Schlagwort-Archive: bodenfund

Die vergessenen Tresorfächer im alten Güterbahnhof Schönholz.

Heute möchte ich den alten Güterbahnhof Schönholz vorstellen. Das Planungsverfahren für den neuen ICE-Parkplatz soll bis 2025 abgeschlossen sein. Anlass genug, das interessante Waldstück entlang der Straße am Bürgerpark noch einmal zu dokumentieren und der Öffentlichkeit vorzustellen. Das Areal beziehungsweise ein kleines Anschlussgrundstück an der Einfahrt zum Bahnhof machte bereits im Februar 2018 weltweit Schlagzeilen. Hier stehen die Reste der denkmalgeschützten Berliner „Ur-Mauer“.

Nordöstlich vom eigentlichen Bahnhof Schönholz liegt der Güterbahnhof Schönholz. Wir beginnen mit der Eröffnung am 10. Juli 1877 als Bahnhof Reinickendorf. Der Bahnhof liegt noch ebenerdig zum Umland und hat nur einen Außenbahnsteig. 1878 erfolgt die erste Umbenennung in Schönholz (Reinickendorf).

Ab 1. Mai 1911 trägt der Bahnhof den Doppelnamen Schönholz-Reinickendorf. Schon 1893 wird der Außenbahnsteig zum Mittelbahnsteig und die Kremmener Bahn wird angeschlossen. Jetzt ist Schönholz-Reinickendorf ein Umsteigebahnhof und bekommt 1896 ein Empfangsgebäude.

Nur fünf Jahre später wird das Empfangsgebäude schon wieder abgerissen. Die komplette Strecke wird von 1901 bis 1903 auf den heutigen Bahndamm gebaut und der Bahnhof so wie wir Ihn heute kennen errichtet. Zwei Ferngleispaare wurden gelegt, die Gleise der Kremmener Bahn umgesetzt und vom Bahnhof Schönholz-Reinickendorf getrennt. Am 5. Juli 1925 fuhren die ersten elektrischen Bahnen auf der Trasse. Dadurch wurde Schönholz-Reinickendorf zum S-Bahnhof.

Der Mischbetrieb von S-Bahn und Dampflok wird 1927 zugunsten der S-Bahn eingestellt, das Aus für den Dampflokomotivenbetrieb am Personenbahnhof Schönholz. Das endgültige Aus für den Lokomotivbetrieb in Schönholz war aber erst in den 1960er Jahren. Aber selbst hiervon sind für den kundigen Beobachter noch Spuren zu finden. Der separate Versorgungsbahnsteig für die Dampflok nebst Unterstand ist noch erhalten.

Im Jahr 1938 bekommt der Bahnhof seinen heutigen Namen Berlin-Schönholz. In den 1940er Jahren herrscht Hochbetrieb auf dem Güterbahnhof. Kriegsgüter und Zwangsarbeiter beherschen das Geschehen. Das Lunalager im ehemaligen Vergnügungspark Schönholzer Heide, in dem Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa untergebracht waren ist nur wenige hundert Meter enfernt in Sichtweite.

Durch die verherenden Luftangriffe auf Berlin ruht der Bahnverkehr erstmals 1945. Der Bahnhof ging jetzt an die Siegermächte. Und diente vor allem den Sowjets als Verladebahnhof für Materielle Kriegsreparationen. Das hieß, die Sowjets demontierten die Maschinenparks im Norden von Pankow und Reinickendorf, in denen zuvor die Zwangsarbeiterinnen Kriegsgüter fertigten.

Luftaufnahme Güterbahnhof Schönholz 1928

In der Schönholzer Heide wurden die Beschlagnahmungen zwischengelagert und dann über den Güterbahnhof Schönholz in die damalige Sowjetunion verbracht. Als Unterkunft nutzten die Sowjets noch einige Zeit die Reste des Zwangsarbeiterlagers.

In den 1950er Jahren wird es ruhig um den Bahnhof. Seine besten Zeiten waren wohl 1900 bis in die 1930er Jahre, denn es war der Bahnhof über den die Berliner und Ihre Gäste zu den Vergnüglichkeiten in die Schönholzer Heide kamen. In der Villa vor Schönholz aber auch im Schützenhaus , im Schloss Schönholz und später in den 1930er Jahren in Berlins größten Vergnügungspark „Traumland Schönholz“ lies es sich gut feiern. Wer kennt nicht den Gassenhauer „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“.

Am 13. August 1961 war schlagartig Schluss mit der Ruhe. Bewaffnete Organe der Nationalen Volksarme und Unterstützerkräfte errichteten eilig eine Personen- und Fahrzeugsperranlage mit Kontrollpunkten auf der Grenze zwischen Reinickendorf und Pankow. Die Stunde der Berliner Mauer hatte geschlagen. Damals noch eine Behelfsanlage aus allem was da war. Später wurde die ursprüngliche und uneinheitlich gebaute Berliner Mauer durch die heute noch bekannten weißen „L-Teile“ aus Beton ersetzt.

Hierbei gab es an der Einfahrt zum Güterbahnhof eine Besonderheit. Die erste Berliner Mauer wurde noch genau auf der damaligen Bezirksgrenze errichtet. Die DDR-Regierung ersetzte die Behelfsgrenzanlage mit den Weißen „L-Teilen“ aus Beton. Die Mauer sollte nicht nur ihres schäbigen Aussehens wegen ersetzt werden sondern auch, um Republikflüchtlinge vor dem weiß angestrichenen Betonhintergrund besser erkennen zu können.

In der Schützenstraße, an der Einfahrt zum Güterbahnhof, kam es zu einer Abweichung. Die Bezirksgrenze bildete hier eine so spitze Flucht, dass man sich dazu entschied, die weißen „L-Teile“ auf der Einfahrt zum Güterbahnhof vorzuziehen. Das machte den Grenzverlauf sicherer, da der Abschnitt jetzt mit weniger Personal und Technik noch besser überwacht werden konnte.

