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Das vergessene Soldatengrab in der Grellstraße

In den 1990er Jahren gehörten zerschossene Hausfassaden in Ost-Berlin noch zum gewohnten Anblick. Als Kinder popelten wir gern die Projektile aus den Einschusslöchern der Fassaden. Mit den großen städtischen Sanierungsprogrammen und den Eigentümerrückübertragungen der Grundstücke bekam auch der Ostteil von Berlin endlich Farbe. Der morbide Charme der von den mit Kriegsspuren übersehenen Straßenzügen, für den die östlichen Stadteile weltbekannt waren, ist heute unter Dämmplatten und hellen Fassaden verschwunden.

Sanierungsarbeiten Grellstraße 10. bis 12. April 2021

An einigen Stellen in der Stadt gibt es sie dennoch. Zwischen längst modernisierten Häuserblockreihen stechen sie trotzig hervor – Relikte aus einem anderen Jahrhundert. So auch in der Grellstraße. Der alte Wohnblock der Reichseisenbahner, zu dem die Nummern 10, 11 und 12 gehören, wird seit drei Jahren auf seine Modernisierung vorbereitet. Hier sind die letzten Kriegstage noch an der Fassade abzulesen.

Einschüsse aus den letzten Kriegstagen Ende April 1945, Grellstraße 12

Direkt hinter den Blöcken Grellstraße 10, 11 und 12 befindet sich der S-Bahnring. Die Ringbahn bildete den inneren und letzten von drei Verteidigungsringen im Sturm auf Berlin. Innerhalb der Ringe gibt es acht alphabetische Sektoren, der Großbezirk Pankow in seiner heutigen Form war Sektor H. Am 9. März 1945 erließ das Oberkommando der Wehrmacht den „Grundsätzlichen Befehl zur Verteidigung der Reichshauptstadt“. In der Stadt befanden sich noch zwei Drittel der Berliner, Zwangsarbeiter und Flüchtlinge.

Luftschutzraumschleuse Wohnblock Grellstraße 10 – 12, Januar 2018

Es war der 22. April, als die Rote Armee die nördliche Grenze von Prenzlauer Berg erreichte, sechs Tage später, am 28. April, beginnt der Häuserkampf in der Grellstraße. Ohne Strom saßen die Bewohner der Grellstraße in Ihren Luftschutzkellern. Wärend andere berichten, ihre Straßen wären so weit ab vom Schuss gewesen, dass man kaum sicher sagen konnte, wo genau die Kampflinie verläuft, traf es die Anwohner der Grellstraße härter. Ihre Schutzräume lagen direkt am letzten Verteidigungsring der Stadt. Es gab kein Entkommen, nur Ausharren und und Hoffen.

Kino Toni Weißensee, Sowjetsoldaten feuern Artillerie Richtung Alexanderplatz, April 1945

Während im Schutzraum der Grellstraße 9 die Bewohner nichts anderes als abwarten konnten, versuchten die Soldaten der Wehrmacht und der Landsturm den Häuserblock und seine Eingänge erbittert zu verteidigen. Ein Durchbruch über den S-Bahnring war mit allen Mitteln zu verhindern. Ein Entkommen war aussichtslos. Vor sich hatten die Verteidiger eine Übermacht an gut ausgerüsteteten Sowjets und im Rücken die SS im Hauptgefechtsstand der Schultheiss-Brauerei, heute als Kulturbrauerei in der Schönhauser Allee bekannt.

Soldatengräber in Pankow, Mai 1945

Am 2. Mai 1945 gegen 8 Uhr ist es endlich soweit. Über Funk und Lautsprecher wird die Kapitulation verkündet. Bis auf den S-Bhf Schönhauser Allee, an dem die Kämpfe bis zum Nachmittag dauern, werden die Gefechte eingestellt. Als erstes werden die Gefallenen notdürftig vergraben. Hierzu dienen sämtliche noch freien Erdflächen. Die Soldaten werden in Vorgärten, auf Höfen, Sportplätzen und Parkanlagen vergraben. In Pankow dienten beispielsweise der Brosepark und der Kissingensportplatz als Notbegräbnissstädten, wärend auf der großen Wiese im Bürgerpark Gemüse angebaut wurde, um die Hungersnot der Überlebenden zu lindern.

