Schlagwort-Archive: Haus

Das bewohnte Geisterhaus von Pankow

In dieser Chronik berichte ich gern von sogenannten Geisterhäusern. Mir selbst sind an die 20 solcher Liegenschaften in Pankow bekannt. Einige dieser altehrwürdigen Häuser, deren Erbauungszeit vom Historismus bis in die 1930er Jahre reicht, sind wahre Zeitkapseln. Voll ausgestattet mit Dingen ihrer jeweiligen Epochen wirken sie, als wenn sie von einem Tag auf den anderen verlassen wurden.

Ein Beispiel dafür ist in der Geschichte „Eine Zeitkapsel im Florakiez“ zu finden. Ich beschränke mich darauf, diese Orte im Auge zu behalten und nicht zu publizieren, um sie so lange wie möglich zu schützen. So auch im Fall der „Geistervilla“ von Wilhelmsruh. Am 14.09.2022 las ich einen Onlineartikel der Berliner Morgenpost „Richtiges Geisterhaus“: Rätsel um verschollenen Besitzer.

Der Schreck war groß. In dem Artikel stand die Straße und Hausnummer. Aber nicht nur das. Fatalerweise war die Rede davon, das Haus stünde leer und der Besitzer sei seit Mitte 2021 amtlich verschollen. Es stimmt, bei der Villa handelt es sich optisch um ein Geisterhaus par excellence. Das Dach ist beschädigt, die Fenster im ersten Stock sind zum Teil mit Sperrholz verschraubt, andere mit Steinen eingeworfen. Am linken Giebel bröckelt Putz und der rechte Giebel ist vom Keller bis zum Dach mit Efeu überwachsen.

Hinter dem Zustand des Hauses verbirgt sich das Schicksal seines Bewohners Olaf Hoepfner. Sein Urgroßvater, der das zunächst einstöckige Haus um die Jahrhundertwende kaufte, war seinerzeit der bekannte Fleischermeister Hoepfner in Rosenthal. Er war es auch, der die Villa aus dem Historismus in den 1910er Jahren um eine Etage aufstocken ließ, wobei der Aufbau bis zur Dachspitze im Stil des Historismus und der Gründerzeit weitergeführt wurde.

Ich habe am Freitag mit dem Bewohner Olaf über den Zeitungsartikel in der Morgenpost gesprochen und wollte ihn vor unerwünschten Besuchern warnen. So spannend die Geschichte auch ist, so hat sie zur Folge, dass sich Lost Place-Touristen auf den Weg machen, um den Ort zu erkunden. In der Hoffnung auf ein gutes Foto oder kleine Schatzfunde brechen sie in die Häuser ein. Besonders fatal wenn es heißt, das Haus ist „unbewohnt“. Aber ich kam zu spät. Bereits am Donnerstag, Olaf sitzt im zweiten Stock seines Hauses – hier hat er ein Zimmer in stand gehalten und sich zurückgezogen- da hört er Geräusche im Erdgeschoss. Eine unschöne Begegnung. Mehrere Jugendliche waren durch ein Fenster im Erdgeschoss eingebrochen. Olaf stellt die Einbrecher zur Rede. Diese beteuerten Ihrerseits, den Artikel gelesen zu haben. Sie beriefen sich auf die Aussage im Artikel, das Haus wäre unbewohnt.

Die Berliner Morgenpost macht wie ich finde eine sehr gute regionale Arbeit. Nicht selten auch mit mir zusammen. Ich komme mit Olaf ins Gespräch. Der ruhige und sympatisch wirkende 57-jährige Trockenbauer fängt an, vom Haus und seinem Leben mit dem Haus zu erzählen. Nach dem Krieg drängte die Komunale Wohnungsverwaltung seine Oma als Eigentümerin aus dem Grundbuch, wobei sie gnädigerweise als Mieterin im Haus verbleiben durfte. Nach der Wende nahm Olaf seine Ersparnisse und investierte sie in einen Anwalt, der die Rückübertragung erreichte.

Sein Ziel war, das Haus wieder herzurichten und zu einem Heim für sich und seine Frau zu machen. Als Olaf von seiner Frau erzählt, fangen seine Augen an zu leuchten. Doch dann erzählt er von ihrer Krebserkrankung. Wie sie am ersten Tag des neuen Jahres 2011 zusammenstehen und sich sagen: „Wie wird das Jahr wohl“. Da hustet sie schon. Am Tag darauf kommt sie ins Krankenhaus und verstirbt. Ein schwerer Schlag für Ihn. „Sie war einmalig“ sagt er und lächelt. „So eine Frau gibt es kein zweites Mal“. Und sein Blick wird trauriger.