Während die ursprüngliche erste Berliner Grenzmauer verschwand und ersetzt wurde, blieb sie in Schönholz mitsamt ihrer technischen Erstaufbauten, wie Menschenfang und Meldedraht bis heute stehen. Für den Abriss Ressourcen einzusetzen, die im Aufbau Ost knapp waren, bestand kein Anlass, denn die schäbige „Ur-Mauer“ war ja hinter der neu errichteten Grenzanlage nicht zu sehen.

Luftaufnahme Berliner Mauer, „Ur-Mauer“ Schönholz, Januar 2018

Auch beim Abriss der Berliner Mauer, den ich als direkter Anwohner in meiner Kindheit miterleben durfte, gab es niemanden, der die alte Grenzanlage erkannte. Warum auch? Die DDR hatte das kleine Dreieck Pankow in den 80er Jahren an die BRD verkauft. Es lag eh seit Jahren ungenutzt hinter der Mauer. Die DDR brauchte Devisen und die BRD kaufte aus Prinzip jeden Quadratmeter DDR.

Zum Zeitpunkt des Mauerabrisses gab es also keinen Grund, auf Westberliner Territorium eine zweite Berliner Mauer, also eine „Ur-Mauer“ zu suchen. Um so größer war die weltweite Überraschung und das darauf schnellste Denkmalschutzverfahren, das mir in Deutschland bekannt ist. Heute ist die Berliner „Ur-Mauer“ akut bedroht und wartet darauf, aus Ihrem Dornröschenschlaf geweckt zu werden.

Als Güterbahnhof Schönholz kennen viele heute den Güterschuppen oben auf dem Bahndamm. Tatsächlich ist dieser aber nur ein kleiner Teil der Gesamtanlage. Ebenerdig entlang der Straße am Bürgerpark und der Schützenstraße verläuft ein fast rechteckiges Waldstück. Im Vorbeifahren kann man noch schemenhaft von Bäumen überwachsene Gleise und Prellböcke durch die dichte Vegetation erkennen.

Mit dem Mauerbau blieb auch hier die Zeit stehen. Die Nordgleisanlage verlief in 2 Meter Abstand zur Berliner Mauer. Heute noch gut durch den nachgepflasterten Mauerverlauf zu erkennen. Für den unteren Güterbahnhof war es das Aus, wie die inzwischen gut 50 bis 60 Jahre alten Bäume auf den Gleistrassen zeigen. Es sind gar keine Trassen mehr sichtbar, sondern Waldboden, in dem die Gleisanlage noch erhalten ist.

Zur Gleisanlage gehören heute noch drei Gebäude, wobei vom Hauptbau nur noch ein geklinkerter roter Pfeiler und die Reste der Fundamentstreifen übrig sind, einige Aussenwände und Pfeiler liegen noch so, wie sie vor Jahrzehnten umgefallen sind. Ende der 1990er Jahre war hier noch mehr zu sehen. Der Panzerschrank im kleinen Wiege- und Zahlhaus stand damals noch. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Tür schon fehlte. Er ist von einfacher Bauart und die Wände mit Beton ausgegossen. Wohl auch der Grund, dass er nach Jahrzehnten unter freiem Himmel immer noch liegt, wo er 1877 abgestellt wurde. Neben der Kutschwagenwaage ragte damals ein etwa vier Zentimeter langes Rohrstück aus dem Boden.

Vorsichtig zog ich daran, doch es bewegte sich kein Stück. Ich wollte das Grundstück damals nur in Augenschein nehmen, also hatte ich nicht mehr als meine Hände. Die Neugier war geweckt und so fing ich an, das Rohrstück von Erde freizukratzen. Schnell entpuppte sich das kleine runde Rohrstück als Teil einer Kurbel und es sollte noch mehr dran hängen. Nach einer halben Stunde hatte ich keine Fingernägel mehr, aber einen gut 50 Kilo schweren Wagenheber um 1900 in der Hand. Ein schönes historisches Fundstück. Liegen lassen kam nicht in Frage, also kam der Wagenheber ins Magazin wo er bis heute darauf gewartet hat, dass seine Geschichte erzählt wird.

Einige Meter die Gleise entlang Richtung Kinderbauerhof verbirgt sich noch ein spektakuläres Geheimnis. Hier liegt der Eingang beziehungsweise von Osten kommend der Ausgang des ersten Berliner Fluchtunnels. Eine Liebesgeschichte wie aus dem Buch. Waltraut Niebank und ihr gerade geehlichter Mann werden durch den Mauerbau getrennt. Er gräbt sich vom Güterbahnhof unter der Straße durch und legt einen Fluchtunnel für seine geliebte Frau an. Am 18 Dezember 1961 flüchtet Frau Niebank vom gegenüberliegenden Friedhof am Bürgerpark. Der Tunnel bleibt tagelang unbemerkt. Dutzende, so erzählen es Zeitzeugen, sollen den Tunnel noch Stunden später benutzt haben. Die Grenztruppen bekamen Wind vom Fluchttunnel und stellten den nächsten vermeintlichen Republikflüchtlingen eine Falle die dann auch zuschnappte.

Den Bahndamm hinauf steht noch ein kleines Schmuckhäuschen. Die Unterkunft für Stellwerkschlosser. Da der Damm erst 1901 gebaut wurde, um den neuen Bahnhof darauf zu setzen, müsste auch die Unterkunft für Stellwerkschlosser auf 1901 bis 1903 zurück gehen. Trotz mehrerer Brandstiftungen ist das Haus in einem bemerkenswerten Zustand und schnell wieder herzurichten.

Das edle kleine Häuschen liegt mit dem Rücken zum Hang und der alten Anlage. Die Front hingegen verläuft parallel zum breiten Pflasterweg der von der Einfahrt Schützenstraße lang ansteigend den Damm bis zum Güterlockschuppen hinaufgeht. Die Ruine empfängt heute jeden, der vor dem Lokschuppen den alten Pflasterweg hinauf kommt.

