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Der Glockenraub von Heinersdorf

„Heiliger Bimbam! Diebe klauen 500-Kilo-Glocke“, so titelte der Berliner Kurier am 17. und 18. Juli 2023. Hinter der Schlagzeile, die nach einem Schmunzler klingt, verbirgt sich eine kleine Katastrophe. Nur wenige wussten von der über 500 Jahre alten Glocke, die im Innenhof der Pfarrei in Heinersdorf stand.

Die Bronzeglocke von 1513, mit einem Durchmesser von 93 cm und einer Höhe von 110 cm, wurde in der Endschlacht um Berlin bei den Kämpfen zwischen Wehrmacht und Sowjets in Heinersdorf 1945 beschädigt. Seit dem Ende der 1970er Jahre stand sie auf einem Klinkersockel. Hier stand sie auch noch während der Bauarbeiten, die seit etwa 2 Jahren an den umliegenden Gebäuden stattfinden.

Am Donnerstag, dem 13.07.2023 soll die Glocke noch an ihrem Platz gestanden haben. Am 15.07.2023 bemerkt Pfarrerin Anne-Kathrin Finke auf dem Weg zum Sonntagsgottesdienst, dass die Glocke nicht mehr an ihrem Platz steht und informiert die Polizei. Das Gelände ist eine Baustelle und und so wundert es nicht, dass der genaue Zeitpunkt des Diebstahls gar nicht benannt werden kann.

Als sicher gilt, dass der Gemeindesaal am Donnerstag noch ausgeräumt wurde und die Glocke auf Ihrem Platz stand. Zeugen wollen noch am Donnerstag Abend gegen 18 und gegen 21 Uhr mehrere unbekannte Personen und einen weißen Transporter gesehen haben. Es könnte sich um einen einfachen Buntmetalldiebstahl handeln, ähnlich wie 2014, als Kupferdiebe die neue Dacheindeckung der barocken Schlosskirche von Berlin-Buch stahlen oder der Bronzeraub vom Sowjetischen Ehrenmal Schönholz.

Der aktuelle Wert für 500 kg Bronze liegt gerade mal zwischen 2350 und 5855 Euro. Ganz anders sieht es hier bei dem Verkehrswert solch eines antiken Kunstschatzes aus. Eine Berliner Bronzeglocke von 1513 mit Spuren des Endkampfes des 2. Weltkriegs würde ich mit einem Verkehrswert nicht unter 25.000 Euro ansetzen. Das Sammlerfeld reicht hier von sakraler Kunst über Bronzekunst bis hin zu Militariasammlern.

Ich habe die Pfarrkirche in Heinersdorf früher oft besucht. Es ist ein völlig aus der Zeit gefallener Ort und die heute so schmerzlich beklagte Bronzeglocke war nur eine von vielen Besonderheiten, die Heinersdorf und besonders das alte Kirchengrundstück zu bieten hatten. Ganz bewusst habe ich darauf verzichtet, den Ort der Öffentlichkeit zu zeigen, um ihn so lange wie möglich zu erhalten. Auch heute soll es nur um die gesuchte Glocke gehen.

In Absprache mit Pfarrerin Finke war ich diese Woche drei Mal vor Ort. Ich wollte mir selbst ein Bild machen. Am Tatort sind an dem Klinkersockel Schleifspuren zu sehen. Der Abdruck der Glocke im Sockel verrät, dass die Glocke gehoben und nicht seitlich weggezogen wurde. Die Abriebkante am Klinkersockel sieht aus, als wären sie von einer Raupe, wie sie auf Baustellen verwendet wird, verursacht worden. Es scheint sich sogar noch Gummiabrieb an den Bruchstücken zu befinden.

Für den Artikel habe ich die letzten Aufnahmen des historischen Pankower Kunstschatzes recherchiert. Es sind Luftaufnahmen, sie zeigen den Innenhof der Pfarrerei kurz vor Abschluss der Dacharbeiten als Baustelle. Die Glocke steht noch zwischen Dachziegelpaketen und Raupenlift. Die Aufnahmen sind auf der Internetseite der ausführenden Dachdeckerfirma zu finden.

Heute ist der Hof fast besenrein. Die Ziegel liegen auf dem Dach, die Baustelle ist bis auf einen kleinen Sperrmüllhaufen beräumt. Von der Glocke, die ein halbes Jahrtausend hier ausharrte und die wohl zu den am unterschätztesten kulturhistorischen Artefakten in Pankow zählte, fehlt jede Spur.

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Bildquellen: Christian Bormann, Guido Kunze, Berliner Kurier, Gemeinde Heinersdorf, Universum Dachbau GmbH

Zeugenaufruf des Landeskriminalamts:

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