Jetzt war Olaf mit seiner Mutter und seinem Hund allein im Haus. „Sie war nicht einfach“, sagt Olaf, „aber ich habe mich immer liebevoll um sie gekümmert. Meine Brüder haben den Kontakt zu ihr irgendwann gemieden, sie konnte halt sehr anstrengend sein“. Nach dem Tod seiner Frau hatte Olaf nicht mehr die Kraft, das Haus zu renovieren. Mit seiner Frau starb auch etwas in ihm. Er bewältigte sein Alltag und versorgte seine Mutter, bis 2016 Feuer im Erdgeschoss ausbrach.

Zwei Fenster im Erdgeschoss sind heute noch mit Sperrholzplatten verschlossen. Sie sind stumme Zeugen des Feuerwehreinsatzes. Seine Mutter verließ das Haus und Olaf rettete, was zu retten war. Das Feuer hatte starke Schäden hinterlassen und des Inventar kontaminiert. Er zog sich in ein einziges Zimmer im zweiten Stock zurück. Jetzt war Olaf mit seinem Hund allein in der großen Villa. „Ein treuer Wegbegleiter über all die Jahre und das letzte was mich mit meiner verstorbenen Frau verband“, erzählt er. Aber 2021 verstarb auch sein Hund.

Ich spreche Ihn auf das Foto vom Hof an, dass im besagten Artikel zu sehen war. „Ich bin kein Messi“, sagt er. Es handelt sich um zusammengetragene Baustoffe und Ähnliches. Ursprünglich für die Renovierung gesammelt. Aber so wie sein Lebensglück zum Erliegen kam, so erging es auch Haus und Hof. Olafs Gesichtsausdruck ist milde aber man erkennt die Spuren der letzten Jahre in seinem Gesicht. Ich frage ihn, warum er das Haus nicht verkauft? Es wäre doch so viel einfacher für ihn. Verkaufen will er nicht. Seine Begründung ist aller Ehren wert. „Ich habe Angst, dass es abgerissen und durch einen seelenlosen Betonwürfel ersetzt wird.“ Er lächelt und erzählt weiter: „Aufgegeben habe ich noch nicht.“ Tatsächlich tüftelt Olaf daran wie er seine Geliebte „Geistervilla“ noch retten kann.

Autor: Christian Bormann, Bilder: Bormann/Kunze, Redaktion: Martina Krüger

Haus Horridoh

An der Grabbeallee in Berlin-Pankow stehen noch so einige altehrwürdige Vorstadtvillen aus dem Historismus. Zu den schönsten gehört zweifelsohne „Haus Horridoh“. Wer kennt sie nicht, die zwei Hirschköpfe, die seit 150 Jahren stur und unbeirrt auf die gegenüberliegende Straßenseite blicken.

Haus Horridoh, Foto um 1995

Wer diese morbide wirkende Vorstadtvilla in der Grabbeallee 39 schon einmal gesehen hat, der vergisst den märchenhaften Anblick nicht so schnell. Die Eindrücke reichen von traumhaft bis gruselig, je nach Betrachter.

Haus Horridoh, Grabbeallee 39, auf diesem Foto aber als Hausnummer 38 angegeben, Foto 1958

Die Vorstadtvilla im Stil des Historismus wurde um 1870 am Verbindungsweg zwischen Pankow und Niederschönhausen errichtet. Die Straße wurde später auf Grund ihres Baumbestandes Lindenstraße genannt. Einhundert Jahre nach dem Tod des Dichters Christian Dietrich Grabbe (1801-1836) wurde die Lindenstraße 1936 zur Grabbeallee.

Denkmalgeschützte Vorstadtvilla „Haus Horridoh“, Straßenansicht, Foto Juli 2021

Die Fassade von „Haus Horridoh“ ist mit Säulen, Pfeilern und Rundbögen ausgestattet. Am nördlichen Seitengiebel des dreiachsig gegliederten Hauses, hinter der gemauerten Durchfahrt, befindet sich ein großes rundes Stuckrelief, das eine sitzende junge Frau zeigt. Soweit alles sehr typisch für die Epoche des Historismus.

Treppenaufgang zu den Präsentationsräumen seiner Zeit, Foto Juli 2021

Eine besondere Abweichung ist die Giebelgestaltung. Zwei lebensgroße Hirschköpfe zieren die Fassade. Zwischen ihnen ist in altdeutscher Blockschrift „Haus Horridoh“ zu lesen. Horridoh auch Horrido ohne H geschrieben geht auf die Jägersprache zurück und soll sich vom Anfeuerungsruf bei der Treib- und Hetzjagd ableiten.