Der altehrwürdige Güterschuppen ist für viele das Einzige was sie als Güterbahnhof Schönholz kennen. Das Gesicht des Güterbahnhofs ist er ohne Frage, aber eben nur ein kleiner Teil der noch erhaltenen Anlage. Die Feuerwehr kann ein Lied davon singen, zahlreiche Kleinfeuer löschten sie die letzten zehn Jahre. Heute ist das Gebäude versiegelt. Fast zu spät, aber auch im Güterschuppen haben sich Originale Ihrer Zeit erhalten und die Wiederherstellung der denkmalgeschützen Halle wäre schnell und günstig zu bewerkstelligen.

Doppelseitige Stahlschiebetüren mit Wellblech abgeblendet sind wohl noch original aus der Zeit. Was die Fenster anbelangt, so gibt es hier nicht eine einzige heile Scheibe. Es gibt gar kein Glas mehr. Auf dem inzwischen fast als historisch zu bezeichnendem Bild von 1998 hingegen sind die Fenstergläser fast alle intakt. Im Inneren haben Obdachlose lange genächtigt, das zeigen die verbliebenen Spuren, aber auch Kabeldiebe konnten hier scheinbar in Ruhe arbeiten.

Abgesehen vom vielen Müll, der in das Gebäude eingetragen wurde ist das Innere immer noch sehenswert. Es ist nahezu im Originalzustand was die Großeinbauten jener Zeit anbelangt. Da wäre zum Ersten der verschließbare Gütergepäckkäfig als Holzaufbau, scheinbar haben einige Halbstarke desöfteren dagegen getreten, um ihn zu Fall zu bringen, so dass er heute etwas schräg da steht. Ihm gegenüber steht der nächste Holzaufbau, hier standen vermutlich Schiebewagen oder Stapelsäcke.

Bei meiner Begehung des Güterschuppens 2014 war ich mit Nadine Kreimeier unterwegs, damals fanden wir einen originalen Umladeschein von 1890 mit der Aufschrift: „Von Schönholz-Reinickendorf nach Rummelsburg. Auch die Begehung im Mai 2023 brachte eine Überraschung zutage. Im Zahlschalterraum stieß ich auf zwei verschlossene Tresortüren. Kaum zu glauben, dass noch niemand sie aufgebrochen hat. ich habe mich auch gefragt, warum ich sie nicht schon viel früher gesehen habe.

Ich wollte es erst nicht richtig glauben und vermutete, dass es sich um Revisionsklappen oder eine ähnliche technische Einrichtung handelt. Aber nein. Es waren Panzertüren mit Tresorschloss. Zu gern wüsste ich, wie es im Inneren aussieht. Ich vermute aber, dass beide Fächer leer sind und die Schlüssel einfach bei der Übergabe des S-Bahnhofs verloren gingen.

Am 9. Januar 1984 übernahm die BVG den Personenverkehr am Bahnhof Schönholz von der Reichsbahn und stellte den Betrieb ein. Wenig später, am 1. Oktober 1984 ging er als S-Bhf Schönholz unter Leitung der BVG wieder ans Netz. Wobei der Güterbahnhof weiterhin der Reichsbahn unterstand. Die Tresorfächer waren spannend, aber aus historischer Sicht zu vernachlässigen. Im Denkmalkontext spannender ist der hintere Teil der Güterhalle.

Hier haben sich bis heute die zwei Güterwaagen erhalten. Mannsgroß sind ihre Anzeigespiegel. Die Waagen sind so massiv, dass sie bis heute allen Zerstörungsversuchen getrotzt haben.

Der Gesamteindruck der Halle ist auf den ersten Blick erschreckend. Das Dach ist marode und auf einer Fläche von knapp 20 Quadratmetern eingstürzt. Auf den zweiten Blick jedoch wird klar, dass die Schäden schnell zu beheben sind und es sich viel mehr um eine Vermüllung und kleinere Brandschäden handelt.

Es bleibt abzuwarten, was der geplante ICE-Parkplatz an Chancen oder Gefahren für den alten Güterbahnhof und die Reste der ersten Berliner Mauer bedeutet. Pankow hat hier ein einzigartiges Areal Berliner, deutscher und europäischer Geschichte auf engstem Raum.

Berliner Geschichte wird hier ab 1770 zu deutscher Geschichte und mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu Europäischer. Krieg, Frieden, Vergnügen, Tod, Trauer, Teilung und Wiedervereinigung sind hier als bauliche Zeitzeugen in Schönholz erhalten geblieben, wie nirgends anders in Berlin.

Den Bahndamm über den Pflasterweg wieder hinunter zum Tor kommen wir noch einmal linksseitig an der Personalunterkunft vorbei. Wer den Damm vom Pflasterweg hinabschaut, wird ein riesiges Betonbecken mit Wasser erkennen. Es gehört zur Pumpstation und ist nur eines von mehreren.

Die Pumpstation gibt es nicht mehr, einige Teilstücke der Berliner „Urmauer“ parallel zum Bahndamm sind Aussenwände dieser, wenn ich die Luftaufnahmen richtig deute. Zwischen Buddestraße und Bahndamm liegen noch die Reste der Wasserbecken.

Von einem Besuch des Güterbahnhof Schönholz auf eigene Faust ist abzuraten. Die Firma Siemens und andere arbeiten inzwischen täglich vor Ort, darüber hinaus steht hier relevante Infrastrukturtechnik, die gut überwacht ist. Wer hier spazieren geht, bekommt umgehend behördliche Begleitung.

Inzwischen ist der kleine Wald nicht nur historisch interessant, auch allerlei Tierarten haben sich das Biotop erobert. Kleiner Wermutstropfen, es ist davon auszugehen das das Erdreich immer noch kontaminiert ist.

Autor: Christian Bormann

red. Berbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann

Luftaufnahmen: Guido Kunze, Christian Bormann

Die Bodenfunde vom Holländerhaus

Zu den zweifellos interessantesten Grundstücken in Niederschönhausen gehört für mich das Holländerhaus mit seiner bewegten und recht gut dokumentierten Historie. Seit Jahren vermute ich, dass sich im Boden des Grundstücks, das von der Dietzgenstraße bis zum Kreuzgraben in der Platanenstraße reicht, viele Zeitzeugnisse befinden, die sich auch den Personen zuordnen lassen, die hier lebten.