Abgezäunte Fundstelle auf dem Hof der Reichsbahnerwohnungen, Grellstraße 11

In den Folgemonaten und -jahren wurden die notdürftig Beerdigten auf reguläre Friedhöfe umgebettet. Der heute nicht mehr existierende Friedhof VI für innerstädtische Bombenopfer in der Schönholzer Heide ist so ein Beispiel. Hier lagen bis in die 1990er Jahre Pankower neben Zwangsarbeitern und umgebetteten deutschen Soldaten. Im Januar 2018 begannen Arbeiter mit Schachtarbeiten auf dem Hof der Grellstraße 11, seitlich an der Kellermauer der Nummer 12. Direkt unter dem Luftversorgungsrohr der Kelleranlage stießen sie in geringer Tiefe auf einen grausigen Fund. Gebeine, einen Helm und persönliche Habe eines vergessenen Soldaten kamen nach 73 Jahren wieder ans Tageslicht.

Geborgene Gebeine eines deutschen Soldaten bei Erdarbeiten in der Grellstraße 11, Januar 2018

In den unübersichtlichen Wirren der letzten Kriegstage konnten nicht alle Notgräber erfasst werden, Markierungen verschwanden und so blieben nicht wenige Soldaten für immer liegen. In dem ein oder anderen Vorgarten und unter Parkwiesen liegen Sie noch heute, vergessen von der Zeit. Verlorengegangene Soldatengräber tauchen heute im Stadtgebiet eher selten auf. Häufig hingegen werden sogenannte Landserdepots gefunden. Ich habe Mitte 2018 über „Das vergessene Landserdepot“ in der Mühlenstraße berichtet. Beim Abschieben der Grasnarbe zur Vorbereitung der Tiefbauarbeiten war ein ganzes Depot zum Vorschein gekommen. Panzerfaust samt Geschossen und die komplette Habe bis auf die Unterwäsche waren hier versteckt.

Beifund des gefallenen Soldaten Grellstraße 11, mittig vier halbe Erkennungsmarken, Januar 2018

Die meisten Depotfunde werden bei Bauarbeiten, von der Öffentlichkeit oft unbemerkt, auf Schulhöfen, Kirchengrundstücken, Friedhöfen und Parkanlagen gemacht. Der Inhalt sind für gewöhnlich Stahlhelme, Gewehre, Panzerfäuste, Granaten oder im Fall der Flucht Uniformen, Orden und Papiere. Halt alles was einen Flüchtenden als Soldaten veraten hätte. Der Beifund des Soldatengrabes in der Grellstraße 11 zeigt unter anderem einen Stahlhelm mit Kopfschuss in den Hinterkopf sowie vier halbe Erkennungsmarken. Der gefallene hatte also bereits die Erkennungsmarken von drei weiteren gefallenen Kameraden bei sich, als er selbst fiel und notdürftig verscharrt wurde.

Sanierung Wohnblock Grellstraße 10 bis 12. Die letzten Kriegsfassaden werden gedämnt und verputzt, April 2021

Der alte Reichsbahnerblock in der Grellstraße ist seit Anfang Mai 2021 komplett eingerüstet und die Narben des Krieges an den Fassaden sind zum großen Teil mit Dämmplatten überklebt. Die optischen Erinnerungen verschwinden, doch die vergessenen Gefallen liegen noch immer unentdeckt auf den Höfen rund um den S-Bahn-Ring.

Autor: Christian Bormann

red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Sven Henning, Bundesarchiv, Museum Pankow (Dörrier)

Das vergessene Zimmer im Rathaus Pankow

Im März 2001 gab es eine kleine Sensation im Rathaus Pankow. Ein vergessenes Zimmer unmittelbar rechts vom Foyer. Die Mitarbeiter staunten nicht schlecht als sie den riesigen Block in augenschein nahmen. Auf den alten Aufnahmen von 1950 und 1984 sind die Kellerfenster und drei weitere im hochparterre vermauert. Hinter ihnen befindet sich ein Bunker und eine mehrere Meter dicke Stahlbetondecke.

