wilhelm-Kuhr-Straße, 1953

Der Kreuzgang scheint in den späteren Jahrzehnten absichtlich entschärft worden zu sein. Heute existiert am Boden nur noch die Hauptachse des Kreuzes als Mittelweg vom Eingangstor Richtung Mauerdurchgang. Die mit den Jahrzehnten abnehmende Zahl an Bäumen ist auf Ursachen wie Sturmschäden, Bewirtschaftung und den ganz gewöhnlichen Lauf der Natur zurückzuführen. Die Luftaufnahmen zeigen aber noch etwas ganz anderes.

Nachgepflanzte Baumreihe parallel zum Baumkreuz, Foto 2021

Parallel zum Baumkreuz wurde eine schneller wachsende Baumreihe aus Linden gesetzt. Auf dem Gesamtplan von 1946 ist diese Baumreihe schon verzeichnet. Vermutlich wurde sie in den 1930er bis 1940er Jahren gepflanzt. Vom Boden aus wiederum ist zu sehen, dass die nachgesetzte Baumreihe die Einfriedung über die Jahrzehnte schwer beschädigt und verschoben hat. Das muss damals schon absehbar gewesen sein, wurde aber vermutlich um des Zweckes wegen in Kauf genommen.  Das Kreuz sollte aus der Luft und vom Boden unkenntlich gemacht werden.

Baumkreuz als sichtbares Fragment, ehem. Friedhof 1, Satellitenbild Google Earth 2018

Bei einem Treffen vor Ort im April 2020 legte ich dem Vertreter der Denkmalschutzbehörde meine Recherche dar und konnte ihn davon überzeugen, dass der Straßenname direkt auf den Kreuzgang und das himmelsgroße Baumkreuz zurück geht. Zu meiner Freude schloss sich das Denkmalamt meiner Auffassung an. Ich begleite Frau Wagner seit über einem Jahr bei den noch andauernden Sanierungsarbeiten. Die Herkunft des Straßennamens war nur eine von vielen Überraschungen und der Auftakt zu mehreren kleinen Geschichten rund um den alten ehemaligen Gemeindefriedhof 1 am Bürgerpark.

Bild Kreuzgang

Autor: Christian Bormann

red.Bearbeitung: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Tagesspiegel, Berliner Morgenpost, Google Earth 2018,

Das vergessene Soldatengrab in der Grellstraße

In den 1990er Jahren gehörten zerschossene Hausfassaden in Ost-Berlin noch zum gewohnten Anblick. Als Kinder popelten wir gern die Projektile aus den Einschusslöchern der Fassaden. Mit den großen städtischen Sanierungsprogrammen und den Eigentümerrückübertragungen der Grundstücke bekam auch der Ostteil von Berlin endlich Farbe. Der morbide Charme der von den mit Kriegsspuren übersehenen Straßenzügen, für den die östlichen Stadteile weltbekannt waren, ist heute unter Dämmplatten und hellen Fassaden verschwunden.

Sanierungsarbeiten Grellstraße 10. bis 12. April 2021

An einigen Stellen in der Stadt gibt es sie dennoch. Zwischen längst modernisierten Häuserblockreihen stechen sie trotzig hervor – Relikte aus einem anderen Jahrhundert. So auch in der Grellstraße. Der alte Wohnblock der Reichseisenbahner, zu dem die Nummern 10, 11 und 12 gehören, wird seit drei Jahren auf seine Modernisierung vorbereitet. Hier sind die letzten Kriegstage noch an der Fassade abzulesen.

Einschüsse aus den letzten Kriegstagen Ende April 1945, Grellstraße 12

Direkt hinter den Blöcken Grellstraße 10, 11 und 12 befindet sich der S-Bahnring. Die Ringbahn bildete den inneren und letzten von drei Verteidigungsringen im Sturm auf Berlin. Innerhalb der Ringe gibt es acht alphabetische Sektoren, der Großbezirk Pankow in seiner heutigen Form war Sektor H. Am 9. März 1945 erließ das Oberkommando der Wehrmacht den „Grundsätzlichen Befehl zur Verteidigung der Reichshauptstadt“. In der Stadt befanden sich noch zwei Drittel der Berliner, Zwangsarbeiter und Flüchtlinge.

