„Versorgungslösung Kettwurst“ auf der Schönhauser Allee

Viele werden ihn kennen, den inzwischen historisch gewordenen Imbiss an der Schönhauser Allee/Ecke Dänenstraße. Aber wer weiß schon, dass hier alles mit einem winzig kleinen Buchladen begann? Auf dem Foto von 1968 betrachten drei Frauen die spärliche Schaufensterauslage. Der kleine Schornstein auf dem Dach verrät den Ofen, mit dem die zwei Mitarbeiter den Bücherladen im Herbst und Winter noch beheizen mussten.

Buchhandlung Schönhauser Allee, 1968

Da der Buchladen bei all der überbordenden kommunistischen Lektüre schnell zu klein wurde, zog er aus und die Handelsorganisation Ost, kurz „HO“ übernahm 1981 das Objekt. Nicht nur in der Schönhauser Allee, in allen größeren Städten der DDR wurden solche Ladenobjekte zu dieser Zeit eröffnet, um den Wunsch der Bürger nach „Kommerzieller Schnellverpflegung“ zu bedienen.

Imbiss noch ohne Reklame, 1981

Das Rationalisierungs- und Forschungsinstitut „Gaststätten, Hotels und Gemeinschaftsverpflegung“ wurde damit beauftragt, Gegenentwürfe zu Hot Dog, Burger und Pizza vorzustellen. Und so enstanden Kettwurst, Grilletta und Krusta. Die Kettwurst ging 1979 an den Start und gewann unter der Bezeichnung: Exponat „Versorgungslösung Kettwurst“ sogleich eine Urkunde auf der „Messe der Meister von Morgen“.

Imbiss Buffet Schönhauser Allee, 1986

Das Rationalisierungs- und Forschungszentrum „Gaststätten, Hotels und Gemeinschaftsverpflegung“ saß in Berlin. Somit ist die Kettwurst eine echte Berlinerin. Auf den Fotos von 1986 ist zu sehen, dass die Kunden in der Dänenstraße an der Ausgabe stehen und nicht wie heute in der Schönhauser Allee.

HO-Imbiss „Buffet“ Schönhauser Allee, 1981

Schaut man ganz genau hin, ist es immer noch der alte Buchladen. Der ehemalige Kundeneingang zur Schönhauser Allee wird als Personaleingang verwendet und das Schaufenster vom Buchladen ist die Ausgabe.

Imbiss Buffet etwa um 1988

Sogar die Werbetafeln des Buchladens aus den 1960ern sind noch die selben und wurden lediglich mit Farbe übermalt und neu beschriftet. Ich selbst bin Jahrgang 1980 und meine erste Kettwurstquelle war der Pavillon im Bürgerpark. Als Anwohner keine 2 Minuten enfernt.

Blick unter dem U-Bahnbogen auf den Imbiss, etwa 1988

Für mich ist der „Kettwurststand auf der Schönhauser“, wie ich ihn nenne, etwas ganz Besonderes und auch der Betreiber Alain André, der mir bis heute die echte Kettwurst erhalten hat. Alain ist gebürtiger Franzose und war zum Mauerfall Westberliner. Er gehörte zu den Jungunternehmern, die sich was aufbauen wollten und der Osten lockte.

Umbau der HO-Verkaufsstelle zu Alain’s Snack, 1991

Das Ende der DDR ließ auch meine Kettwurstquelle im Bürgerpark versiegen. Mit zunehmendem Aktionsradius als Heranwachsender stieß ich dann 1992 in der Schönhauser Allee auf Alain’s Snack und meine neue Kettwurstconnection. Wörter wie „Quelle“ waren jetzt out. Auch heute halte ich noch zwei bis drei mal im Monat hier an und hole mir meine „Ketti“.

Der Fronteingang wird geschlossen, 1991

Ich kenne Alain seit vielen Jahren vom Sehen. Er hat mir einiges von seinem Start als Unternehmer und wie er den Imbiss 1991 übernommen hat erzählt. Wir sitzen zusammen und Alain hat zwei Fotoalben mitgebracht. Während ich meine „Ketti“ esse, blättern wir durch die Fotoalben. Er erzählt von Damals und ich höre gespannt zu.

Neue Fassadendekoration, 1991

Wie er als damals noch etwas naiver Jungunternehmer gleich bei Konopke vorstellig wird und seine „Hilfe anbietet“, er lacht und sagt: „Ich wurde freundlich aber bestimmt des ,Hofes‘ verwiesen mit dem Hinweis, dies ist ein Familienbetrieb und bleibt es“. Konopke war damals schon alteingesessener Gastronom auf der Schönhauser. Alain ist es nach inzwischen über 30 Jahren auch. Zu Familie Ziervogel die Konopke seit Generationen betreibt, hat er heute ein gutes Verhältnis. Man kennt sich als Gastronomen auf der Schönhauser untereinander.

Eröffnung und erste offizielle Coca Cola-Werbung nach dem Mauerfall in
Ostdeutschland, 1991

Alain bekam dann doch noch sein Objekt auf der Schönhauser Allee. Es sollte der alte HO-Imbiss „Buffet“ werden. Einen Haken hatte die Sache aber. Die HO betrieb den Imbiss und die Milch-Mixer Bar zusammen. Den Imbiss durfte er nur zusammen mit der Bar übernehmen. Es führte kein Weg dran vorbei. Nachdem er einen großen Kredit aufgenommen hatte, baute er die Milch-Mixer Bar zu einer Pizzeria um.

Alain’s Snack Schönhauser Allee, September 2022

Da kam der nächste Schock für Ihn. Er hatte nun zwei Gastronomieeinheiten auf der Schönhauser Alle und niemand hatte ihn vorgewarnt, dass die Straße drei Jahre lang zur Baustelle werden würde. Die Laufkundschaft, auf die Gastronomen angewiesen sind blieb aus. Harte Jahre für den Unternehmer.

Autor Bormann (links) und Betreiber Alain André (rechts), September 2022

Einige Erinnerungen teilen wir sogar trotz unseres Altersunterschieds. Zum Beispiel an den Wochenmarkt auf der Brache gegenüber dem Imbiss neben dem S-Bhf Schönhauser Alle. Bei Regen die reinste Matschlandschaft. Heute stehen die Allee Arcaden auf dem einstigen Wochenmarkt, der dann noch einige Jahre unter dem U-Bahnbogen stattfand. Die Pizzeria verkaufte er 2001 und behielt den Imbiss. Heute gibt es hier nicht nur Kettwurst, auch Veganer und Fans von Biofleisch kommen hier auf Ihre Kosten.

Autor: Christian Bormann

Redaktion: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann, Alain André

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