Holländerhaus um 1910

Hinter dem Holländerhaus erstreckt sich das Grundstück bis zum Kreuzgraben. Etwa zwei Drittel waren jahrzehntelang lang mit Eichen zugewachsen, Efeu war bis in die Baumkronen geklettert. Der Ort wirkte wie aus der Zeit gefallen. Das war er auch, bis vor zwei Jahren die Bagger anrückten und das Naturidyll kahl schlugen. Nur wenige Bäume sind ab der Grundstückshälfte stehen geblieben. Ein trauriger Anblick, aber auch die Möglichkeit, meine Vermutung zu überprüfen.

Luftaufnahme Holländerhaus Dietzgenstraße, Juni 2022

Die Bankiersfamilie Fetschow kaufte 1802 das Grundstück von Bauer Kraft. Damals nur die ersten 60 Qadratruten. Die Erweiterung geschah durch wiederholten Zukauf von Flächen bis zum Kreuzgraben. Die Fetschows hatten ihr Bankhaus in der Berliner Klosterstraße 87. Nach dem Tod ihres Mannes ließ die Witwe Henriette Sophie Fetschow das Sommerhaus abtragen und 1816 durch ein einstöckiges Haus aus roten Backsteinen im holländischen Stil ersetzen. Aus dieser Zeit stammt auch der Name Holländerhaus. Madame Fetschow, wie sie liebevoll genannt wurde, war mit Prinzessin Marianne befreundet. Sie setzte sich für bessere Ausrüstung der Soldaten in den Befreiungskriegen und die Linderung der Nöte der armen Dorfbevölkerung ein. Am 16. Januar 1818 erhielt sie dafür den Luisen-Orden.

Gesamtansicht des Grundstücks Holländerhaus, Juni 2022

Im Familiensaal des Hauses empfing sie Mitglieder der Königlichen Familie, Feldherren der Befreiungskriege aber auch die Künstler und Gelehrten Ihrer Zeit. Zu nennen sind hier ganz prominent Karl Friedrich Schinkel und Peter Christian Friedrich Wilhelm Beuth. Madame Fetschow ließ das Haus 1847, nur drei Jahre vor Ihrem Tod 1850, noch einmal überbauen.

Grundstück hinter dem Max-Delbrück-Gymnasium und dem Holländerhaus zur Platanenstraße bis zum Kreuzgraben (rechts),
Juni 2022

Ihre Erben verkauften Haus und Hof 1850 an den vermögenden Berliner Fabrikanten, Kunstschlosser und Hobbyschmied Carl Friedrich August Hauschild. Sein Unternehmen soll seinerzeit das wichtigste in der Berliner Luisenstadt gewesen sein. Hauschild ließ das bis dahin immer noch einstöckige Holländerhaus 1852 aufstocken. Im Inneren ließ er einen Rittersaal einbauen, in dem der Hobbyschmied seine gesammelten Prunkstücke ausstellte. Rüstungen, Turnierhelme, Lanzen und vieles mehr. Die Fassade wurde um einen Holzbalkon mit neogotischen Formen erweitert. So wurde das Holländerhaus bei den Dorfbewohnern zum Patrizierhaus. Die Bezeichnung Holländerhaus trägt es bis heute. In der roten Backsteinremise auf dem Hof, die in Schinkelscher Formensprache gebaut wurde, unterhielt Hauschild seine private Kunstschmiede.

Bodenfund: Hufeisen und Verbindungsstück für Doppelgespann von 1500 bis 1900

Carl Friedrich August Hauschild starb 1868. Er hinterließ eine Witwe und 8 Töchter. Die Erben verkauften das Grundstück an Frau Bertha Damköhler für 17.500 Taler. Ab 1885 soll ihr Schwiegersohn Dr. phil. Hugo Bratsch das Haus bewohnt haben. In den letzten Kriegstagen 1945 lag das Grundstück im Kampfgebiet. Beim Ausbruchsversuch Deutscher Einheiten über die Dietzgenstraße war das heutige Schulgebäude auf dem Nachbargrundstück stark umkämpft. Deutsche Soldaten hatten sich verschanzt und wurden von Sowjetischen Einheiten gefangen genommen. Ab 1984 war die „ZIM“, Kürzel für Kombinat Zentraler Industrieanlagenbau, Besitzer des altehrwürdigen Hauses. Auf Verlangen der Denkmalschutzbehörde der DDR musste das Kombinat die Restaurierung des Holländerhauses vornehmen.

Bodenfund: Rest eines ovalen gusseisernen Schildes mit historischer Schlachtdarstellung, etwa 1860 vermutlich von Hauschild

Im Mai 2022 rückten die Bagger erneut an. Jetzt ging es daran, die erste Schicht Oberboden abzuschieben. An den traurigen Anblick hatte ich mich die letzten Monate schon gewöhnt. Jetzt überwog die Neugier, was der Boden nach über 200 Jahren an Geschichten zu erzählen hatte und wieder preisgab. Neben einer vermutlich in den 1950er Jahren angelegten Grube, in der sich Hausrat überwiegend aus Metall befand, beherbergte der Boden auch allerhand rote Ziegel aus verschiedenen Epochen. Sie lassen sich auf die zahlreichen Umbauten des Hauses zurückführen.

Bodenfund: Kunstschmiedearbeit Lampenschirm mit eingefassten bunten Steinen, etwa 1860, vermutlich von Hauschild

Und wie ich vermutet hatte, kamen Tag für Tag neue historische Einzelfunde zum Vorschein. Es dauerte mehrere Tage, bis die Bagger die gesamte Fläche abgeschoben hatten. Die hier gezeigten Funde sind ein Ausschnitt der in mehreren Tagen geborgenen Fundstücke. Bei dem vermeintlich ältesten handelt es sich um Pferdefuhrwerkzubehör, ein Verbindungsstück für ein Doppelgespann, das so in seiner Form handgeschmiedet von 1500 bis 1900 Verwendung fand. Es könnte tatsächlich noch auf die Feldbewirtschaftung von Bauer Kraft zurück gehen.