Luftschutzraumschleuse Wohnblock Grellstraße 10 – 12, Januar 2018

Es war der 22. April, als die Rote Armee die nördliche Grenze von Prenzlauer Berg erreichte, sechs Tage später, am 28. April, beginnt der Häuserkampf in der Grellstraße. Ohne Strom saßen die Bewohner der Grellstraße in Ihren Luftschutzkellern. Wärend andere berichten, ihre Straßen wären so weit ab vom Schuss gewesen, dass man kaum sicher sagen konnte, wo genau die Kampflinie verläuft, traf es die Anwohner der Grellstraße härter. Ihre Schutzräume lagen direkt am letzten Verteidigungsring der Stadt. Es gab kein Entkommen, nur Ausharren und und Hoffen.

Kino Toni Weißensee, Sowjetsoldaten feuern Artillerie Richtung Alexanderplatz, April 1945

Während im Schutzraum der Grellstraße 9 die Bewohner nichts anderes als abwarten konnten, versuchten die Soldaten der Wehrmacht und der Landsturm den Häuserblock und seine Eingänge erbittert zu verteidigen. Ein Durchbruch über den S-Bahnring war mit allen Mitteln zu verhindern. Ein Entkommen war aussichtslos. Vor sich hatten die Verteidiger eine Übermacht an gut ausgerüsteteten Sowjets und im Rücken die SS im Hauptgefechtsstand der Schultheiss-Brauerei, heute als Kulturbrauerei in der Schönhauser Allee bekannt.

Soldatengräber in Pankow, Mai 1945

Am 2. Mai 1945 gegen 8 Uhr ist es endlich soweit. Über Funk und Lautsprecher wird die Kapitulation verkündet. Bis auf den S-Bhf Schönhauser Allee, an dem die Kämpfe bis zum Nachmittag dauern, werden die Gefechte eingestellt. Als erstes werden die Gefallenen notdürftig vergraben. Hierzu dienen sämtliche noch freien Erdflächen. Die Soldaten werden in Vorgärten, auf Höfen, Sportplätzen und Parkanlagen vergraben. In Pankow dienten beispielsweise der Brosepark und der Kissingensportplatz als Notbegräbnissstädten, wärend auf der großen Wiese im Bürgerpark Gemüse angebaut wurde, um die Hungersnot der Überlebenden zu lindern.

Abgezäunte Fundstelle auf dem Hof der Reichsbahnerwohnungen, Grellstraße 11

In den Folgemonaten und -jahren wurden die notdürftig Beerdigten auf reguläre Friedhöfe umgebettet. Der heute nicht mehr existierende Friedhof VI für innerstädtische Bombenopfer in der Schönholzer Heide ist so ein Beispiel. Hier lagen bis in die 1990er Jahre Pankower neben Zwangsarbeitern und umgebetteten deutschen Soldaten. Im Januar 2018 begannen Arbeiter mit Schachtarbeiten auf dem Hof der Grellstraße 11, seitlich an der Kellermauer der Nummer 12. Direkt unter dem Luftversorgungsrohr der Kelleranlage stießen sie in geringer Tiefe auf einen grausigen Fund. Gebeine, einen Helm und persönliche Habe eines vergessenen Soldaten kamen nach 73 Jahren wieder ans Tageslicht.

Geborgene Gebeine eines deutschen Soldaten bei Erdarbeiten in der Grellstraße 11, Januar 2018

In den unübersichtlichen Wirren der letzten Kriegstage konnten nicht alle Notgräber erfasst werden, Markierungen verschwanden und so blieben nicht wenige Soldaten für immer liegen. In dem ein oder anderen Vorgarten und unter Parkwiesen liegen Sie noch heute, vergessen von der Zeit. Verlorengegangene Soldatengräber tauchen heute im Stadtgebiet eher selten auf. Häufig hingegen werden sogenannte Landserdepots gefunden. Ich habe Mitte 2018 über „Das vergessene Landserdepot“ in der Mühlenstraße berichtet. Beim Abschieben der Grasnarbe zur Vorbereitung der Tiefbauarbeiten war ein ganzes Depot zum Vorschein gekommen. Panzerfaust samt Geschossen und die komplette Habe bis auf die Unterwäsche waren hier versteckt.

Beifund des gefallenen Soldaten Grellstraße 11, mittig vier halbe Erkennungsmarken, Januar 2018

Die meisten Depotfunde werden bei Bauarbeiten, von der Öffentlichkeit oft unbemerkt, auf Schulhöfen, Kirchengrundstücken, Friedhöfen und Parkanlagen gemacht. Der Inhalt sind für gewöhnlich Stahlhelme, Gewehre, Panzerfäuste, Granaten oder im Fall der Flucht Uniformen, Orden und Papiere. Halt alles was einen Flüchtenden als Soldaten veraten hätte. Der Beifund des Soldatengrabes in der Grellstraße 11 zeigt unter anderem einen Stahlhelm mit Kopfschuss in den Hinterkopf sowie vier halbe Erkennungsmarken. Der gefallene hatte also bereits die Erkennungsmarken von drei weiteren gefallenen Kameraden bei sich, als er selbst fiel und notdürftig verscharrt wurde.