Balkon mit schmiedeeiserner Balustrade, gefasst von kleinen gemauerten Pfeilern, Foto Juli 2021

Zu dem Gesamtensemble gehört noch eine wunderschöne, gut erhaltene zweistöckige Remise. Hinter der Villa fällt das Gelände stark ab, mittig steht die Remise, die äußerlich weitgehend im Original erhalten scheint und im Gegensatz zur vorstehenden Villa fast unbekannt ist.

Frontgiebel zur Straße, zwei lebensgroße Hirschköpfe rahmen den Spruch „Haus Horridoh“ Wappenjartzsche ist raus geschnitten, Foto Juli 2021

Haus Horridoh ist als herausragendes und gut erhaltenes Beispiel für die Villen vermögender Bürger in den Vororten Berlins denkmalgeschützt. Das Dach ist vor einigen Jahren erneuert worden und dem Betrachter fällt auf, dass die Wappenkartusche im Giebel herausgeschnitten wurde. Wahrscheinlich geschah dies zu ihrem Schutz, um weitere Verwitterung zu verhindern.

Hirschkopf am Giebel Haus Horridoh, Foto Juli 2021

Auch wenn die alte Villa mit ihrem bröselnden Putz in Teilen schon einen bedauerlichen Eindruck macht, so ist sie tatsächlich in einem außerordentlich vollständigen und auch baulich noch gutem Zustand.

Römischer Säulenschmuck am Sichteingang, Foto Juli 2021

Der Bauherr war zweifelsohne Jäger oder in diesem Milieu zuhause. Und obwohl Haus Horridoh schon so lange existiert, ist über seine Besitzer so gut wie nichts bekannt.

Seitlicher Blick in den Treppenaufgang zur Straße, Foto Juli 2021

Das älteste zu recherchierende Foto ist eine Bestandsaufnahme von 1953, dort ist das Haus mit der Nummer Grabbeallee 38 und nicht wie heute mit der Hausnummer 39 angegeben.

Kleiner Figurenspiegel über dem Fenster der Frontfassade, Foto Juli 2021

Die schmiedeeiserne Einfriedung ist wohl ebenfalls noch im Originalzustand. Sie ist etwas einfach gehalten für den Historismus. Möglicherweise geschah das absichtlich, um den Blick auf die prächtige Villa nicht abzulenken.

Gemauerte Tordurchfahrt, links befindet sich der Eingang zum Hausflur, Foto Juli 2021

Was beim Vergleich der Fotos 1953 und 2021 auffällt, sind die Rundbögen, die die Einfriedung krönen. Auf dem Foto von 1953 ist im Abstand von je 2 Metern ein Rundbogen zu sehen. Auf dem Foto von 2021 trägt nur noch das erste Eingangstor den Rundbogen, der sich als Krönung aus beiden geschlossenen Torflügeln zusammensetzt.

Zwei typische kleine Bogenfenster am Nordgiebel über der Einfahrt im Historismusstil, Foto Juli 2021

Auf der gesamten Länge der Einfriedung wurden die Bögen abgesägt und durch Stacheldrahthalter ersetzt. Warum die Bögen abgesägt wurden, bleibt unbeantwortet. Der Stacheldraht zur Grundstückssicherung hätte auch so angebracht werden können.

Seitenansicht der Nordfassade mit Durchfahrt und runder Stuckkassette, Foto Juli 2021

Über den derzeitigen Besitzer ist nicht viel bekannt. Er wohnt eine halbe Treppe tiefer im ausgebauten Keller und die anderen Wohnungen im Haus sind vermietet.

Stuckkassette am nördlichen Seitengiebel zeigt eine erschöpfte Frauendarstellung sitzend in einem Stuhl. Foto Juli 2021

Durch die mit Rundbögen verzierte gemauerte Durchfahrt, an deren Ende ein zweites Tor steht, geht es zum großen Garten, in dem die gut erhaltene Remise steht. Das rückliegende Grundstück wird heute zu einem großen Teil als Nuzgarten betrieben, in dem eine kleine elektrische Eisenbahn Ihre Runden im Gehölz dreht.

Zweistöckige Remise im Garten von Hause Horridoh, Foto Juli 2021

Ich selbst war erstaunt, was hinter der so bekannten Frontfassade des Haus Horridoh noch alles erhalten geblieben ist und vor allem in welcher Vollständigkeit.

Autor: Christian Bormann

Red. Bearbeitung: Martina Krüger

Bilder: Christian Bormann