Bodenfund: Rest eines Deckenleuchters, 1850 bis 1900

Auch Reste eines alten Deckenleuchters, wie er 1850 bis 1900 üblich war, fanden sich, ebenso wie eine Maiolika mit Putten, vermutlich war sie das Zwischenstück einer Etagere oder eines Tafelaufsatzes. Nachdem das Grundstück weitgehend beräumt und sicher genug war, habe ich meinen dreijährigen Junior mitgenommen. Eigentlich sollte gar nichts mehr zu finden sein. Er hat keine Minute gebraucht bis er seinen ersten Fund machte. Ein vollständig erhaltenes Vorratsgefäß, das hier schon über 100 Jahre im Boden auf seine Entdeckung wartete.

Mein Junior und sein erster großer Fund: Gefäß 1850 bis 1900

Am interessantesten waren aber zwei Bodenfunde, die ich allzu gern Carl Friedrich von Hauschild zuschreiben möchte. Da wäre zum einen der handgeschmiedete Lampenschirm. Die bunten, übergroßen Steine sind an der Unterseite des Schirmes einzeln und individuell gefasst, der gesamte Schirm wurde um die Steine herum aufgebaut. Er ist verbogen und einige Steine fehlen aber seine einstige Einzigartigkeit ist noch zu erahnen.

Bodenfund: Voratsgefäß um 1850 bis 1900

Am beeindruckendsten ist für mich aber das große Schild. Umrahmt von einem Kordelbandmuster zeigt es eine historisierte Schlachtszene. Reiter zu Pferden mit etruskisch anmutenden Helmen und Gewändern. Auf der Abbildung metzelt ein Reiter zu Pferd einen anderen Reiter mit Schwert und Schild nieder, der mit seinem Pferd bereits unter dem Pferd des Angreifers liegt. Umrahmt ist der Ausschnitt von Engeln und weiteren Ornamenten, wie einem Füllhorn.

Bodenfund: Maiolikaeinsatz um 1850 bis 1940

Das Zusammenführen verschiedener historischer Stile war im Historismus durchaus üblich. Wie auch bei dem geborgenen Lampenschirm gehe ich davon aus, dass auch das eiserne Schild aus der Schmiede von Hauschild stammt, die er in seiner Remise auf dem Hof betrieb. Auf der Rückseite befinden sich Reste von rotem Backstein und Fugenmörtel. Wahrscheinlich war das Schild fest an einer Ziegelwand montiert, bis es zu Schaden kam oder bei Abrissarbeiten entsorgt wurde.

Bodenfund: Munitionskiste, sowjetischer Helm (oben), zwei deutsche Helme (unten), Bajonett, um 1945

Zuletzt die als erstes zu Tage getretenen Zeugnisse des zweiten Weltkrieges. Die Munitionskiste, drei Helme und ein Bajonett zeugen noch vom Kampf auf der Dietzgenstraße und um das benachbarte Schulgebäude, in dem sich deutsche Soldaten verschanzt hatten. Diese Überreste sind leider überall auf Grundstücken um die Dietzgenstraße verteilt. Letztes Jahr haben wir im Beitrag über den Ausbruchversuch versprengter Deutscher Einheiten berichtet. Gegenüber dem Holländerhaus im Eingangsbereich zum Brosepark befanden sich 1945 die Notgräber der Toten, bevor sie umgebettet wurden.

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Fotos: Christian Bormann, Guido Kunze, historische Postkarte vom Holländerhaus

Die Maskenfibel von Niederschönhausen und der Goldene Brakteat von Rosenthal

Es war im Jahr 1890, als bei Planierarbeiten in der Nähe des Gutes Rosenthal (wobei Nähe als örtliche Beschreibung relativ ist) in der Niederung zwischen Rosenthal, Buchholz, Blankenfelde und Niederschönhausen drei Körpergräber aus der Latène-Zeit gefunden wurden. Der Begriff Latène beschreibt vereinfacht gesagt die Epoche der jüngeren vorrömischen Eisenzeit in Teilen Europas vom 5 Jh. v. Chr. bis Chr. Geburt. Skelett 2 und 3 lagen etwa 45 Meter auseinander. Die Knochenreste waren in einem schlechten Zustand und wurden achtlos beiseite geräumt. Das dritte Skelett wurde laut den Aufzeichnungen auf Anweisung des Amtsvorstehers von Schildow auseinandergerissen und wieder vergraben. Die Ausrichtung der drei in 1,20 Meter tief begraben Skelette wurde nicht erfasst.

Kleine Talsenke bei Blankenfelde u. Rosenthal, ebenfalls bekannt als wüste Dorfstelle zwischen Rosenthal und Blankenfelde, Foto Juli 2021

Skelett 1 und 2 waren ohne Beigaben, wobei auf Skelett 2 deutlich grüne Bronzespuren zu erkennen waren. Die Beigaben selbst waren nicht mehr erhalten, das Geschlecht aber aufgrund der Knochen auf weiblich festfelegt. Das Geschlecht von Skelett 3 konnte mit Hilfe der Grabbeigaben als weiblich bestimmt werden. In Brusthöhe waren ein goldener Brakteat und eine vergoldete Silberfibel erhalten geblieben. Fundstück (a), die vergoldete Silberfibel, ist 4,4 Zentimeter lang, hat eine aufgeklappte Kopfplatte und einen schwalbenschwanzartigen Fuß. An den Enden befinden sich zwei Fassungen, in denen ursprünglich Steine eingelegt waren. Der Fibelflügel ist mit Kerben verziert.

Beifund (a) Silberfibel und (b) goldener Brakteat aus den Körpergräbern, Abbildungen Berliner Jahrbuch zur Ur- und Frühgeschichte, 1962

Fundstück (b) ist der goldene Brakteat. Ein Brakteat ist eine getriebene Münze oder eine Medaille. Der goldene Brakteat von Rosenthal ist mit einem Perlenrand und einer Öse versehen. Hergestellt in Treibtechnik ist eine stilisierte menschliche Figur auf einem Pferd zu sehen. Ein Arm hält die Zügel, der andere ist hoch gestreckt. Die Freiräume sind mit Ornamenten verziert.