Vermauerter Keller und vergessenes Zimmer Sowjetische Kommandantur 1950

In den Jahren 1942 und 1943 wurde im Keller des Rathauses ein Luftschutzbunker angelegt. Der Raum über dem Bunker wurde bis unter die nächste Decke mit Stahlbeton aufgefüllt. Die Kellerfenster vom Bunker und die Fenster darüber wurden zu betoniert.

noch vermauerte Fassade Rathaus Pankow 1984

Der Bunker war nicht für die Zivilbevölkerung. Mit Gefängniszellen und Fernmeldeanschlüssen ausgestattet war er als Leitstelle vorgesehen. Im Kriegsjahr 1944 wurden die aufgelösten Polizeistationen zusammengeführt und gemeinsam mit der Wehrmacht und dem Landsturm in der Zentralen Verteidigungstelle Rathaus Pankow untergebracht.

Restauration 1985 – 1987 Bürgetehre wurde eingesetzt, Fenster im Bunker u. vom Zimmer wurden geöffnet

Die Betondecke erfüllte ihre Aufgabe. Trotz einiger Granattreffer die auch heute noch zu erkennen sind, blieb das Gebäude weitgehend in Takt. Nach dem Krieg zog die Sowjetische Kommandantur für 5 Jahre ins Rathaus. Der Bunker und die Zellen wurden von den Sowjets bis zum Kriegsverbrecherprozess am 23. Oktober 1947 genutzt. Danach wurde der mit Beton gefüllte Raum vergessen.

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geflickter Granattreffer von 1945 im Rathaus 2017

Den Bunker erreichte man aus 3 Richtungen, vom Hof, linksseitig über den Ratskeller oder rechts über den heute verschlossenen Eingang der Polizeistelle. Auf einigen alten Postkarten ist noch die Haltestelle direckt vor dem ehemaligen Fronteingang zur Polizeistelle zu sehen.

mit Granitblock geschlossener ehem. Eingang Polizei u. Zentrale Verteidigungstelle Rathaus Pankow 2017

Zur 750 Jahrfeier Berlins 1987 stand die große Rathausrestaurierung an. Das vergessene Zimmer wird 1984 zum ersten mal wiederentdeckt als im Rahmen der Fassadenrestaurierung die übermauerten Fenster im Keller und Parterre freigelegt und wieder geöffnet wurde.

heutige Fassade mit offenen Fenster im Keller u. Wartezimmer 2017

Bei der Rekonstruierung der Frontansicht blieb es. Das Zimmer wurde ein zweites Mal vergessen. Es sollte ganze 30 Jahre dauern bis das vergessene Zimmer von Rathausmitarbeitern im März 2001 wiederentdeckt wurde.

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Bürgermeister vor dem wiederentdeckten Zimmer 2001

Der Raum war bis auf 1 Meter unter die nächste Decke mit einem kompakten Stahlbetonblock aufgefüllt. Auf dem Block lag der Staub von 70 Jahren Geschichte. Inzwischen hatte das Rathaus den 2.Weltkrieg erlebt, die Mauer fallen sehen und die ein oder andere Restauration erfahren.

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Vergessenes Zimmer – Bunkerdecke 2001

Der damalige Bürgermeister lud zum Pressetermin im Rathaus. Die Konstruktion war so gewaltig das es aller Hand Technik benötigte um den Riesen zu bezwingen. Um die Kosten für den Bezirk so gering wie möglich zu halten, wurde aus dem Abriss kurzerhand eine Übung für des Technischen Hilfswerk.

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Arbeiter beim abtragen des Stahlbeton 2001

Die Reste der Leitstelle im Keller werden seit 2016 umgebaut. Hier entsteht der Triebwerksraum für den neuen Fahrstuhl. Das einst vergessene Zimmer um Rathaus Pankow erfreut sich heute ganz enormer Aufmerksamkeit.

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Teil der Anlage des Kommandobunker der Zentralen Verteidigungsstelle im Rathaus Pankow 2017

Ganze 70 Jahre im Dornröschenschlaf ist es heute das mit Abstand am heufigsten besuchte Zimmer. Es ist der Warteraum des Bürgeramt. Im Boden befindet sich noch eine gut sichtbare Dehnungsfuge im Belag, hier lässt sich die einstige Blockkante erkennen.