Sanierung Wohnblock Grellstraße 10 bis 12. Die letzten Kriegsfassaden werden gedämnt und verputzt, April 2021

Der alte Reichsbahnerblock in der Grellstraße ist seit Anfang Mai 2021 komplett eingerüstet und die Narben des Krieges an den Fassaden sind zum großen Teil mit Dämmplatten überklebt. Die optischen Erinnerungen verschwinden, doch die vergessenen Gefallen liegen noch immer unentdeckt auf den Höfen rund um den S-Bahn-Ring.

Autor: Christian Bormann

red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Sven Henning, Bundesarchiv, Museum Pankow (Dörrier)

Bodenfund im Bürgerpark

Am 5. Juni 2017 hieß unser Beitrag „Carl Maria von Weber in Pankow“. Anlass war die jahrelange Recherche zu einem historischen Sockel als Rest einer Statue in der Schönholzer Heide.

Fundstelle Wirtschaftshof Straßen- und Grünflächenamt. Die kleinen Gewächshäuser sind abgeräumt u. die historischen Tennisplätze überpflastert

Nach einer Ortsbegehung mit dem Freundeskreis der Chronik Pankow e.V. anlässlich der Austellung „Schönholzer Heide“ konnte Frau Jutta Mach die fehlende Statue mit Bildern belegen. Sie selbst hatte noch das „Heidetheater„, wo der Sockel stand, als junge Frau besucht.

Bauareal Wirtschaftshof Straßen- und Grünflächenamt April 2021

Der am 18. oder 19.11.1786 in Eutin geborene Komponist, Dirigent und Pianist Carl Maria Friedrich Ernst August von Weber besuchte tatsächlich Pankow. In seinen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen beschreibt er seine Besuche bei „Jord. Fried. am 28. Junie 1812“ oder „die Geburt bei Kielemann und Hellwigs am 22. Juli 1812“.

Cornelia Wagner, Revierleiterin Straßen- und Grünflächenamt Pankow (re.) und Christian Bormann, Autor (li.) April 2020

Bis auf drei historische Bilder und eine Markierung auf dem Bauplan des Heidetheaters gab es nur noch eine Miniatur, die sich im Nachlass des Bildhauers befand, von der Deutschen Weberstiftung aber nicht angekauft wurde und heute als verschollen gilt.

Geborgener Bodenfund. Vermisste Weber-Statue im Bürgerpark 2020

So war die Bestimmung der Statue zwar erfolgreich, der Verbleib aber unbekannt. Seit Januar 2020 treffe ich mich regelmäßig mit Frau Wagner, der Revierleiterin vom Straßen- und Grünflächenenamt Pankow. In Ihr Ressort fällt auch die Umgestaltung der Schönholzer Heide, die Sanierung vom ehemaligen Friedhof 1 und der Bürgerpark. Eine ausgesprochen engagierte Frau, die zu meiner Begeisterung ein Auge für historische Sachverhalte und ein Händchen für ihren Erhalt hat.

Verwaister Sockel der Weber-Statue am alten Freilichttheater, Schönholzer Heide 2016

Im Januar wies sie mich auf einen Bodenfund im Bürgerpark hin, der Ähnlichkeiten zu Fotos in einer meiner Geschichten aufwies. Bei dem Fund handelte es sich um eine etwa lebensgroße Figur, der Kopf, Hände und Füße abgeschlagen waren. Der Fund wurde im Januar 2020 auf dem Wirtschaftshof des Straßen und Grünflächenamt im Bürgerpark gemacht, nicht weit entfernt von der alten Meierei auf den alten Tennisplätzen. Die Abt. Straßenentwicklung und Bürgerdienste ist nach Fertigstellung der neuen Personalunterkünfte seit Oktober 2020 mit dem Neubau der Zufahrten und Straßen auf dem Wirtschaftshof befasst. Zur Vorbereitung der aktuellen Bauarbeiten kam es zu Erdarbeiten, bei denen die unbekannte Statue entdeckt wurde.

Weber-Statue, Foto: Museum Pankow (R.Dörrier), vermutlich zur Einweihung des Heidetheaters in Schönholz

Ich verabredete mich mit Frau Wagner zur Inaugenscheinnahme und konnte es kaum glauben. „Weber im Bürgerpark gefunden“. Schon auf den ersten Blick war klar, dass es sich um die vermisste Weber-Statue handelt. Am Fuße eines betonierten Gewächshauses aus den 1960er Jahren war sie in geringer Tiefe vergraben. Die Überaschung war um so größer, da vermutet wurde, dass die Statue in Einzelstücken im Erdreich der Schönholzer Heide verteilt liegt. Hier habe auch ich seit 2014 nach ihr gesucht.