Fundstück Maskenfibel von Niederschönhausen, Latène 5. Jh. v. Chr.

Bei der berühmten Maskenfibel von Niederschönhausen handelt es sich ebenfalls um eine Fibel, aber aus Bronze. Datiert ist sie auf das 5. Jh. v. Chr. Es handelt sich hier um eine Gewandspange, auf der zwei einander abgewandte menschliche Gesichter zu sehen sind, der abgebogene Fuß ist als Widderkopf ausgestaltet. Diese sogenannten Maskenfibeln aus der Latènezeit waren räumlich vom Mittelrhein bis Nordböhmen zu finden. Funde ihrer Art sind außerhalb des Keltengebiets äußerst selten.

Bronzefibel von Niederschönhausen, Latènestil 5. Jh. v. Chr., Foto 1900 bis 1940

Vermutet wird, dass die Maskenfibel soweit nördlich des Keltengebiets als Geschenk oder Handelsgut bis auf das Gebiet des heutigen Niederschönhausen kam.

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Museum für Ur- und Frühgeschichte, Berliner Jahrbuch zur Ur- und Frühgeschichte, Aufzeichnungen Ernst Kikebusch

Quellen: Berliner Jahrbuch für Vor- und Frühgeschichte 1962, Berliner Ur- und Frühgeschichte Märkisches Museum, Preußischer Kulturbesitz- Museum für Ur- und Frühgeschichte Berlin

Kleine Feldstellung bei Bauarbeiten in der Dietzgenstraße entdeckt

Aldi baut Wohnungen in Pankow. Der Discounter möchte deutschlandweit auf eigenen Immobilien, die bislang für Supermärkte genutzt werden, Wohn- und Geschäftshäuser mit integrierten Supermärkten errichten. So auch in der Dietzgenstraße 86 in Niederschönhausen. Anfang 2021 begann die Firma Schulte mit den Tiefbauarbeiten auf einem Teil des Supermarktparkplatzes. Hierzu mussten das Pflaster enfernt und der Aushub der Baugrube gereinigt werden.

Baustelle Dietzgenstraße 86, Luftbild Juni 2021

Das Areal selbst war bis zur Überpflasterung als Parkplatz unbebautes Feld wie die Luftaufnahmen von 1928 und 1953 zeigten. Eine gute Gelegenheit, unter das Pflaster zu schauen und mit viel Glück das ein oder andere interessante Bodenfundstück zu gewinnen. Ich konnte den Baggerführer davon überzeugen, dass sich um diese kleinen, vermeintlich wertlosen Bodenfunde Geschichten für Jung und Alt erzählen lassen, die interessante Einblicke in unsere Vergangenheit geben. Der Mitarbeiter der Firma Schulte Bau war dabei. Er legte so einige Bodenfunde in meiner Abwesenheit beiseite und benachrichtigte mich.

Bauareal Dietzgenstraße 86, Luftaufnahme 1958

Durch das bereits erfolgte Abtragen der ersten Erdschicht für den Unterbau des Pflasters im Zuge der Parkplatzgestaltung der ersten Filiale befand sich keinerlei neuzeitlicher Mülleintrag mehr im Feld. In der verbliebenen, unberührten Ebene unter der Parkplatzdecke enden die Verunreinigungen durch Hausrat, Baustoffe und Ähnlichem etwa 1950.

Baumaschinenführer (rechts) und Autor Christian Bormann (links), Foto Juni 2021

Zu meiner Überraschung befand sich für die Lage des Areals ungewöhnlich wenig militärischer Eintrag im Feld. Es sollte aber nicht lange dauern, bis der Baggerführer Ende Mai auf eine Panzergranate stieß. Die Polizei sicherte die Baustelle und der Kampfmittelräumdienst transportierte das Geschoss ab. Die Panzergranate lag ungewöhnlich tief und auch ihre Ausrichtung zeigte, dass sie sich nicht ins Feld gebohrt hatte sondern hier waagerecht lag und bedeckt wurde. Nach und nach gab der sandige Boden weitere Beifunde preis.

Panzergranatenfund, Polizei und Kampfmittelräumdienst im Einsatz, Foto Mai 2021

Als erstes kamen Champagner-, Wein und Bierflaschen zu Tage, die Metallreste von zwei Spaten, eine Emaille-Waschschüssel sowie Eimer, eine Agfa-IG-Farbenindustrie-Fotofilmbüchse, zwei Konservenstücke und der Rest eines Bajonetts. Auffällig war sofort die Paarung der Getränkeflaschen und Spaten. Hinzu kam die Emaille-Waschschüssel und der Eimer für Körperhygiene. Zahlreiche weitere Metallfunde in und um die vermutlich mit zwei Mann einige Tage besetzte Feldstellung erhärtet die Annahme.

Panzergranate, Offensive Berlin 1945, Bodenfund Dietzgenstraße 86, Mai 2021

Neben der Panzergranate gab es am Fundort weitere größere Teile von mindestens einem gepanzerten Kettenfahrzeug. Nicht ungewöhnlich, schließlich liegt dieser Teil des Parkplatzes auf der Dietzgenstraße, ehemals Kaiser-Wilhelm-Straße, an exponierter Lage. Unser kurzer Rückblick in die letzten Kriegsmonate beginnt am 04. Januar 1945. In den Abendstunden fielen Bomben auf die heutige Dietzgenstraße. Am 2. Januar beschädigt eine Mine die Kirche am Friedensplatz. Vom 5. bis 8. März erleben die Niederschönhausener jede Nacht Fliegeralarm, keine Nacht mehr durchschlafen. Die Angst getroffen und zu verbrennen oder lebendig verschüttet zu werden begleitet jeden Tag und jede Nacht.