Vergessenes Zimmer mit Rest der Bunkerdecke im Rathaus, heute Wartezimmer Bürgeramt mit Spielecke

An stelle des Betonblock sitzen heute die Pankower im Wartebereich des Bürgeramt. Der Block wurde 2001 nicht in Gänze abgetragen und ist heute noch zu sehen.

Rest der Bunkerdecke vom Boden bis zum Fenstersims – Spielecke 2017

Im Wartebereich befindet sich eine Spielecke. Wer genau hinschaut erkennt die Stufen und das ebenerdige Fenster. Es ist der letzte historische Rest der Bunkerdecke.

Autor: Christian Bormann, 03.12.2017

red.Bearbeitung:

Bilder: Christian Bormann, Ivonne Hempler, Bezirksamt Pankow Bundesarchiv,

Der Brennerberg

Anlass für diese kleine Geschichte war ein Foto von einem alten Schild im Tiroler Viertel. Das gute Stück hat versteckt in einem Gebüsch der Zeit getrotzt. Es steht hier seit Ende des 2. Weltkrieges und wurde einfach vergessen.

Schild aus den Nachkriegsjahren
Vermutlich warnte es vor dem Betreten der Trümmer und Munitionsgefahr. Die Anwohner vom Andreas-Hofer-Platz in Pankow – einfach Brenner genannt – wissen, dass es sich um einen Trümmerberg handelt.

Bombentreffer Dolomitenstraße 24.12.1943
Benannt ist der Brennerberg nach dem am 22.11.1767 im Östereichischen Tirol geborenen Andreas Hofer. Hofer war Gastwirt, Pferde- und Weinhändler. Historisch gesehen war Hofer Anführer der Tiroler Aufstandsbewegung von 1809.

Andreas Hofer, Kreidezeichnung Placidus Altmutter
Er gilt als Freiheitskämpfer gegen die französische und bayerische Besetzung. Andreas Hofer starb als Volksheld am 20.02.1810. Der Namensbezug ergibt sich aus dem im Jahre 1905 durch die Deutsche Bodengesellschaft m.b.H. angelegten Straßennetz des Tiroler Viertels.

Straßenschild am Platz
Innerhalb dieses Areals haben die Straßen alle einen Bezug zu Tirol. Daher und weil er in der gleichnamigen Straße liegt, wird er auch in der Pankower Sprache einfach Brenner genannt. Ich erinnere mich gut an die Sportstunden, in denen es bei Lehrer Schwierz hieß: „ab zum Ausdauerlauf auf den Brenner“! Das war übel.

Luftaufnahme Brenner 2017
In meiner Jugend hieß es dann, im Sommer feiern auf dem Brenner und im Winter rodeln. Der Park ist etwa 150 mal 180 Meter groß.

Fußball und Basketballplatz 2017
Auf dem Trümmerberg ist ein Spielplatz und an den Außenkanten gibt es mehrere Sitzgelegenheiten mit Tischen als gemauerte Steinpartie.

Steinpartie Sitzgruppen mit Tisch
Östlich befindet sich ein Treppenaufgang. Der erhöhte Platz ist durch ansteigende Gehwege aus allen Richtungen zu betreten. Am Fuße liegt ein Basketballplatz.

Nordaufgang
An der Nordseite befindet sich die 2005 renovierte Klecks Schule. Südlich liegt die ursprünglich von Bewohnern des Prenzlauer Berg gegründete Kleingartenanlage Bornholm 2.

Spielplatz
Der Andreas-Hofer-Platz erfreut sich heute größter Beliebtheit bei Familien, Anwohnern und wie eh und je Jugendlichen. Abgesehen von der ursprünglichen DDR-Gestaltung, deren Reste verfallen sind, befinden sich Basketball- und Spielplatz in einem bemerkenswert guten Zustand.

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Osttreppe 2017
Der Platz ist groß genug für Familien und Individualisten. Es weisst nichts mehr darauf hin, dass der Platz aus den Trümmern der 1944 im Tiroler Viertel zerbombten Wohnhäuser besteht.

Das Video zeigt den Andreas Hofer Platz und die Klecks Schule im April 2017.
Autor: Christian Bormann, 12.04.2017

red Bearbeitung: Martina Krüger, 12.04.2017

Bilder: Christian Bormann

Luftbilder: Guido Kunze