Foto der bereits beschädigten Weber-Statue bevor sie „spurlos“ verschwand, Foto Museum Pankow (R.Dörrier)

Das die Statue fast in Gänze im Bürgerpark vergraben wurde, geschah zu Ihrem Schutz. Die damaligen Arbeiter hätten sie ohne Mühe in der Heide verscharren können. Der Abtransport und das Verstecken der Reste im Bürgerpark war eine Rettungsaktion für die nachfolgenden Generationen. Hierfür gibt es weitere Beispiele. In der Geschichte „Das Geheimnis von Friedhof 1“ wird beschrieben, wie die DDR-Regierung Grabsteine von Berühmtheiten als Diplomatengeschenke weitergab. Zur Rettung verbrachten Mitarbeiter einige der gefährdeten Grabsteine auf den Friedhof 1 und versteckten Sie zwischen den anderen Grabstellen.

Eingelagerter Bodenfund Weber-Statue im Mai 2021

So kam der ehemalige Friedhof 1 im Laufe der Jahre an Grabsteine, dessen Gräber er gar nicht beherbergte. Die versteckte Weber-Statue reiht sich hier nahtlos ein. So schließt sich der Kreis um eine mehrjährige Recherche. Für mich ein Glücksfall, dass es diese beherzten Mitarbeiter gab und heute noch gibt.

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger


Bilderquellen: Jutta Mach (Freundeskreis der Chronik Pankow), Museum Pankow (R.Dörrier) Christian Bormann, Bezirksamt Pankow von Berlin, Bormann Pankowerchronik TV

Alter Dorfkrug Pankow aufgetaucht

Nach dem Abriss der alten HO-Kaufhalle in der Breiten Straße lag das Areal viele Jahre lang brach. Der neue Besitzer, die ANH Hausbesitz GmbH und und Co Kommanditgesellchaft, plant hier einen Wohn- und Geschäftskomplex. Anfang 2021 entstand hier ein temporäres Projektcafé. Das einstöckige holzverkleidete Modulbauwerk wird vom Grundstückseigentümer betrieben.

Luftaufnahme der HO-Kaufhallenbrache Breite Straße 2018

Ende März fanden dann Anschlussarbeiten an das Wasserwegenetz statt. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als dabei Kellerreste zutage traten. Viele Pankower kennen noch die HO-Kaufhalle. Die größte Berlins, sie lag schließlich auch an der Protokollstrecke von Schloss Schönhausen.

„Bier Stube“ Alter Dorfkrug Pankow, Breite Straße 34. Postkarte zum Neujahr um 1900.

Die Kaufhalle stand auf den ehemaligen Grundstücken 34A, und 35. Die 34A gehörte damals zur 34. Hier stand das Gasthaus Linder, welches im 2. Weltkrieg zerbombt wurde. Die 34A beherbergte den alten Pankower Krug. In der 35 befand sich Pankows erstes eigenständiges Postamt. Was nach dem Krieg noch auf den Grundstücken 34A bis 35 stehen geblieben war, wurde in den 1980er Jahren für den Neubau der Kaufhalle abgerissen.

„Zum alten Krug“, Breite Straße 34 um 1920.

Spätestens mit dem Abriss der alten Kaufhalle galt das Grundstück als beräumt und historisch uninteressant. Bei meiner üblichen Inaugenscheinnahme der Tiefbauarbeiten fiel mir auf, dass der neue Wasseranschluss in Kellerresten steht, die Spuren von mehreren Bauphasen aufweisen. So reichen die verwendeten Klinker in ihrer Machart von etwa 1800 bis 1940.

Ausschnitt „Plan von Pankow“ von J. C. Selter 1818. Markierung „Der Krug“.

Bei genauer Betrachtung fällt eine Steinschwelle auf, die in Größe, Art und Höhenniveau durchaus die verbliebene Eingangsschwelle des Dorfkruges sein könnte. Für die Recherchen zum Alter des Gebäudes halfen mir Frau Jutta Mach und der Freundeskreis der Chronik Pankow e.V. Frau Mach wies mich auf die Quelle „Jacobi Große Stadt aus kleinen Steinen“ [1] hin. Jacobi gibt als Entstehungsdatum des Krugs 1821 an.