Teil eines gepanzerten Kettenfahrzeugs, Kette und Abdeckung, Bodenfund Mai 2021

Das Krankenhaus Nordend wird am 5. März ausgebombt. Vier Wochen später, am 3. April, trifft es das große Restaurant Sansoucci in Nordend gegenüber dem Straßenbahnhof. Heute liegt hier eine ummauerte freie Grünfläche, deren Höhenniveau um etwa einen Meter vom Straßenniveau abweicht. Unter der Grünfläche liegen noch die Reste des einstig berühmten Ausfluglokals. Ab 1936 verkehrten hier die NSDAP und Gleichgesinnte.

Sortierte Metallfunde, Eimer, Spaten, Kannen, Beschläge, Panzerteile und diverse kleine Metallteile

Als das Sanssouci bombardiert wurde, waren hier italienische Zwangsarbeiter untergebracht, von denen 20 Menschen beim Angriff starben. Am 16. April begann die Offensive der Roten Armee. Zu diesem Zeitpunkt leisteten die nördlichen Flakstellungen im Humboldthain, Heinersdorf, in der Thulestraße, sowie im Kreuzungsbereich der heutigen Friedrichs-Engels-Straße/Ecke Kastanienallee noch Gegenwehr. Die Zentrale Verteidigungstelle der Polizei, Wehrmacht und des Landsturms befanden sich im Bunker Rathaus Pankow.

Bodenfund Stellung, 2 Champagnerflaschen, 3×2 Weinflaschen des selben Typs, Grünglas, Normkonserve 900 CCM Wehrmacht, Alubüchse (AL-DIN 252) Wehrmacht, Bajonett, Filmdose AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36

Am 22. April sprengte die SS die Brücke am Nordgraben in Rosenthal, nachmittags erreichten erste Tiefflieger Niederschönhausen. Ab 18 Uhr kam es zu Kämpfen am nördlichen Rand des Schlossparks. Der Volksturm versuchte Buchholz und Pankow zu verteidigen, während Heinersdorf und Teile von Rosenthal schon besetzt waren.

Fotofilm, AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36, Foto Juni 2021

Nachdem die Rote Armee bereits erste Stellungen im Norden von Pankow ausbaute, griff die Deutsche Luftwaffe ein und bombardierte ab dem 23. April die ersten Stellungen der Roten Armee in Heinersdorf. Am selben Tag wurde am Tiefbunker am Nordgraben der Ortsgruppenvorsteher der NSDAP von Rotarmisten hingerichtet. Weitere Personen wurden gefangen genommen und Richtung Buchholz abtransportiert. Bei einem Tiefflieferangriff starben sechs von ihnen.

Fotofilm, AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36, Foto Juni 2021

Aus Zeitzeugenberichten wissen wir, dass Soldaten vom Flakturm Humboldthain das Entwässerungswegesystem des Nordgrabens nutzten, um in Richtung Rosenthal und Niederschönhausen zu entkommen. Ziel war der Tiefbunker am Nordgraben. Da Rosenthal seit dem 23. April zum Teil besetzt war, wichen viele nach Niederschönhausen aus.

Fotofilm, AGFA IG. Farbenindustrie Berlin SO 36, Foto Juni 2021

In den folgenden Tagen verdichtete sich der Ring um Berlin. In der Nacht vom 1. zum 2. Mai kam es auf der Dietzgenstraße zu einem massiven Ausbruchversuch der Deutschen Armee, inzwischend bestehend aus gesammelten Teilen der Wehrmacht, des Landsturms und der SS.

Restaurant Sanssouci am Straßenbahnhof Nordend vor dem 2. Weltkrieg

Besonders schwer waren die Kämpfe auf der Dietzgenstraße zwischen Friedensplatz und der Dietzgen-/Ecke Uhlandstraße. Hier befand sich in Schussweite unsere kleine Feldstellung. Das im Krieg beschädigte Wohnhaus an der Ecke Uhlandstraße wurde, abgesehen von den Kellerräumen, abgetragen und fügt sich nahtlos in den Bodenfund und seine vermutete zeitliche Funktion und Bedeutung ein.

Reste des Restaurant Sanssouci unter der angehobenen Grünfläche Dietzgenstraße, Ecke Schönhauser Straße, Foto Juni 2021

Eine besonders grausame Zeitzeugenüberlieferung trug sich im heutigen Max-Delbrück-Gymnasium zu. Während der schweren Kämpfe in der Nacht zum 2. Mai auf der Dietzgenstraße hatten sich deutsche Soldaten im Schulgebäude verschanzt.

Max-Delbrück-Gymnasium mit Turnhalle und Aula, Foto Juni 2021

Nachdem Rotarmisten das Gebäude gestürmt hatten, soll einigen SS-Soldaten der Kopf abgeschnitten worden sein, die dann auf Zaunpfählen zur Dietzgenstraße als Abschreckung aufgespießt wurden. Die Sporthalle und die Aula nahmen bei den Kampfhandlungen schweren Schaden. Am 2. Mai gegen 8 Uhr war es soweit, Berlin kapitulierte. Aus dem Rathaus Pankow wurde für die nächsten Jahre die Sowjetische Kommandantur. Für Pankower war der Zutritt verboten.

Einschüsse Sporthalle aus der Nacht vom 1. zum 2. Mai, Foto Juni 2021

Die eigentlich erhofften Fundstücke wurden in Anbetracht der Kriegsfunde zu deren Beifund degradiert, was sie nicht weniger interessant macht. Hier ein Überblick zeitlich absteigend geordnet. Wein, Bier und Limonadenflaschen von 1900 bis 1950. Besonders gut als Anschauungsobjekt geeignet ist eine geprägte Bierflasche mit der Aufschrift „Otto Reussner Berlin NW“.

Beifund Hausmüll, 2 Weinflaschen, 3 Bierflaschen u. 3 Limonadenflaschen

Es folgen kleine Haushaltsgegenstände wie Flaschen für Speisewürze, zwei Sahnekännchen, vier Gewürzbecher aus weißer Keramik, eine blaue Glasschale um die Jahrhundertwende, eine Bleiglasvase etwa aus den 1940er Jahren, ein Porzellan-Nudel- und Teigholz der Manufaktur Annaburg aus den 1920er bis 1930er Jahren, eine Tasse um 1880 bis 1900.

Historischer Hausmüll etwa 1880 bis 1950, Foto Juni 2021

Die ungestempelte Tasse ist ebenfalls ein gutes Fundstück. Eingerahmt in ein handgemaltes florales Muster was sich um den Ansatz einer Kartusche rankt, steht geschrieben: „Bei jedem Morgentrunk Seih freundlich dem Geber Erinnerung“. Der obere Tassenrand ist gekrönt von einer Porzellangirlande aussen, einem aufgemalten 1 cm breiten Goldrand und am Tassenfuß befindet sich ebenfalls ein sehr dünner Goldring.

Tasse um 1880 mit Biedermeierspruch, Foto Juni 2021

Weiter geht es mit zwei Parfumfläschen aus den 1920er Jahren, drei Glas- sowie ein Keramiktiegel für Öle, Cremes und Salben auch aus den 1920ern. Ein ganz besonderes Fundstück ist der verschraubbare Keramiktiegel. Erträgt auf dem Boden die Maßzahl „100“, dürfte wohl aus den 1940er Jahren sein und ist vollständig erhalten.

Beifund, Parfum, Creme- und Salbentiegel 1900 bis 1950, Dietzgenstraße, Foto Juni 2021

Auch die üblichen Verdächtigen, Arzneimittelflaschen aller Art von 1900 bis 1950, wie man sie allerorts auf Müllplätzen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder in den Resten von Feldlazaretten findet, kamen zum Vorschein.

Beifund Hausmüll, diverse Apotheken- u. Drogerieflaschen u. Tiegel, 1890 bis 1950

Alles in allem hat sich das Begleiten der ersten Tiefbauarbeiten gelohnt. Zutage trat mit der kleinen Feldstellung mehr als erwartet. Neben einigen interessanten Fundstücken konnte auch wieder etwas Einblick in die letzten Kriegstage in Pankow genommen werden.

Fundverzeichnis

Vermutete Feldstellung: 1945

Panzergranate, Panzerkettenglieder, 2 Spaten, Fotofilmdose AGFA I.G. Farbenindustrie Berlin SO 36, 1 Grünglas Normalkonserve 900 CCM Wehrmacht, 2 Champagnerflaschen, 2 mal 2 Weinflaschen selben Typs, Bajonett, Emaille-Waschschüssel, Emailleeimer, weitere eiserne Kleinteile von gepanzerten Kettenfahrzeug u.a. Kriegsgerät, 4 Bierflaschen, 3 Limonadenflaschen, 1 Dose (AL-DIN 252),

Beifunde: 1900 bis 1950

diverse Kleinflaschen (Apothekenbedarf), 3 braune Salbentiegel (Glas), Teigrolle/Nudelholz aus Porzellan (Annaburg), weißer verschraubbarer Porzellantiegel

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Guido Kunze, Tagesspiegel, Berliner Morgenpost

Recherchequellen: Heimatsammlung Willy Manns, Pankower Chronik (Rehfeld)

Die Muskete von Schönholz

An einem Sonntag im Juni 2014 zog es uns mal wieder in die Schönholzer Heide. An diesem Tag hatten wir vor, uns die verbliebenen Baumbestände der Heide etwas genauer anzuschauen.

img_20180810_113057_687-1716240395.jpg
Muskete v. Schönholz 05.02.18 bei ZIBB RBB

Vor einiger Zeit waren uns Einritzungen in den Baumrinden aufgefallen. Zwischen zahlreichen Herzen und Liebesbekundungen, die Pankower hier in den letzten 40 Jahren hinterließen, suchten wir die Hinterlassenschafften von Zwangsarbeitern und Soldaten aus den 40er und 50er Jahren.

img_20170305_212031_329.jpg
Jungfernheide und Schönhauser Fichten um 1800

Es hatte den ganzen Vormittag geregnet, und wir konnten kaum etwas an den Bäumen erkennen, bis wir nach 20 Minuten im wahrsten Sinne des Wortes über ein Stück Rohr, das aus der Erde ragte stolperten. Die achteckige Form hatte unser Interesse geweckt. Behutsam zogen wir das Rohr aus dem Boden und trauten unseren Augen kaum. Es war eine Muskete. Nach einigen Recherchen wandten wir uns an das Märkische Museum.

img_20170305_211821_469.jpg
Muskete / Jägerstutzen

Unser Bodenfund wurde als Radschloss-Muskete, ein sogenannter Jägerstutzen Baujahr 1640 identifiziert. Die Vermutung liegt nahe, dass die Muskete entweder zur Jagd oder im 30-jährigen Krieg zum Einsatz kam. Im 17. Jahrhundert hieß die Schönholzer Heide noch Schönhauser Fichten und erstreckte sich vom heutigen Bürgerpark bis zur Jungfernheide.

img_20170305_211846_571.jpg
Weg zum Hohenzollern Berg 2014

Als nächstes kontaktierten wir das Museum Pankow. Zwei Tage später übergaben wir Herrn Bernt Roder, dem Leiter des Museums, unser Fundstück. Die Radschloss Muskete ist nun Teil der Sammlung.

img_20170305_211705_125.jpg
Fundstück in der Datenbank als Jägerstutzen

Nachtrag: vom 05.März 2017

Das Fundstück ist heute unter der Bezeichnung Jägerstutzen in der Online-Datenbank des Museums zu finden. Ich selbst fand sie nicht in der Museumsdatenbank. Es war Frau Mach vom Freundeskreis der Chronik Pankow.

img_20170305_211646_699.jpg
Datenbank Museumsverbund Pankow

Der Muskete sollte dieses Jahr gleich in 2 Ausstellungen gezeigt werden. Aus diesem Anlass hatte der Freundeskreis der Chronik Pankow die Spur aufgenommen. Mir wurde berichtet, dass die Muskete noch dieses Jahr als Jägerstutzen Teil einer Ausstellung ist.

Autor: Christian Bormann 26.12.2014 / 05.03.2017

Bilder: Christian Bormann, Museumsverbund Pankow / Datenbank

technische Leitung: Nadine Kreimeier

red.Bearbeitung: Martina Krüger, 05.03.2017