Luftaufnahme 1928, Markierung zeigt den alten Dorfkrug noch als Gebäude

Ich muss Jacobi hier widersprechen. Bereits auf Karten aus dem 18. Jahrhundert ist an der Stelle ein Gebäude ohne Bezeichnung eingetragen. Darüber hinaus zeigt der „Plan von Pankow“ nach J. C. Selter das Gebäude mit dem Namen „Der Krug“ um 1818. Meiner Auffassung nach sollte es den Krug schon Anfang 1700 möglicherweise als Vorgängerbau gegeben haben. Hier war sozusagen die Keimzelle für die späteren Gastwirtschaften, die Pankow zur Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts seinen Ruf als Ausflugsort bescherten.

Berlins größte HO-Kaufhalle Breite Straße in den 1980er Jahren

Zu den Bekanntesten Gastwirten in Pankow gehörte auch Friedrich Mücke. Er begann seine Kariere 1895 im Krug. Seine erste eigene Wirtschaft betrieb er in der Berliner Straße 4, darauf folgte ein Etablissement in der Damerowstraße 23. Eine weitere Einrichtung betrieb Mücke in der Breiten Straße 40. Das Haus Berliner/Ecke Breite Straße ist heute eine Freifläche. Hier steht der Tröpfelbrunnen „Kletternde Kinder“. Der Krug diente damals den Kutschern als Aufenthaltsraum. Hier hatten sie zwischen ihren Fahrten ein Dach über dem Kopf und waren auch vor Wind und Wetter geschützt.

Kellerreste auf dem Grundstück des alten Dorfkrug.

Damals war es durchaus üblich das der Kutscher direkt vom Tresen auf die Kutsche stieg. Die Breite Straße hatte schon so einige Namen. Als Dorfstraße 1871 in Breite Straße benannt, erfolgte zu Ihrem 100. Namensjubiläum die Umbenennung in Johannes-R.-Becher-Straße und nach der Wiedervereinigung wieder in Breite Straße. Auch der Name des Dorfkrug änderte sich mit den Jahren und Betreibern. Bereits 1818 als „Der Krug“ bezeichnet, hieß er zur darauf folgenden Jahrhundertwende „Bierquelle“, dann „Bierkrug“ und zu guter letzt in den 1920er Jahren „Zum alten Krug.“

Anschluss des Areals an das städtische Abwasser April 2021

Mit dem Einverständnis des Grundstückeigentümers schaute ich mir die Kellerreste einmal genauer an. Ich war schon wieder aus der Grube geklettert, als etwas rötliches im Sonnenschein reflektierte und mich blendete.

Vermuteter Eingangsbereich in den Dorfkrug, April 2021

Meine Neugier war geweckt. Behutsam schob ich etwas Erde und Putzstaub beiseite. Ich traute meinen Augen kaum. Als erstes konnte ich eine Rose erkennen und Stück für Stück kam der Rest einer kleinen Keramikkanne zum Vorschein.

Bodenfund im Keller am ehemaligen Standort des alten Dorfkrug April 2021

Für mich stellt dieser kleine Kellerfund, dessen Entstehung ich auf 1860 bis 1940 schätze, das letzte Stück Dorfkrug da und ist ein guter Anlass, den „Alten Krug“ als Geschichte zu thematisieren. Die Kanne ist mit einer merkwürdigen Art Patina überzogen, hat einen winzigen Henkel und eine aufgesetzte Rose. Vermutlich handelte es sich um eine kleine Tischvase für Trocken- und Papierblumen.

Bodenfund Breite Straße, April 2021, geborgener Keramikkrug

Der letzte Nachweis über die Existenz des „Dorfkrug“ ist eine englische Luftaufnahme von 1928. Die Aufnahme zeigt das komplette Gebäude. Auf den Luftbildern der Alliierten von 1953 ragen Baumkronen über das Grundstück. Hier lässt sich nicht mehr seriös feststellen, ob das Gebäude noch in Gänze steht oder ob es sich nur um die Trümmerreste handelt. Bleibt abzuwarten, was bei den geplanten Tiefbauarbeiten auf dem Areal noch zum Vorschein kommt. Vermutlich existieren auch die Keller der Nachbargebäude noch.

Autor: Christian Bormann

Redaktion: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Julia Hermann, Guido Kunze, Lars-Holger Thümmler, Tagesspiegel

Quellen:

[1] Gießmann, C., Jacobi, O. (1936). Große Stadt aus kleinen Steinen : Ein Beitrag zur Geschichte des 19. Berliner Verwaltungsbezirks. Berlin, Anzeiger f. d. Berliner Norden.